Ein scheinbar nicht alternder Club-Pionier lässt für motor.de Vergangenens nochmal Revue passieren und spekuliert über neue Soundwelten.

Was fragt man einen Mann, der in rund 20 Jahren Karriere von 80er Punk über den Aufstieg des Techno bis zur Entwicklung der Gameboy Music aus dem Nähkästchen zu plaudern weiß und dessen Kollaborations-Liste sich wie das Who-Is-Who der internationalen Musikszene liest? Am besten man lässt ihn hauptsächlich einfach reden, über Patrick Wolf, Björk, das Potenzial von Remixen… So geschehen im Oktober gegen Ende der Past.Present.Future-Tour von Alec Empire im motor.de Interview in Leipzig.

motor.de: Du blickst ja gerade auf die aktuelle Tour zurück, wie lief es bisher?

Empire: Eigentlich kommen wir gerade aus Österreich, sind aber, weil wir einen Tag frei hatten, über Ingolstadt hierher nach Leipzig gekommen. Bis jetzt war alles super.

motor.de: Wie viele seid ihr im Liveprogramm?

Empire: Zu zweit. Ich spiele Gitarre und Anouk kontrolliert alle Maschinen.

motor.de: Was sind das für Maschinen? Auf der Bühne sieht es recht old-school aus?

Empire: Ganz viele Sampler, PC, Moog-Pedale… Viele Geräte, um Sounds zu verändern. Wir machen viel mit Pedals. Die Gitarren, die ich spiele, sind nicht immer als Gitarren erkennbar, ich mache viel Sounds damit. Manchmal spiele ich aber auch ziemlich traditionell auf der Gitarre. Es ist ein Setup, was wir in ähnlicher Form damals bei Atari Teenage Riot hatten. Wir spielen auf der Tour Sachen aus den verschiedenen Zeiten, von ganz früher bis zu dem aktuellen Material. Wir wollten es diesmal rein elektronisch halten, obwohl wir damals auch einmal mit zwei Drummern getourt sind.

motor.de: Wie gestaltet ihr eure Shows? Gleicht kein Abend dem nächsten?

Empire: Wir legen uns vorher schon auf bestimmte Songs fest, aber natürlich können wir diese spontan verändern. Es macht einfach Spaß, Sachen zuvariieren, z.B. auf eine Bassline mehr Filter zu legen. Dadurch kann man vom Publikum mehr Reaktionen verursachen, indem man in den Sound eingreift – was bei unserem aktuellen Setup sehr gut funktioniert. Wenn man alles digital hat, es aus dem Rechner kommt, dann kann man nicht völlig frei mit den Songs umgehen. Wir haben eine Mischung aus einem ziemlich modernen Setup und Herangehensweisen, wie es die Leute in den 70er, 80er Jahren gemacht haben, wenn sie analoge Sachen mit Rock’n’Roll vermischt haben. Dies hat eine starke physische Energie, die Viele gut finden, da das kaum jemand so macht wie wir.

motor.de: Stichwort 70er/80er – kannst du nochmal deinen Einstieg in die Musikwelt kurz zusammenfassen?

Empire: Ich habe ganz früh mit dem Gitarrespielen angefangen, mit sieben, acht Jahren. Dann war ich mit zehn Jahren Breakdancer, und habe damit sogar Pokale gewonnen. Mit zwölf, glaube ich, habe ich eine Punkband gegründet, deren erstes Konzert gleich als Vorgruppe von den Toten Hosen und den Goldenen Zitronen stattfand. Wir waren zum Glück sofort in dieser Deutschpunk-Ecke drin. Das habe ich auch eine gewisse Zeit gemacht, aber so richtig begeistert von Musik war ich erst 1988/89, als die ersten Acid-House- und Techno-Sachen herübergeschwappt sind. Zu der Zeit war ich noch in der Schule, habe meine ersten EPs gemacht und angefangen, aufzulegen. Dadurch war ich mit dabei, als die Sache richtig hoch gekocht ist, und zu der Zeit haben wir auch Atari Teenage Riot gegründet. In der Anfangszeit hatten wir damit viele Probleme, weil unser Sound anders war als alles Andere. Dadurch haben es viele Leute einfach nicht verstanden. Nach einiger Zeit kamen dann Künstler wie die Beastie Boys, Björk oder die Nine Inch Nails, fanden uns super und nahmen uns mit auf Tour. So hat sich die Band zum Glück international relativ schnell verbreitet.
Ich mache also schon ziemlich lange Musik, und war bestimmt an über 100 Platten beteiligt. Ich habe mehr als 500 Songs und zwischen 70 und 80 Remixe veröffentlicht – die ganze Zeit über also ziemlich Gas gegeben. [lacht] Ein Vorteil war, dass wir wirklich immer etwas Eigenes gemacht haben. Viele Leute finden die Alec-Empire-Platten relativ unterschiedlich, aber man erkennt alle an ihrem markanten Stempel.
Ich habe in letzter Zeit viel Filmmusik gemacht, was wieder eine komplett andere Richtung ist, bei der man sein Ego zurückschrauben muss – es geht immer nur um die bestimmte Filmszene. Andererseits will man natürlich keine Fahrstuhlmusik machen, muss also seinen eigenen Dreh mit einbringen. Ich bin also nicht nur Teil einer Welle, die auftaucht und wieder verschwindet, sondern ich bin in vielen Musikrichtungen zuhause.
Wir haben in den 90ern die ersten Breakbeat- und Drum&Bass-Platten in Europa außerhalb Englands gemacht. Deswegen sagen auch viele Leute heute noch, dass wir das mit entwickelt hätten, als es noch keiner kapiert hat. Mir macht es Spaß, dort zu sein, wo etwas Spannendes, Neues passiert, wo noch keine Regeln aufgestellt sind. Wenn es zu kommerziell wird, zu langweilig und ausgereizt, finde ich mich dort nicht gerne wieder. Dadurch ging es ziemlich lange ziemlich erfolgreich.

motor.de: Durch deine langjährigen Szene-Erfahrungen – wie schätzt du die heutige Clubkultur ein?

Empire: Es verläuft meist in Wellenbewegungen, es kommt eigentlich nie vor, dass ich sage, es sei nur gut oder nur schlecht was die Szene macht. Was mir im Moment bei Künstlern auffällt, die gerade anfangen, ist, dass sie große Angst haben, keinen Erfolg zu haben und sich deshalb anpassen an Sachen, die es schon gibt. Das ist aber der größte Fehler, den man machen kann, weil man dann Teil von hunderten Anderen wird.
Das hat aber auch mit der Veränderung der Musikindustrie zu tun. Früher war es relativ einfach, wenn man nicht total bescheuert war, damit Geld zu verdienen. Heute ist es viel schwieriger, sich als Band einen Namen zu machen. Plattenfirmen wollen kein Risiko eingehen, man kann volle Konzerte spielen und die Leute laden es sich trotzdem herunter. Viele junge Bands, die ich kenne und mit denen ich arbeite, haben ein Problem, überhaupt finanziell auf die Beine zu kommen. Ich finde schade, dass die Musiker durch die Konstellation der Umstände in einem Teufelskreis gefangen sind. Sie sind vielleicht sehr talentiert und haben eigene Ideen, können diese aber auf lange Sicht nicht durchsetzen, weil ihnen nicht die Zeit gewährt wird. Die Leute entscheiden heute per Mausklick, ob es ihnen gefällt oder nicht. Ich bin froh, dass ich damit nicht viel zu tun habe. [lacht]
Vielleicht wird sich das aber bald wieder ein wenig ausbalancieren. Was ich im Moment sehe: Es gibt super Leute da draußen, die viel Energie haben – aber sie müssen erst vom Publikum entdeckt werden. Ich hoffe, dass Beide sich irgendwie finden und nicht alle nur der Herde hinterher laufen. Keiner weiß mehr, wo es lang geht, Popmusik hat sich im Vergleich von vor 20 Jahren komplett verändert. Dass ein ganzes Land eine Sache gut findet, gibt es nicht mehr, alles ist sehr zersplittert. Dadurch wird es zwar interessanter, aber die Bands müssen es auch finanziell hinbekommen. Das ist zurzeit die Herausforderung. Ich hoffe, dass sich Musiker ihre eigenen Plattformen schaffen, die vielleicht besser sind als alles, was es in der Vergangenheit gegeben hat.

motor.de: Du hattest anfangs bereits deine vielen Kooperationen kurz angesprochen. Sind  bei diesen Geschichten die Leute immer auf dich zugekommen?

Empire: Ja, immer. Manchmal kommt so etwas aufs Tapet, wenn man sich auf einem Festival trifft oder es läuft über das Management. Früher haben die Künstler manchmal selbst auf meinen Anrufbeantworter gesprochen und die Zusammenarbeit angestoßen. Bei Björk war das z.B. so. Ich war gerade nicht in der Stadt und als ich irgendwann wieder nach Hause kam, waren drei Nachrichten drauf und ich so: “Huch, hätt ich mal besser früher abgehört.”  [lacht]
Andersherum funktioniert es auch nicht – dass ich ankomme und frage, ob ich bestimmte Bands remixen darf. Sie entscheiden, ob es für sie Sinn macht oder nicht. Vor einem Monat habe ich IAMX geremixt, mit einem super Ergebnis. Der Künstler muss im Endeffekt entscheiden, ob er sein Material zur Bearbeitung frei gibt, es kostet ja auch Geld. Für die Leute, die die Remixe in Auftrag geben, ist es eine Art Spiel, da sie nie wissen, was sie am Ende bekommen. Gerade bei mir, weil ich die Klausel habe, dass ich das mache, was ich für richtig halte. Mit Patrick Wolf habe ich letztes Jahr mehrere Tracks gemacht, die dieses Jahr herausgekommen sind und in England und Amerika ziemlich viel Aufmerksamkeit bekommen haben. Gerade wenn die Partner gegensätzlich sind, kann die Arbeit spannend werden.

motor.de: Wie war die Zusammenarbeit mit Patrick Wolf? Er soll kein einfacher Charakter sein…

Empire: Er ist schon mit 15 auf unsere Konzerte gegangen, deshalb war die Arbeit gut. Wenn man aber im Studio ist und es gibt verschiedene Meinungen, finde ich das nicht schlecht. Ich versuche nicht ständig Harmonie herzustellen. Auch durch Streit kann gute Musik entstehen – wenn es nicht destruktiv wird, wenn es nicht um Egos geht. Aber das sehe ich meist kommen, gerade bei Leuten, die jünger sind als ich, und weiß es dann aufzufangen. Am meisten Sinn macht eine Zusammenarbeit, wenn sich Beide ergänzen. Wenn jemand sowieso schon ähnliche Musik macht wie ich, ist das nicht unbedingt spannend.

motor.de: Du hast dich in so vielen Genres ausprobiert – welche Ziele oder Träume hast du noch?

Empire: Leipzig ausverkaufen ist mein Ziel. [lacht] Ich glaube, dass in Remixen ein riesiges Potenzial steckt. Wir steuern auf eine Zeit zu, in der Surround-Sound wichtig wird, gerade für Musik. Darin steckt Potenzial. Viel Musik, die im letzten Jahrhundert gemacht wurde, die viel Qualität hat. Deshalb orientieren sich die Hörer rückwärts, ob es die 80er oder die 60er sind. Heute herrscht die Angst vor, ob diese Qualität verschwindet in der Massenware, die uns um die Ohren geballert wird. Durch andere Präsentation kann man Material aufwerten. Ich fände es z.B. spannend, ein Surround-Remix-Album von „Sgt. Pepper“ zu machen. Nicht nur ich, sondern vielleicht noch fünf andere Leute. Dabei muss man sich ganz anders reinknien, weil die Leute die Songs schon kennen. Ebenfalls interessant wäre, richtig große Werke zu schreiben, die vier, fünf Stunden dauern. Um weg zu kommen vom Minimalistischen, täte ein bisschen Größenwahnsinn gut.

motor.de: Neben deiner musikalischen Experimentierfreudigkeit bist du ja auch für deine politischen Ambitionen bekannt…

Empire: Ich finde, dass Politik wichtig ist. Gerade jetzt merken Viele, dass Politikerentscheidungen uns alle betreffen. Von der Finanzkrise ist praktisch jeder betroffen. Was der Kapitalismus uns versprochen hat, hält er immer wieder nicht ein.
Es ist wichtig, dass den Leuten bewusst wird, dass sie eigentlich große Macht haben. Wen sie wählen, ob sie überhaupt wählen. Es ist bedeutsam, dass man sich informiert. Man kommt durch das Internet an ganz viele Informationen heran. Wenn ich finde, dass etwas Politisches in der Musik umgesetzt werden muss, mache ich es. Manche Musiker finden, dass ihre Songs nur Spaß vermitteln sollen – ich sehe das nicht so, viele meiner Lieblingssongs sind politisch. Ob Punk, HipHop, Ende der 60er die Anti-Vietman-Bewegung – diese haben oft die spannendste Musik hervorgebracht. Wäre Soul und Funk nicht gleichzeitig mit der Bürgerrechtsbewegung groß geworden, wären sie wahrscheinlich nicht so energiegeladen gewesen. Musik muss zur Reflexion des Lebens eine Rolle spielen.
Zurzeit setzen große Konzerne der Masse Entertainment vor – und man fragt sich, was das mit einem zu tun hat. [lacht] Die Stärke von Musik liegt darin, dass sie reflektieren kann, was gerade passiert. Kleiner Wink an die Musikindustrie: vielleicht haben nicht nur mp3 usw. mit sinkenden Verkäufen zu tun, sondern auch, dass es immer nur die zehnte Coverversion der zehnten Coverversion eines Songs gibt.
Ich selbst engagiere mich für Projekte, die ich gut finde, wie Greenpeace, Ärzte ohne Grenzen…

motor.de: Zum Abschluss noch etwas Boulevard – warum siehst du eigentlich immer noch so gut aus?

Empire: [lacht] Ist das jetzt Verarsche?

motor.de: Nicht nur. Gerade heute hast Du nochmals die Einhaltung des Nichtrauchergebotes hier im Club betont – bist Du besonders gesundheitsbewusst?

Empire: Ich rauche nicht, vor allem wegen meiner Stimme. Viele Sänger halten sich nicht in verrauchten Räumen auf, weil dann die Stimme austrocknet und die Power fehlt. Deshalb soll mindestens Backstage nicht geraucht werden. Außerdem nehme ich ja keine Drogen, wie bekannt sein sollte, oder? Habe ich auch noch nie. Das gilt auch für Alkohol. Wahrscheinlich hält mich der Rock’n’Roll fit. [lacht]

Interview: Kai-Uwe Weser