Es ist der neunte Tag von Alice Phoebe Lous Quarantäne nach ihrer Rückkehr aus Südafrika, als wir stillecht über Zoom uns unterhalten. “I hope you can’t see the crazy in my eyes”, lacht sie zu Beginn und verweist auf den Schnee, der zu Beginn ihrer Quarantäne fiel und jetzt schon wieder schmilzt. Ein Gespräch über Veränderungen, Ehrlichkeit und ihr neues Album “Glow”.
motor.de: Die erste Zeile deines Albums lautet „You didn’t teach me /I taught myself thru you“ – Was hast du durch das letzte Jahr gelernt?
Das letzte Jahr hat mir gezeigt, dass man selbst in einer schwierigen Zeit, wie in einer Pandemie, etwas lernen kann und sich selbst herausfordern kann. Gleichzeitig habe ich die Zeit genutzt, um all die Dinge zu machen, die ich seit Monaten vor mir hinschob. Letzten Endes habe ich einfach wieder gelernt eine schlechte Situation in eine Situation zu verwandeln, aus der man etwas lernt – ohne dabei zu vergessen wie unfassbar privilegiert meine Situation generell ist.
Die Freiheit der Unabhängigkeit
motor.de: Du bist für deine Unabhängigkeit in der Musikbranche bekannt – Hattest du im letzten Jahr jemals Angst vor dieser Selbstständigkeit?
Tatsächlich war ich noch glücklicher über meinen Weg. Ein Label hätte mich wahrscheinlich dazu überredet die Veröffentlichung meines Albums zu verschieben, einfach weil es wesentlich schlauer ist ein Album zu veröffentlichen, wenn man eine Tour plant und dies logischerweise dieses Mal nicht der Fall ist. Für mich ist es aber viel wichtiger, dass ich mich noch mit dem Album identifizieren kann, wenn es rauskommt. Die Freiheit solch große Entscheidung selbst treffen zu können und gleichzeitig auch finanziell unabhängig zu sein, ist mir unfassbar wichtig. Natürlich habe ich viele Partner, wie z.B. Motor Music, aber das Grundgerüst bin ich und meine Persönlichkeit würde anders auch nicht funktionieren.
motor.de: Wie waren die (Straßen-)Shows, die du letztes Jahr gespielt hast für dich?
Ich hatte eine Show auf einem Parkplatz in Dachau gespielt und hab ansonsten etwas Straßenmusik im Sommer gemach. Diese Gigs hatte ich dann einfach immer super kurzfristig bekannt gegeben und habe geschaut, dass ich an Orten spiele, wo sowieso viele Menschen waren, so dass ich nicht unnötigerweise Menschen in Gefahr gebracht habe. Trotzdem fühlte ich mich mit der Zeit unwohl bei den Gigs. Die Leute hielten zwar die Distanz, wenn ich etwas sagte, aber nach dem Konzert kamen sie dann dennoch zu mir und wollten mich umarmen. Ich bin wirklich sauer, wenn ich höre, dass Menschen illegale Raves ohne Hygiene-Konzept oder irgendwas veranstalten – das ist nicht Anarchie, das ist einfach nur dumm.
motor.de: Du bist gerade aus Südafrika zurückgekommen. War die Reise für dich dieses Mal nostalgischer als sonst?
Im Oktober hatten wir die Aufnahmen für das Album beendet, so dass ich im Dezember für anderthalb Monate meine Familie besuchen konnte. Es war definitiv ein anderes Gefühl als sonst. Ich habe meine Freunde erst ganz am Ende getroffen, um meine Eltern nicht zu gefährdend. Dadurch war ich gezwungen quality time mit meiner Familie zu verbringen – wir waren viel in der Natur und waren sogar campen!
Die wirklich echte Ehrlichkeit
motor.de: Auf dem gesamten Album, aber besonders in „how to get out of love“ redest du viel über Ehrlichkeit – ist Ehrlichkeit ein Wert, der für dich schon immer wichtig war oder hat sich deine Beziehung zu diesem Wort im letzten Jahr verändert?
Ehrlichkeit ist definitiv etwas, dass schon immer wichtig für mich war, aber ich glaube wirklich verstehen, tue ich es erst seit kurzem. Ich habe oft das Gefühl, das ich dafür verantwortlich wäre, dass andere Menschen sich um mich herum gut fühlen, ich will nie jemanden verletzten, bin super sensitiv, wenn es um die Emotionen von anderen Leuten geht. Dadurch verwendete ich oft Notlügen. Änderte die Wahrheit ein kleines bisschen, um andere Menschen zu schützen und um nicht als unhöflich zu gelten. Ich wollte keine Konfrontationen haben. Aber letztes Jahr habe ich begonnen „nein“ zu sagen statt „naja, also, ich mein, joa, warum nicht“. Es ist großartig zu sehen, wie sehr andere Menschen meine Ehrlichkeit schätzen und wie viel einfacher es ist, wenn man Situationen nicht mehr wie ein rohes Ei behandeln muss.
Auf diesem Album habe ich auch das Gefühl, dass ich mich das erste Mal nicht selbst zensiert habe. Ich habe die Songs nicht angepasst oder bearbeitet, damit sie „cooler“ oder „interessanter“ wirken. Ich habe sie einfach ehrlicher und verletzbar, pathetisch und schwach gelassen – einfach so wie sie sich eben angefühlt hatten. Diese „echte“ Ehrlichkeit ist eine neue Sache in meinem Leben.
motor.de: Einer meiner Lieblingssong von deinem neuen Album ist „dirty mouth“ – kannst du uns etwas mehr über die Erfahrungen erzählen, die den Song beeinflusst haben?
Der Song hat viel mit dieser Ehrlichkeits-Sache zu tun. Es ist auch der einzige Song auf dem Album der nicht wirklich etwas mit der Liebe zu tun hat. Im Endeffekt ist der Song einfach diese ungeschönte Ehrlichkeit: was ich sagen würde, wenn ich in der Situation nicht jemanden verletzen würde. Mit Menschen die mich als „Alice Phoebe Lou“ kennen, aber die mich eben nicht wirklich kennen, hatte ich oft Situationen, in denen ich verstehen konnte, weshalb Britney Spears sich eine Glatze rasiert hatte. Es kann einfach unfassbar intensiv sein, sich mit den Erwartungen anderer Menschen an einen selbst auseinanderzusetzten. Versteh mich nicht falsch, ich will hier nicht sagen „omg mein Leben ist so schlimm – Menschen mögen mich“, aber es gibt diese Identitätskrise zwischen dem, was du bist und dem, was andere Menschen in dich hineinprojizieren. Es gibt einfach Fans, die zu weit gehen: Ganz extreme Fälle, wo ich gestalkt wurde oder so Zwischenfälle, wo Fans denken, dass ich ihnen etwas schulde. Zum Beispiel als ich meine Haare geschnitten hatte, schrieben mir massenhaft Menschen, wie ich ihnen das antun könnte.
„Dirty Mouth“ zeigt einfach eine andere Seite von mir. Eine Attitüde, die etwas zu sagen hat und es dann eben auch tatsächlich sagt. Es ist meine badass Seite, die ich für gewöhnlich verstecke, um die Welt vor meiner Badassness zu beschützen (lacht).
Aber der Song zeigt auch wie ich zu der wurde, die ich heute bin und dass ich nunmal auch diese streitenden Parts in mir trage, die ihre Wurzeln in Erfahrungen haben bevor ich „Alice Phoebe Lou“ war. Der Song ist wie ein Lagerfeuer mit all den Dingen und Menschen, die mich nicht richtig behandelt haben.
motor.de: Bereust du es manchmal berühmt zu sein?
Ich denke nie wirklich darüber nach, da meine Karriere so angenehm über sechs Jahre gewachsen ist. Ich habe bestimmte Möglichkeiten nie wahrgenommen, um nicht von jetzt auf gleich berühmt zu werden. Natürlich hat jeder seine eigene Art und Weise, aber für mich war dieses Step by Step aufbauen wichtig, um mit dem Erfolg auch richtig umgehen zu können. Außerdem freue ich mich, dass ich für meine Musik Erfolg habe und nicht, weil ich eine Ikone bin oder eine Version meinerselbst, die andere Menschen mehr mögen, die ich aber nicht wirklich bin.
Die therapeutische Wirkung von Musik
motor.de: In „Lonely crowd“ heißt es „company is medicine“. In früheren Interviews hast du auch gesagt, dass Musik für dich therapeutisch wirkt – War Musik im letzten Jahr deine Medizin?
Ja definitiv! Bei meinen anderen Alben war es meistens so, dass ich die Songs auf dem Weg beim Touren geschrieben habe und dann irgendwann alle Songs zusammengebracht habe, um ein Album zu veröffentlichen. Dieses Mal sind alle Songs im selben Raum in einer kurzen Zeit entstanden. Dadurch spiegeln sie all die Höhen und Tiefen der letzten Monate wider. Wenn ich einen guten Tag hatte, konnte ich etwas optimistisches Schreiben. Wenn ich einen scheiß Tag hatte, schrieb ich sowas wie „how to get out of love“. Dadurch, dass ich immer in diesen extremen Momenten schrieb, entdeckte ich all die unterschiedlichen Seiten meiner Persönlichkeit.
Zwischen Veränderungen und Träumen
motor.de: Das Album Cover wirkt auf mich wie eine Person, die aus ihren Träumen in die reale Welt fällt. Wann warst du mit diesem Gefühl in deinem Leben konfrontiert? Und wie haben sich deine Träume dadurch verändert?
Ich habe mich viel verändert in den letzten Jahren. Andauernd höre ich Menschen über den 28. Geburtstag reden – irgendwas mit der Saturn-Rückkehr, was auch immer das bedeuten soll. Aber für mich war um diese Zeit definitiv ein entscheidender Punkt in meinem Leben. Natürlich wurden die Dinge geleitet von alldem, was in der Welt momentan passiert. Ich habe das Gefühl, dass ich durch die Pandemie vieles gelernt habe, was ich ansonsten erst in ein paar Jahren gelernt hätte.
Ich fühle mich allerdings auch sehr wohl mit der Idee mich zu verändern. Egal ob bei oberflächlichen Dingen, wie meinem Aussehen, oder bei wirklich wichtigen Dingen, wie Freundschaften oder die Musik, die ich machen möchte. Es ist einfach unglaublich wichtig zu akzeptieren, dass zu wachsen auch heißt zu akzeptieren, dass man manchmal falsch lag.
Ich merke aber auch, dass ich introvertierter werde, dass meine Extrovertiertheit immer mehr etwas wird, das ich mir für meine Auftritte anlege. Ich habe mein Leben kleiner gemacht, habe wenige gute Freunde, auf die ich meine Energie vollkommen lege. Außerdem habe ich einen neuen Studioraum, um den sich gerade alles dreht.
Motor.de: Wie hat sich dein Verhältnis zur Kultur im letzten Jahr verändert?
Ich habe, wie viele Menschen, realisiert wie wichtig Musik und Kultur gerade in diesen Zeiten ist. Glücklicherweise haben wir das Internet, aber vieles bleibt unersetzlich wie Clubs oder Galerien. Es macht mich traurig darüber nachzudenken, dass gerade die kleinen Räume, die kleinen Musiker*innen und generell einfach die ganze Untergrund Szene von dem ganzen am meisten betroffen ist. Deshalb bin ich sehr froh über die deutschen Förderhilfen für Musiker*innen, denn sie helfen dabei, dass sich die Künstler*innen keine neuen Jobs suchen müssen und wir nicht plötzlich nach der Pandemie ohne Kultur dastehen.
Ich freue mich auf die kulturelle Zeit danach und möchte mehr denn je politische Themen mit Konzerten verbinden, sowie es die Fusion erfolgreich macht. Ich möchte, dass man sich zum Feiern trifft, aber gleichzeitig auch etwas in der Gemeinschaft verändert.
Ich kann die Energie nach der Pandemie förmlich sehen: Stelle dir einfach Berliner*innen am Frühlingsanfang vor, wie sie super motiviert im T-Shirt rausgehen – diese Energie, aber mit Kunst und Kultur. Was für eine großartige Zeit, um zu leben.
Hier könnt ihr Alice Phoebe Lou auf Instagram folgen.
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