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“In all dem Chaos versuche ich, meine Seele zu beruhigen”

(Fotos: Memphis Industries)

 

Das neue Barbarossa-Album erscheint dieser Tage und bietet, wie schon die Auskopplung "Turbine", eine angenehme Abwechslung im Singer-Songwriter-Ozean. Wir wollten wissen, was unter den regenschweren Barbarossa-Vocal-Wellen liegt und haben uns mit dem Interviewspickzettel mal auf Tauchkurs begeben. Herausgekommen ist ein schönes Gespräch mit Sänger James.

 

 

motor.de: James, du kommst aus London, einer schnellen, lauten Stadt – aber deine Musik ist langsam, sanft und einfühlsam. Wie passt das zusammen?

 

James: In all dem Chaos versuche ich, meine Seele zu beruhigen und einen Schritt zurückzumachen – von all dem. Ich nutze meine Musik, um all das auf meine Art zu kommentieren. Ich brauche meine Zeit, denn wenn alles so schnell um mich herum passiert, ist es schwer, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Mein Songwriting ist für mich eine Art Rückzugspunkt, eine Sinnfindung, ein Luftholen.

 

motor.de: Wo ist dein Lieblingsplatz in deiner Stadt?

 

James: Zuhause in meiner Wohnung. Schon weil ich so viel reise. Es ist eine komische, kleine Wohnung. Aber sehr gemütlich. Ich habe früher mal in der Brick Lane gewohnt, eine Gegend, die nie schläft. Jetzt wohne ich etwas ruhiger, in Dalston. Und ich habe an der Rückseite einen kleinen Garten, was in London doch sehr selten ist. Alles schaut aus, wie direkt aus den Siebzigern, ich denke seit damals wurde auch nicht mehr so viele an dem Haus gemacht, haha. Ich habe zwei große Fenster, in dem Zimmer, in dem ich schreibe, zwei alte Casios stehen dort und ein bisschen anderes Equipment.

 

motor.de: Erzähl bitte mehr über dein Songwriting.

 

James: Meine Songs entstehen meist, wenn ich nicht über alles nachdenke, also nicht wirklich. Ich bin nicht so gut darin, mich vor ein Keyboard zu setzen oder hinter eine Gitarre und dann auf Kommando einen Song zu schreiben. In der Regel ist es eher so, dass die Idee für einen Song einfach kommt, meistens ist das sehr spät nachts oder früh am Morgen. Das sind genau die Phasen, in denen ich nicht aktiv denke, und dann ist Platz für Ideen. Das kann ein Wort sein, ein Satz… Wenn das passiert, dann kann ich mich hinsetzen und einen Song beginnen.

 

motor.de: Du beginnst mit den Lyrics?

 

James: Nein, in meinem Kopf – das sind nur Anstöße für Songs, ich beginne mit der Musik. Die Lyrics kommen automatisch. Ich habe nie Lyrics geschrieben ohne Musik, vielleicht mal einen Titel oder eine Idee, worum es gehen soll.

 

 

motor.de: Die ganze Musik ist fertig, bevor die Lyrics kommen oder läuft das parallel?

 

James: Bei einem Song wie „The Load“ hatte ich die Klangfolge schon von einer älteren Skizze. Der Song stand schon als Gerüst und dann kamen die Lyrics wirklich sehr schnell. Es ist oft so, dass ich mir überlege, was bedeutet diese Musik, die ich im Kopf habe, für mich, was fühle ich, wenn ich sie spiele, und dann kommen die Lyrics meist wirklich sehr schnell.

 

motor.de: Hast du viele Leute um dich herum, deren persönliche Geschichten du für deine Texte heranziehst – oder kommt das alles von dir, du ziehst dich zurück und schreibst für dich – und vor allem über dich?

 

James: Ich bin mir sicher, dass alles um mich die Lyrics und das Songwriting beeinflusst – aber nie zu direkt. Ich setze mich nie einem direkten Einfluss aus meinem Umfeld aus, in dem Moment, in dem ich schreibe. Zu diesem Zeitpunkt bin ich oft allein zu Hause. Es kann aber schon passieren, dass jemand, den ich an dem Tag vorher getroffen habe – jemand aus meiner Familie oder ein Freund, mit dem ich gerade Zeit verbracht habe  – die Lyrics indirekt beeinflusst.

 

motor.de: Es ist also nicht zu viel Fiktion?

 

James: Nein, ich denke, da spiegelt sich sehr viel aus meinen Erfahrungen wider, Dinge, die mir oder jemandem, der mir sehr nah steht, passiert sind.

 

motor.de: Ist es dir denn schon passiert, dass jemand sauer auf dich war, weil du in einem Song, etwas genutzt hast, was vielleicht zu persönlich war?

 

James: Ah, ich weiß, was du meinst, aber das ist mir noch nicht passiert. Ich versuche immer alles sehr universell zu formulieren. Ideen über Liebe und Verlust. Am Anfang des Entstehungsprozesses kann es etwas sehr Persönliches für mich sein. Doch am Ende kannst du das auf die meisten Menschen beziehen, die schon durch so etwas gegangen sind. Genau das will ich mit meiner Musik schaffen: dass Leute die Geschichte auf ihr eigenes Leben beziehen können.

 

motor.de: Auf dem dritten Track deines Albums gibt es die Zeile: „I wanne be there“. Kanst du uns sagen, wo das ist?

 

James: Oh.. in dem Song geht es sehr um Verlust, wenn jemand oder etwas, das dir nahe ist, plötzlich weg ist. Und diese Line wie auch der ganze Song bezieht sich auf die Flucht. Einfach das Verlangen aus der Situation rauszukommen und irgendwo anders zu sein. Der Ort ist dabei nicht genau festgelegt.

 

motor.de: Und vor wem oder vor was fliehst du? Vor einer Person, der Enge der Stadt oder…

 

James: Auch das ist universell. Und es genauer zu definieren, wäre wohl zu schmerzlich.

 

 

motor.de: Würdest du deine Musik als deprimiert beschreiben?

 

James: … … Ich denke nicht, dass meine Musik deprimiert ist. Aber melancholisch. Es geht um Dinge, die kompliziert und schwierig sind. Trotzdem hat jeder Song letztendlich eine hoffnungsvolle Botschaft.

 

motor.de: Auf deiner Platte hört man so viele Instrumente, aber in deinen Videos bist du oft alleine. Warum?

 

James: Haha, naja, so viele Instrumente hört man ja auf der Platte gar nicht. Man hört ein Omnichord, zwei Casios und einen Bass-Synth. Das ist schon der Grundstock. Dazu kommt noch eine E-Gitarre… Aber ich arbeite viel mit Reverb-Effekten, das klingt also nur so, als wäre es mehr…

 

motor.de: Ja, ich habe im Netz so ein Live-Video von dir gesehen, du bist ja eine richtige One-Man-Show mit all den Keys und Effekt-Geräten um dich herum – die Frage, auf die ich nämlich eigentlich hinaus wollte, ist, ob du nicht mal darüber nachgedacht hast, das Ganze mit einer Band umzusetzen…

 

James: In England spiele ich zumindest mit einem Live-Drummer. Ich hoffe, dass ich ihn im Herbst zu den Shows in Deutschland mitbringen kann. Aber ich habe nicht vor, meine Musik mit einer großen Band umzusetzen. Ich möchte, dass das intim bleibt, man soll die Verbindung zur Stimme und der eigentlichen Song-Idee nicht verlieren. Ich mag dieses Fragile…

 

motor.de: Arbeitest du live auch viel mit Stimmen-Effekten? Auf der Platte hast du viele Voice-Overs.

 

James: Ja, aber nicht zu sehr. Ich habe ein Pedal, mit dem ich ein bisschen Reverb oder Delay drauflegen kann. Man, oder besonders ich, sollte aber vorsichtig damit sein, sonst entfernt man sich zu sehr von der eigentlichen Song-Idee.

 

 

motor.de: Ist es für dich live immer cool, oder gab es schon mal Typen hinterm Mischpult, die das Gesicht verzogen haben, wenn du da mit deinem ganzen Kram angekommen bist?

 

James: Haha, nein, ich habe zuletzt 30 Shows in Europa und der USA gespielt und nicht ein Soundtyp hatte ein Problem mit meinem Setup. Es ist in Wirklichkeit einfacher, als es aussieht. Es ist von mir bereits schon sehr durchdacht, was wann wie zusammenkommt – also ist ihr Job relativ einfach.

 

motor.de: Du bist schon mit Junip und José González getourt. Wie kam es zu diesem Link nach Schweden?

 

James: Als James das erste Mal in England war, habe ich ihn supportet. Da spielte ich noch mehr akustische Sachen. Wir wurden schnell Freunde, und als er mit Junip tourte, habe ich auf einigen Shows den Support gespielt. Letztes Jahr sind wir zusammen durch Südamerika getourt. Er fragte mich, ob ich ihn auch bei Junip unterstützen will, und ich sagte natürlich ja. Wir sind einfach gute Freunde.

 

motor.de: Du bist auch mit Poliça getourt.

 

James: Ja, das sind Label-Mates auf Memphis-Industries. Es hat sehr viel Spaß gemacht, mit ihnen unterwegs zu sein, ich liebe einfach, was sie machen. Poliça sind wunderbar.

 

motor.de: Was gibt es denn sonst noch, was immer wieder in deinem Player landet?

 

James: Ich liebe die großen Songwriter. Also die echten Schwergewichte, wie Stevie Wonder. Die Musik von Prince. Micheal Jackson. Neil Young, Joni Mitchell, The Band. Ich bin aber auch ein Fan von modernen Sounds wie LCD Soundsystem, James Blake, The Caribbean, Frank Ocean – ich liebe sein Album. Ein sehr eklektizistischer Mix also.

 

 

motor.de: Abschließende Worte zu deinem kommenden Album?

 

James: Es wurde komplett in einem analogen Studio aufgenommen. Die Entscheidung, den Computer da raus zu lassen…

 

motor.de: Wo genau hast du es aufgenommen?

 

James: Ein Studio, das sich Analogue Catalogue nennt und in Manchester ist.

 

motor.de: Komplett analog?

 

James: Ja. Viel Druck also, haha. Eine sehr intensive Zeit. In nur acht Tagen haben wir das aufgenommen und es gibt kein Drum-Editing. Das hat Ben, mein Drummer, sehr gut gemacht. Auch das andere Editing ist sehr reduziert. An Gitarre und Bass ist Adam Beach zu hören, der auch bei Johnny Flynn & The Sussex Wit spielt. Ich bin sehr stolz auf die Platte. Es ist sogar so, dass zwei der Songs komplette Live-Takes sind. Eine Menge moderne Musik ist mir zu stark nachbearbeitet. Deswegen bin ich froh, dass wir diesen Weg gegangen sind.

 

John Sauter

 

 

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