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Smells like Techno spirit – die aktuelle Reanimierung des Jazz durch Electronica-Schock.
Der … öhm … Jungbrunnen für Jazz: Ricardo Villalobos und Max Loderbauer.
Es gibt sicher kaum noch etwas, womit man den aufmerksamen Besucher im Berghain musikalisch überraschen kann. Der Berliner Über-Club ist seit geraumer Zeit eine zwar sehr renommierte, nichtsdestotrotz fast schon normale Location für Konzerte geworden, deren Profil sich beim besten Willen nicht auf einen Genre-Kanon festlegen lässt. Und es ist natürlich sowieso nicht unbedingt überraschend, dass Anfang Juli Ricardo Villalobos im Berghain auftreten wird. Der ist ein bekannter DJ und war als solcher schon dort zu Gange. Neu ist, dass sein Auftritt im Jazzecho Erwähnung findet.
Jazz hat seit Langem ein Image-Problem. „Jazz ist nicht tot, er riecht nur ein bisschen komisch.“ – es ist eines der bekanntesten Zitate der Musikgeschichte, in unzähligen Abwandlungen dauert der lakonische Spruch bis heute fort. Überliefert wurde er von Frank Zappa, der immerhin wusste, wovon er sprach, agierte er doch seinerzeit auf Augenhöhe mit den Schwergewichten der Szene. Sein Album „Hot Rats“ wurde immer wieder gern mit dem fast zeitgleich erschienen „Bitches Brew“ von Miles Davis verglichen – es schnitt dabei alles andere als schlecht ab. Seit diesen Zeiten, nachdem Free-Jazz ein für alle mal aufgezeigt hatte, was in Sachen Musik-Improvisation möglich ist, haftet dem Jazz der Ruf an, alles Entscheidende sei getan, alle Entwicklung vollzogen worden, alle großen Namen bekannt. Tatsächlich kämpfen die mannigfach existierenden Jazzfestivals seit Jahren mit dem rapide steigenden Altersdurchschnitt ihrer Besucher, füllen ihre sich lichtenden Reihen der Genre-Superstars zunehmend gern mit – oft genug beliebig anmutenden und meist nicht eben jung und innovativ agierenden – Rock- oder Pop-Acts. Und nur noch im Ausnahmefall schaffen es Musiker der jüngeren Generationen in den Fokus überregionaler Beachtung und mehr als auskömmlichen Lebensunterhalts, die es mit dem künstlerischen Anspruch von Jazz ernst nehmen und nicht in die Lounge-Ecke schielen, aus der Leute wie Roger Cicero, Grand Prix-Teilnehmer, oder Till Brönner, derzeit Jurymitglied bei X-Factor, ihre Mainstream-Karriere gestartet haben.
Alva Noto und Ryuichi Sakamoto live in Berlin.
Dass es auch anders geht, lässt sich im Moment sehr schön beobachten. Raus aus der alten, rein in die neue Nische – so könnte man das aktuelle Lebenserhaltungsprogramm überschreiben, das im Jazz momentan unübersehbar betrieben wird. Das geht über die nicht immer genießbaren Fusion-Versuche der Achtziger oder die in Nu- und Acid-Jazz-Seichtheiten schnell versandeten House-Annäherungen der Neunziger weit hinaus. Herausragendes Beispiel ist ECM. Das Münchner Label gilt seit Jahr und Tag als eine der credibelsten Heimstätten des zeitgenössischen Jazz, agiert zwischen freundlicher Publikumstauglichkeit und deutlich schwerverdaulicherer Neue-Musik-Annäherung. Schon 1997 ließ Labelchef Manfred Eicher eines der wenigen noch bahnbrechenden Jazzalben der Gegenwart remixen: Nils Petter Molværs „Khmer“. Jetzt durfte sich Ricardo Villalobos mit seinem Kollegen Max Loderbauer gleich über den ganzen Backkatalog von ECM hermachen. „Re:ECM“ ist das herausdestillierte Ergebnis, das im Berghain dann auch – sagen wir mal – „live“ präsentiert wird.
Es darf gefeixt werden: Bugge Wesseltoft und Henrik Schwarz.
An einem Tag in der Leipziger Oper, am nächsten im Frankfurter Technoclub Cocoon; das war eben erst die Location-Spanne der deutschen Konzerte von Pianist Ryuichi Sakamoto mit Electronica- und Klangkünstler Carsten Nicolai, die ihr aktuelles Album „Summvs“ im Wortsinne aufführten. In andächtiger Atmosphäre ließen sie es bedeutungsvoll klimpern und rauschen, hinterlegt mit streng geometrischen, klanggesteuerten Strukturen auf riesigem LED-Banner. Schon seit Gründung bewegt sich Nicolais Chemnitzer Label Raster-Noton an der Schnittstelle zwischen darstellender und Ton-Kunst, dockt bei atonaler Musik ebenso an, wie bei klassischem Minimal-Techno. Eine sehr eindrucksvolle Vorstellung war das, andächtig und mit klassischer Orchestersaal-Furcht vor zu lautem Räuspern belauscht. Jedenfalls eine sehr ernste Sache, ein wenig freundlich gelächelt wurde allenfalls beim abschließenden Verbeugungsritual zum euphorischen Applaus.
Henrik Schwarz and Bugge Wesseltoft bei der Red Bull Music Academy.
Geradezu gefeixt wird hingegen auf dem Cover eines weiteren bemerkenswerten Projektes: Pianist Bugge Wesseltoft hat sich mit House-Produzent Henrik Schwarz zusammengetan und als Wesseltoft Schwarz Duo ein tatsächlich erfrischend leichtfüßiges Album eingespielt, das sich selbst zwar nicht so ganz ernst nehmen mag, aber trotzdem hochkompetent Jazz-Gestus, melodischen Sachverstand und – klar – elektronisches Klangbild vereint. Da ist der Schritt nicht weit zu Brian Eno. Der ist seit letztem Jahr bei Warp unter Vertrag, dem wahrscheinlich wichtigsten Techno-Label der letzten 20 Jahre. „Drums Between The Bells“, das zweite Album des Electronica-Pioniers auf Warp, passt sich hervorragend in den aktuellen Jazz-Kontext ein, gibt sich weniger harsch, als man das von Enos Warp-Debüt kannte, und gemahnt eher an die frühen „Big Science“-Hochzeiten einer Laurie Anderson mit ihren sphärisch durchsetzten, sparsamst instrumentierten Spoken Word-Tracks. Auch daran riecht nichts mehr seltsam.
Augsburg
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