Ist ja irre: im Streit um YouTube-Videos offenbaren sich seltsame Koalitionen – und ganz schlechter Geschmack.
Es gibt Musik, die man eigentlich im Leben nie hören, geschweige denn sehen wollte. Pietro Lombardi zum Beispiel, christlichen Heavy Metal oder alles von den Chipmunks. Und „Europa“ von Globus. Leider gehört dieser Titel nicht zu den scheinbar immer zahlreicheren, deren Urheberrechtslage YouTube dazu veranlasst, sie einem deutschen – oder besser: irgendeinem – Publikum vorzuenthalten. Und man fragt sich schon, wie ernst man jemanden nehmen kann, der sein Recht auf kostenlose Unterhaltung mit Videos per YouTube ausgerechnet mit derlei hohl-pathetischem Schmonzettenschrott geltend machen möchte. Jemanden wie die offensichtlich existierende deutsche Sektion der – so hat sich das medial als Bezeichnung durchgesetzt – „Hacker-Community“ Anonymous, die sich jetzt auf die GEMA eingeschossen hat.
Schlimm genug: Das Original.
Niemand mag die GEMA. Sie ist seit eh und je das Nummer-eins-Feindbild mehr oder weniger aller anderen Akteure im Musikbusiness – GEMA-Mitglieder sogar eingeschlossen. Grundlegender Anlass dafür ist, dass die GEMA – etwas vereinfacht ausgedrückt: der Quasi-Monopolist für musikalische Urheberrechte in Deutschland – ein sehr schwerfälliger und hoffnungslos gestrig anmutender Apparat ist, der von praktisch jedem Geld eintreiben möchte, der in irgendeiner Form Musik zu Gehör bringt, sei es als Musiker, Konzertveranstalter, Radiomacher, St.-Martins-Singer, Kindergartenchor oder – und da sind wir beim aktuellen Daueraufreger – YouTube. Das Videoportal hat sich vor allem bei seinen deutschen Nutzern im Verlauf der letzten Jahre zunehmend Verärgerung eingebrockt. Immer mehr offizielle Musikvideos werden geblockt; oft genug mutet das Sperren offizieller Promovideos einigermaßen schildbürgerisch an. Grund sind wie fast immer heutzutage die ungeklärten Nutzungsrechte. Schuld war zumindest in den Augen des gemeinen YouTube-Benutzers bisher immer die Musikindustrie. Und YouTube natürlich.
Die eigentliche Gemengelage ist jedoch etwas verworrener und eine klitzekleine Änderung bei YouTube ist jetzt der Auslöser für eine verblüffende Eskalation. Der Streit zwischen der GEMA und Google, dem Eigentümer von YouTube, um die Höhe der zu zahlenden Gebühren für jedes Video, bei dem die GEMA die Nutzungsrechte vertritt, währt seit Jahren. Im April 2009 lief der letzte Vertrag aus, seitdem gab es jede Menge Streit und noch mehr Geheimnistuerei um die Höhe der Gebühren und die Art, sie zu ermitteln – aber kein Verhandlungsergebnis. Jetzt hat YouTube den bis dato üblichen Hinweis auf gesperrte Videos geändert und schiebt damit auch ganz offiziell sichtbar den Schwarzen Peter der GEMA zu: „… in Deutschland nicht verfügbar, da die GEMA die Verlagsrechte hieran nicht eingeräumt hat.“ So heißt es seit kurzem und es springen plötzlich zwei Gruppen von Unterstützern bei, die man bisher ganz bestimmt nicht auf der Liste der Google-Konzern-Freunde hatte.
Schlimmer geht immer: Die Nachnutzung.
Ausgerechnet die Chefs von Sony und Universal Music Deutschland ließen verlauten, dass sie – wieder deutlich verkürzt zusammengefasst – die Schnauze gestrichen voll hätten von der Geschäftsverhinderungspolitik der GEMA, die wohl noch nicht im digitalen Zeitalter angekommen wäre. Selbstredend ist das sehr weit aus dem Fenster gelehnt, gerade die großen Plattenfirmen, die „Majors“, stehen nicht im Ruf besonderer Innovationsfreude und Kundenfreundlichkeit. Normalerweise stehen sie auch auf der Seite der erklärten Google-Feinde, sind sie doch vorsichtig ausgedrückt nicht immer glücklich mit dem in Urheberrechtsfragen für ihren Geschmack oftmals zu forschen Geschäftsmodell des Google-Konzerns. Also Bestandteil der „Content Mafia“. So wiederum werden herkömmliche Urheberrechtsinhaber aus dem Verlagswesen und der Musikindustrie gern von Web-Aktivisten genannt, zu denen sich wiederum die diffuse Anonymous-Gruppe zählt, die sich einen gewissen Ruf gemacht hat, indem sie nach Gutdünken den Betrieb missliebiger Webseiten mit einfachen Massen-Attacken stört. „Wir beobachten mit Sorge eure überhöhten Forderungen bezüglich urheberrechtlich geschütztem Material auf YouTube und anderen Plattformen dieser Art“, heißt es in einem Bekennervideo, dessen Machart und Musikauswahl deutlich dafür spricht, dass keiner der Macher jemals im Kreativbereich außerhalb seines Computers zu Gange war. Und siehe da: Pünktlich zur alljährlichen Mitgliederversammlung war die Homepage der GEMA für einige Stunden nicht erreichbar. „Dadurch möchten wir erreichen, dass mit Google eine schnelle Einigung stattfindet.“ Also mit dem Konzern, dessen Weltherrschaftsambition gegen jedes Hacker-Ethos steht.
Nochmal eben zusammengefasst: Google mit „Contentmafia“ und „Hacktivisten“ gegen GEMA. Oder auch: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Verstehen muss man das nicht mehr. Aber können sich bitte trotzdem alle ganz schnell einigen? Damit wir wenigstens von weiteren grässlichen Anonymous-Videos verschont bleiben.
Augsburg
(Logobild: bustallmajors.com)
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