Alles neu macht, in diesem Fall, der März
Kennt ihr das? Der Verstand sagt nein, das Herz schreit: Ja!. So ging’s mir zuerst mit ‘Language. Sex. Violence. Other?’, dem neuen Album der Stereophonics. Denn dass die Waliser die hier vollzogene 180-Grad-Wendung vom Gospel geschwängerten Southern-Rock des letzten Albums hin zu New-Wave-beeinflussten knackig-modernen Rock-Songs so ganz zufällig vollzogen haben, wollte der Trend-Anbiederei witternde skeptische Analytiker in mir dann doch nicht so ganz glauben.
Trotzdem waren da diese Lieder, allen voran die erste Single “Dakota”. Schöne, elegische Melodien; und endlich wieder jene unbekümmerte Haltung, die die Stereophonics am Anfang so überzeugend machte. Und ich meine, hey, nach welchen Kriterien auch immer wir Pop bewerten wollen, sollte doch die Qualität der Songs unbedingt Priorität bleiben. Die Authentizitätsfrage konnte ich mir im Gespräch mit Kelly Jones dann aber trotzdem nicht verkneifen. Und auch sonst gab’s reichlich Gesprächsstoff: Vom Schlagzeuger über Kellys Wohnort bis hin zur gerade geborenen Tochter des Sängers, erstrahlt bei den Stereophonics dieser Tage beinahe alles in neuem Glanz. Na, dann mal los…
Ich bin ein bisschen überrascht, dass ihr mit Javier Wyler jetzt einen ganz neuen Schlagzeuger präsentiert. Eigentlich hatte ich damit gerechnet, dass Black Crowes-Drummer Steve Gorman bei euch bleibt.
Steve Gorman sollte ursprünglich nur vier Shows spielen und daraus wurde dann immerhin ein Jahr. Das war eine sehr schöne Zeit. Gorman ist allerdings zehn Jahre älter als wir und hat sich gedanklich nie ganz von den Black Crowes lösen können. Wir aber wollten etwas Neues probieren, uns weiterentwickeln. Das hätte auf Dauer nicht geklappt. Trotzdem weiß ich, dass es auch Steve großen Spaß gemacht hat, solange er dabei war.
Stuart Cable war einer deiner ältesten Freunde. Es wird nicht leicht gefallen sein, dich von ihm zu trennen.
Ich habe 25 Jahre meines Lebens mit ihm verbracht. Wir spielten seit unserem zwölften Lebensjahr zusammen in Bands. Aber auch wenn er für mich eine Art Bruder war, gibt es seine Mitgliedschaft bei den Stereophonics betreffend noch eine professionelle Ebene, bei der ich die Freundschaft außen vor lassen musste. Schließlich hängt an dieser Band noch einiges mehr, als nur wir beide. Und wenn du auf der einen Seite Leute hast, die dich nach vorne bringen und etwas machen wollen und dann einer – in diesem Fall Stuart – ständig negative Vibes einbringt, muss man den nötigen Abstand aufbringen, sich von diesem zu trennen.
Ausschlaggebend für den Rausschmiss waren also ausschließlich persönliche Gründe?
Da haben mehrere Faktoren eine Rolle gespielt. Er wollte nicht mit nach Australien auf Tour gehen, so dass wir dort nur Akustik-Shows spielen konnten. Er hat sich nicht mehr wirklich an der Arbeit im Studio beteiligt, sondern nur seine Parts eingespielt und ist dann abgehauen… Es war letztlich eine Kombination all dieser Dinge. Zuletzt hatte ich den Eindruck, dass es ihm nur noch um diese Rockstarnummer ging. So Marke: “Ich hab’ die Kohle, ich hab’ mein Haus, wo ist die Party?”. Die Musik spielte bei ihm keine so große Rolle mehr.
Sprecht ihr noch miteinander?
Seit dem Tag, an dem wir ihn gefeuert haben, habe ich kein Wort mehr mit ihm gewechselt.
Wie ist es denn nun um die Stimmung in der Band bestellt?
Die Chemie war eigentlich immer gut. Jedenfalls haben wir stets versucht, das Beste aus der Situation zu machen. Der wesentliche Unterschied ist nicht so sehr das Verhältnis zwischen uns, sondern die Energie, die wir zurzeit in der Band haben. Die wollen wir übrigens auch mit dem Publikum teilen und werden deshalb die anstehenden Konzerte nur zu dritt und in Clubs spielen.
Es hat also keine Bedeutung, dass (Bassist) Richard Jones heute bei den Interviews nicht dabei ist?
Nein, gar keine. Er war zuerst dabei, musste dann aber abreisen, da seine Frau ein Baby erwartet. Das ist natürlich wichtiger.
Das bringt mich zu den weiteren Veränderungen in deinem Leben. Du wohnst mittlerweile in London und hast mit deiner neuen Frau vor einigen Monaten Nachwuchs bekommen, richtig?
Ja, unsere Tochter ist jetzt drei Monate alt. Sie ist fantastisch.
War es nicht eine schwere Entscheidung, so kurz nach der Geburt loszuziehen, um das neue Album zu promoten und dann auf Tour zu gehen?
Meine Frau und ich haben eine großartige Beziehung, die hervorragend funktioniert. Sie hat kein Problem damit, dass ich jetzt weg bin.
Ich habe auch eher an dich und das, was du bei der Entwicklung deiner Tochter verpasst gedacht.
Da verpasse ich jetzt natürlich was. Aber ich kann zwischendurch immer wieder nach Hause. Wir hatten die Arbeit an dem Album ja bereits aufgenommen, als meine Frau noch nicht schwanger war. Und wenn man einmal angefangen hat, muss man es auch bis zum Ende durchziehen. Weißt du, dass hier ist mein Job, mein Leben. Wir beide – meine Frau und ich – wussten von Anfang an, dass es oft so sein würde.
Witzig fand ich übrigens, dass ausgerechnet der von der britischen Musikpresse stets als Landei belächelte Kelly Jones ins Mekka der Trends zieht. Wie geht es dir im hippen London?
Mein Leben in London unterscheidet sich nicht wirklich von meinem vorherigen in Wales. You make your home your home, you know? Wir leben in einer sehr ruhigen Gegend und gehen kaum auf Parties. Ich mag London. Das ist so eine große Stadt, man kann diesen ganzen Rockstar-Trend-Zirkeln wunderbar aus dem Weg gehen.
Neben den privaten gibt es – von der Umbesetzung abgesehen – auch deutliche musikalische Veränderungen. Die neuen Songs klingen wieder wesentlich rockiger und reduzierter, wie ist es dazu gekommen, plant man sowas?
Ich denke natürlich auf einer übergeordneten Ebene ständig darüber nach, wie es mit uns weitergehen könnte. Als Musiker aber ergibt sich die Richtung, in die die Songs gehen, ganz automatisch. Aktuelle Strömungen interessieren mich nicht. Ich lasse einfach meine Gefühle sprechen. Und jetzt war es so, dass es mir sehr gut ging, viel besser als beim letzten Album. Und das hat sich ganz automatisch in kraftvollen Songs niedergeschlagen. Technisch gesehen habe ich ebenfalls vieles anders gemacht als zuletzt. So schrieb ich einen großen Teil des Materials nicht auf der Akustikgitarre, sondern auf dem Bass und alten Fender-Gitarren, die ich mir gekauft hatte. Das ergibt automatisch einen Beat-orientierteren, kräftigeren Ansatz. Der Grund für die Veränderungen ist allerdings keinesfalls der, dass wir (das Vorgängeralbum) “You Gotta Go There To Come Back” so schlecht fanden. Im Gegenteil – ich halte das Album für sehr gut und denke, dass einige Leute vielleicht länger brauchen werden, um es entsprechend zu würdigen. Vielleicht gilt es ja in einigen Jahren sogar als Klassiker, wer weiß?
Ehrlich gesagt klingt es für mich, in Zeiten von Acts wie Franz Ferdinand, aber schon ein bisschen geplant, dass ihr in Songs wie “Dakota” mit New Wave-Referenzen arbeitet. Was sagst du Leuten, die euch Anbiederei vorwerfen?
Die Leute können sagen, was sie wollen. Das ist mir scheißegal!
“Dakota” habe ich vor über einem Jahr geschrieben. Lange bevor das Franz Ferdinand-Album veröffentlicht wurde. Ich mag Franz Ferdinand sogar, aber wenn mich irgend etwas in dieser Richtung beeinflusst hat, dann waren es eher die Klassiker wie The Cure oder Depeche Mode, mit denen ich aufgewachsen bin. Außerdem habe ich während der Arbeit alte Soundtracks von John Carpenter gehört; sehr inspirierend, kann ich sagen.
Was aber ganz sicher geplant war ist das Konzept, dass die Songtitel alle aus nur einem Wort bestehen. Wie ist in diesem Zusammenhang der modernistisch-rational anmutende Albumtitel “Language. Sex. Violence. Other?” zu verstehen?
Der Albumtitel bezieht sich auf die in Großbritannien übliche Kategorisierung von Filmen im DVD-Verleih. Kann man die ganze Vielfalt unseres Daseins wirklich in diesen drei Wörtern zusammenfassen “Language, Sex, Violence”; und der ganze Rest ist dann “Other”? Mir scheint das alles ein bisschen zu einfach, dass man heute versucht, allem mit ein paar Schlagwörtern gerecht zu werden. Der Titel wurde gewählt, nachdem das Album fertig war. Ich fand, dass er gut passte, da sich natürlich Elemente dieser vier Oberbegriffe auch in den meisten Songs wiederfinden. Also auch wieder eine Klassifizierung (lacht).
In den Texten dieser Songs geht es weniger als zuletzt um dich selbst, gibt es über deine Person nichts interessantes mehr zu berichten?
Für einige Songs wie “Doorman” oder “Superman” habe ich mir Charaktere ausgedacht. Ich fand es reizvoll, außerhalb der Musik zu stehen und diese imaginären Personen auftreten zu lassen. Beim letzten Album habe ich meine Probleme sehr stark in die Texte einfließen lassen und das damals auch gebraucht, da es mich ihrer Lösung näher gebracht hat. Jetzt aber wollte ich einfach mal wieder Spaß haben. Mir brannte nichts auf der Seele, weil es mir ja gut geht.
Es gibt zurzeit eine Tendenz bei vielen Musikern wieder politischer zu werden. Ihr wart eigentlich nie eine politische Band. Gibt es dafür einen Grund?
Ich bin schon sehr interessiert, was in der Welt passiert. Ich bin ja ständig unterwegs und kriege so eine Menge mit. Ich mag jedoch die stark vereinfachende Darstellung komplexer politischer Sachverhalte in Pop-Songs nicht. Seien wir ehrlich: viele Bands instrumentalisieren doch ihre angeblich subversiven Statements nur um sich ein gewisses Image zu verschaffen. Wenn Weltpolitik auf das Tragen des richtigen T-Shirts reduziert wird, ist das aber nur noch lächerlich. Dann gibt es natürlich auch Leute wie Bono oder Bob Geldorf, die einen hervorragenden Job machen. Aber für so was fühle ich mich einfach nicht kompetent genug. Ich finde es weitaus interessanter, den Leuten auf der Straße zu lauschen und das in meine Arbeit einfließen zu lassen. Das ist auch Politik.
Was musikalisch auffällt, ist, dass du deine Stimme variabler einsetzt als zuletzt. Bei einigen Songs dachte ich zuerst gar, es singe jemand anderes…
Certain songs dictate certain things. Zu einigen dieser neuen Nummern hatte ich ganz andere Stimmen im Kopf, als ich sie bisher von mir kannte. Teilweise bis zu vier verschiedene. Das habe ich versucht umzusetzen.
Deine Stimme ist ja das wesentliche Erkennungsmerkmal der Stereophonics. Hattest du immer schon dieses an Rod Stewart erinnernde Timbre, oder ist das antrainiert?
Meine Art zu singen, hat sich in unserer Anfangszeit entwickelt. Damals, ich war 19 Jahre alt, spielten wir bis zu 150 Gigs im Jahr; in kleinen Clubs mit beschissenen Anlagen. Ich musste also immer schreien, um mich durchzusetzen. Dadurch bin ich dann zu dieser rauhen Stimme gekommen. Ein Element, mit dem ich mich von anderen aktuellen Sängern sehr unterscheide. Zurzeit hört man ja vor allem cleanen Gesang.
Hat sich sonst noch etwas an eurer Arbeitsweise verändert, oder hast du wieder alles mehr oder weniger alleine gemacht?
Die Songs sind alle von mir. Ich halte meine Ideen auf einen Diktiergerät fest und bringe sie dann mit ins Studio, um mit der Gitarre und einer Drum-Machine auszuprobieren ob sie funktionieren. Dieses Mal übernahm allerdings Javier den Part der Drum-Machine. Sein Spiel hat die Richtung sehr beeinflusst, die die Songs nahmen. Er ist ein sehr vielseitiger Drummer, mit dem man eine Menge Sachen ausprobieren kann, die früher einfach nicht möglich waren.
Der größte Teil der Zeit im Studio besteht ohnehin darin, rumzusitzen und zu warten, dass die Engel vorbei kommen und alles gut wird. Es geht darum, diesen einen magischen Moment der Inspiration einzufangen.
Die Freundschaft zu Javier Wyler habt ihr unter anderem während einer gemeinsam in einem argentinischen Knast verbrachten Nacht vertiefen können. Wie seid ihr denn da gelandet?
Ja, wir haben tatsächlich einige Stunden zusammen in Argentinien im Knast gesessen. Wir waren in einem Club, dessen Besitzer nicht über die nötigen Lizenzen verfügte. Also haben sie den Laden hochgenommen und wir sind mit all den anderen Gästen in den Knast gewandert. Du siehst: Auch der Violence-Verweis im Albumtitel hat seine Berechtigung (lacht).
Text: Torsten Groß
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