Selbst auf und im Flughafen muss Noah Lennox die Musik von Animal Collective beschreiben. Kein leichtes Unterfangen bei einer Band, die mal avantgardistisch, mal psychedlisch, mal noisig klingt. Ihre Live-Shows sind unvorhersehbar, ein neues Album in den Startlöchern – Grund genug mal genauer nachzufragen.

(Foto: Brian Deran)

Neulich in meinem Wohnzimmer: Plattenabend ist angesagt. Endlich “normale” Menschen, keine Musiknerds also, die stundenlang über die neuesten Trends diskutieren. Hier kann man wenigstens mit der (noch) spärlichen Vinyl-Sammlung prahlen. Und da passiert’s: “Das neue Album von Animal Collective ist doch aber schon die wichtigste Veröffentlichung im Alternative-Pop-Bereich 2012, oder?”, rutscht es einem heraus. Die aufkommende Erklärungsnot wird letztlich allein durch die Erkenntnis verschleiert, dass es diese Band selbst im nicht musik-affinen Segment geschafft hat, irgendwie anzukommen. 

Da freut man sich auf einen entspannten Abend und worum wird gestritten: ob Animal Collective nun einen charakteristischen Sound haben oder nicht. Toll, dabei kann doch alles so einfach sein: “Unser Stil ist es wohl, keinen Stil zu haben”, scherzt der Panda Bear auf der gemütlichen Couch des Berliner Headquartes von Domino Records. Der Bär heißt eigentlich Noah Lennox und so falsch liegt er gar nicht, denn wenn es eine Konstante im Schaffen seiner Band gibt, dann wohl diejenige, nicht konstant zu sein. Vier Köpfe, kein Stil? Natürlich haben sich die Genre-Füchse dieser und anderer Republiken bereits an den Versuch gewagt, die Musik von Avey Tare, Panda Bear, Geologist und Deaken in eine Schublade zu quetschen. Es ist dieses kleine Fach, zwischen verspulter Psychedelic und elektro-infiziertem Folk, die sich New Weird America schmipft. Man könnte auch Freak-Folk sagen, man kann es aber auch lassen – denn wohin führen diese lästigen Diskussion letztendlich?

Wo wir wieder bei den Nerds wären, die sich sicherlich darüber auskotzen könnten, welches Album denn nun bahnbrechend für ihren Katalog sei. “Merriweather Post Pavillon“, das letzte Album von 2009, dürfte wohl Konsens sein. Auf 55 Minuten bannte das Quartett hier ihre wirren und explosiven Ideen, ein experimentelles Kunstwerk, auf dem “any song could be someone’s favorite” (Pitchfork). Die Songs “My Girls” und “Brother Sport” stehen dabei als Aushängeschilder einer Band, die sich 2012 bereits einigen Ärger einhandelte. Nach dem Interview veröffentlichten sie das Cover der neuen LP “Centipede Hz”. Es folgten wilde Diskussionen, um nicht Shitstorm zu sagen, sodass kurzerhand ein neues Artwork präsentiert wurde. Eine Woche vorher stellte sich Noah Lennox den Fragen zur neuen Platte und was es eigentlich mit ihren wirren Live-Auftritten auf sich hat. 

Animal Collective – “My Girls”

 

motor.de: Du hast zwei Kinder. Haben die beiden eigentlich schon das neue Album gehört?

Noah Lennox: Nein, bisher noch nicht. Aber weißt du, niemand aus meiner Familie hat das Album bisher gehört (lacht).

motor.de: Aber sie wissen schon, dass ihr Vater Teil einer weirden Musikgruppe ist oder hören sie deine Musik gar nicht?

Noah Lennox: Sie sind schon neugierig, aber meine Tochter findet das letzte Animal Collective-Album und die vergangenen zwei Soloplatten als Panda Bear echt langweilig. Für sie ist das alles zu slow, sie mag bombastische Musik. Aber das passt zu ihrer Persönlichkeit., sie ist steht ständig unter Strom und ist mit einer Menge Energie ausgestattet.

motor.de: Apropos Energie, kannst du dich an deinen letzten Berlinbesuch erinnern? Da habt ihr im Astra gespielt.

Noah Lennox: Das ist das Gebäude mit den tiefen Decken und dem vielen Rauch, oder?

motor.de: Genau, das war beim Melt! Klub Weekender 2011. Ich kann mich neben euren kaleidoskopischen Visuals noch daran erinnern, dass die Leute eure “Hits” verlangt haben – aber ihr ward rigoros und habt ihre Bitte einfach ignoriert. Scheißen Animal Collective auf Erwartungen?

Noah Lennox: Ja und nein. Live geht es uns vor allen Dingen darum, dass wir Spaß haben. Denn wenn wir nicht vollkommen darin aufgehen, was wir tun, warum sollte es dann jemanden überhaupt interessieren? Aber wir versuchen auch niemanden bewusst zu enttäuschen. Unsere Gigs sind immer schwer vorhersehbar, aber ich frage mich auch, wie lange wir noch solche Shows spielen werden. (Überlegt) Ich finde es okay, nicht immer alle Songs zu spielen.

motor.de: Ihr reflektiert eure Live-Shows nicht als Best-Of-Konzerte, sondern….

Noah Lennox: …wir mögen diese ganze Erfahrung, dass wir miteinander harmonieren. Während wir für “Brother Sport” einen Platz gefunden haben, ist “My Girls” schon ein wenig spezieller, manchmal entsteht hier ein Bruch im Set – das wollen wir eigentlich vermeiden. Aber noch ist nicht aller Tage Abend, mal schauen, ob wir es mal wieder einbauen werden.

motor.de: Bleiben wir noch kurz bei den Erwartungen, was denkst du, wenn Leute euer neues Album als eines der wichtigsten für Alternative Pop 2012 einstufen?

Noah Lennox: Ich möchte etwas machen, auf das ich stolz sein kann. Wie diese Dinge danach eingestuft werden, darüber habe ich keine Kontrolle. Ich möchte nicht, dass Leute die neue LP hassen. Wenn es Menschen mögen, reicht mir das schon.

motor.de: Ich stell mir das gerade vor, wie ihr ins Studio geht und euch anguckt: ‘Hey guys, lasst uns mal die krasseste Platte des Jahres machen’ – ist ja auch bescheuert.

Noah Lennox: (lacht) Richtig, wir reden als Band auch nie über solche Sachen. Wir sind immer sehr aufgeregt, wenn das Material, dass wir teilweise ja schon live gespielt haben, bearbeiten und nochmals bearbeiten. Wir pushen uns gegenseitig und drängen uns in unbekannte Sphären. Wir denken auch nicht darüber nach, was die Leute davon halten, denn wenn wir Spaß daran haben, neue Sachen auszuprobieren, dann machen wir sie einfach, die Zukunft können wir ohnehin nicht beeinflussen.

Animal Collective – “Today’s Supernatural”

motor.de: Dann lass uns doch mal über das neue Album “Centipede Hz” sprechen. Der Titel klingt nach einer Kombination zweier Ideen.

Noah Lennox: Der Name ist ein Schirm für eine Reihe von Themen und Vibes, über die wir bei der Produktion gesprochen haben. Der wohl größte gemeinsame Nenner aller Gedanken ist die Vorstellung, dass wir eine Alien-Band sind, die zusammen Musik macht.

Motor.de: Centipede ist ja ein Tier (dt. = Tausendfüßer). Was hat es damit auf sich, eine Band aus Krabbeltieren?

Noah Lennox: (lacht) Diese komische Kreatur symbolisiert unsere komplexe Musik. Wir haben noch nie eine derart dichte und kompakte Platte gemacht. Das “Hz” steht für das Radio und all die komischen Sounds, die aus ihm kommen können, gerade wenn man an alten Transmittern herumspielt. So als würden wir als Alien-Band all die Klänge, Frequenzen und manipulierten Radio-Jingles im All empfangen und diese in Tracks verwandeln.

motor.de: Geschrieben und eingespielt habt ihr das Album in Baltimore. Brian [Weltz aka Geologist, Anm. d. Red.] hat davon gesprochen, ihr wäret wieder eine Garage Band. Teilst du diesen Eindruck?

Noah Lennox: Definitiv. Wir hatten wirklich wenig Platz, waren da richtiggehend zusammengepfercht, überall Instrumente und Amps. In den letzten acht Jahren haben wir im Studio auch nur mit Kopfhörern gearbeitet, das hat den Sound wirklich stark beeinflusst. Diesmal waren wir viel enger beieinander, ich konnte sogar jeden beim Jamen berühren (lacht) – das war bisher immer anders.

motor.de: Wenn ich allerdings Songs wie “Rosie Oh” oder “Applesauce” höre, kann ich mir nicht vorstellen, dass sie das Ergebnis von Jam-Sessions sind, dafür sind sie doch viel zu vielschichtig.

Noah Lennox: Das ist wahr. Mit “Rosie Oh” wollte ich einen Song schreiben, der viele Kleinstteile hat, die sich permanent verändern. Wir haben häufiger die Erfahrung gemacht, dass es sich komisch anfühlt, wenn wir alle gleichzeitig beim kreativen Prozess zwischen den Sounds switchen würden, das klingt dann wirklich sehr chaotisch. Deswegen hatten wir die Idee, für die einzelnen Sequenzen Grüppchen zu bilden. Über diese Fragmente haben wir dann alle zusammen gespielt, und es hat geklappt.

motor.de Was war neu im Studio? 

Noah Lennox: Lass mich noch etwas zum Song “Applesauce” sagen, denn es ist lustig, dass du diesen Track ansprichst. Mit ihm hatten wir am meisten zu kämpfen. Er hat uns viele Probleme gemacht (lacht). Als wir den Song im Studio aufgenommen haben, waren wir alle unzufrieden. Er klang nicht gut. In gewisser Hinsicht ist “Applesauce” das “My Girls” von diesem Album. Und als Dave [Portner aka Avey Tare, Anm. d. Red.] mit dem Piano-Part kam, wussten wir, wohin der Track gehen würde. Es ist dabei sogar weniger ein Part, als vielmehr eine Performance. Wir wollten uns wie eine Band fühlen, die Musik macht und nicht als irgendetwas, das im Studio konstruiert wird.

motor.de: In der Hinsicht ist das neue Album beinahe als Gegenentwurf zu eurem Vorgänger zu werten. “Centipede Hz” klingt eher danach, als hättet ihr das Livespielen vor Augen gehabt.

Noah Lennox: Absolut, “Merriweather Post Pavillon” war ganz anders angelegt. Wir haben natürlich viel mit Loops und Sequenzen gearbeitet, aber die waren eben alle schon fertig, das war weniger eine aktive Erfahrung auf der Bühne.

motor.de: Animal Collective steht ja vor allen Dingen für nicht kategorisierbare Musik. Ist dieses Attribut, das ja eigentlich keines sein möchte, mehr Bürde oder Segen?

Noah Lennox: Am Flughafen muss ich diese Frage am Häufigsten beantworten.

motor.de: Wie jetzt?

Noah Lennox: Da sind immer diese Service-Leute, die einen fragen, warum man in das Land reist und dann fragen sie: ‘Was machst du hier?’ – ‘Ich spiele Musik hier’ – ‘Was für Musik?’ (macht eine Pause)

motor.de: …und was sagst du dann?

Noah Lennox: Für gewöhnlich sage ich, dass wir Rockmusik spielen. Und die Flughafenarbeiter nicken mich dann wohlwollend durch (lacht). Bei diesen Momenten muss ich also immer kurz darüber nachdenken, aber für den Rest der Zeit spielt das für mich und für die Band keine Rolle.


Sebastian Weiß