Erst liebt der Berliner Struwwelpeter Techno, dann betont er die Temperamentlosigkeit von Beats und Bässen in der Hauptstadt. Was ist denn nun wahr? Wir haben Sascha Ring getroffen und mit ihm über Clubmusik, GEMA und Moderat gesprochen.  

(Foto: Constantin Falk)

Spielen wir Wahrheit oder Dichtung: Spielte Sascha Ring einst beim legendären John Peel und vor Radiohead? Wahrheit. War Ring in seiner Jugend hin und wieder auf Depeche-Mode-Treffen? Tatsächlich wahr. Gelang er in jungen Jahren über Gabber-Musik zum Techno? True. Hasst Ring heute Techno-Musik? Dichtung, also fast. Hass ist nämlich das falsche Wort. Passender sind: Tristesse, Langeweile, Überdruss. Nein, dafür muss man kein Synonym-Wörterbuch im Internet durchforsten, ein Hang zur Semantik reicht vollkomen aus. Oder aber man durchforstet die Interviews mit ihm, die kurz vor und nach der Fertigstellung von “The Devil’s Walk“, dem ersten Album des bandgewordenen Projekts Apparat, entstanden sind. Wenn die Kollegen nur richtig zitieren würden, das haben sie nicht immer getan. Die Ödnis haben wir aber bereits vor einem Jahr geteilt, als wir uns als Frauen(oder: Genre-)versteher aufspielten: “Electro ist nicht nur das neue Indie, sondern entwickelt sich allmählich zur identischen Abnutzungskategorie – ein morsches Dach für beliebige Musik.”

Ursprünglich kommt der 33-Jährige aus Quedlinburg (O-Ton: Pissnest). 1997 zieht er mit seinem Freund Phon.o nach Berlin, die beiden wohnen heute noch zusammen. Zwei Jahre später betreibt er gemeinsam mit T.Raumschmiere das Label Shitkatapult. Während seine ersten Veröffentlichungen noch von tanzflächenorientiertem Techno gekennzeichnet waren, wandte sich Ring zunehmend anderen Klangexperimenten zu. Nach der weltweiten Moderat-Tour ging es nach Mexiko für das erste Bandalbum, weg von Zuhause, weg vom klassisch elektronischem Sound. Mit seinem Mitstreiter, Bandkollege und Co-Producer Nackt (Warren Suicide) hat Ring einen Gleichgesinnten gefunden. Einer, der mit seinem vielfältigen und mitunter verkopften Songwriting genau den richtigen Kontrapunkt zu Ring darstellt. Beide haben wir gut gelaunt auf beim Dockville Festival getroffen.

Apparat Band – “Live in Prag”

motor.de: Was hast du in der letzten Zeit getrieben?

Apparat: Seit Mai letzten Jahres sind wir als Band durchweg mit “The Devil’s Walk” unterwegs. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich auch richtige Tourblöcke, wo ich 30 Tage am Stück mit einem Bus unterwegs bin. Es ist ein geiles Gefühl, weil man so richtig eintaucht und Details sieht, die vorher noch nicht klar waren. Es ist aber auch immer mal das klassische Klassenfahrtsding in einer schlechten Jugendherberge. Mangelnde Körperhygiene und schlechte Ernährung – auf Dauer ist auch nicht wirklich lustig.

motor.de: Höre ich da Verdruss raus?

Apparat: Ach, ich genieße die Zeit natürlich auch. Seit diesem Jahr spiele ich auch wieder ein paar DJ-Gigs hin und wieder, das ist ein interessanter Kontrast. Es gab ja mal eine Phase…

motor.de: …in der die elektronische Musik gehasst hast!

Apparat: Ich habe auch nie gesagt, dass ich Clubmusik hasse, ich wurde nur immer wieder so zitiert.

motor.de: Was war dein Problem mit der Clubmusik?

Apparat: Fehlende Innovation und das Gefühl, egal in welchen Club man geht, überall das Gleiche zu hören. Meistens habe ich das immer noch, aber man muss ja auch nicht nur in Berlin in Clubs gehen. Wenn man zum Beispiel in England in Clubs geht, hört sich das sehr wohl anders an. Es gibt Innovationen, man muss nur ein wenig suchen, unter diesem riesigen Berg, den es zum Beispiel bei Beatport gibt. Es gibt zwar cooles Zeug, aber keine coolen Suchmechanismen. Jetzt habe ich wieder angefangen auszulegen und kaufe wieder Platten, tauche wieder richtig ein, viele Diamanten sind manchmal schwer zu finden. Es ist ein schöner Kontrast. Nackts Kontrast ist sein Kind, dass er nun bekommen hat…

motor.de: Herzlichen Glückwünsch erstmal. Nimmst du dein Kind mit auf Tour?

Nackt: Naja, fünf Wochen ist noch ein wenig zu frisch (alle lachen). Aber ich mach so ein Tourtagebuch, wo ich mich selber aufnehme, dann kann sie mit vier oder fünf Jahren sehen, was ihr crazy Dad in der Jugend gemacht hat.

Apparat: Das Kind war quasi auch ein Tourprojekt.

Nackt: Stimmt, es wurde auf Tour gezeugt, und ich habe auf Tour von der Schwangerschaft erfahren.

Apparat: Es wurde in Paris gezeugt und in Tokio hat er davon erfahren.

Nackt: Im Nightliner auf dem Weg nach Berlin ist die Fruchtblase geplatzt, zwei Stunden später war ich dann da. Eigentlich alles ziemlich geil getimt.

motor.de: Ganz anderes Thema, seht ihr eigentlich die Clubmusik durch die GEMA-Strukturreform in Gefahr?

Apparat: Meines Wissen nach ist die Dancemusik kein erheblicher Einkommensfaktor für die GEMA. Da geht soviel an anderen Stellen, ob E-Musik oder Schlager. Trotzdem ist es natürlich keine Nische mehr, da werden Tracks für Autowerbungen lizensiert. Sie ist einfach angekommen.

Nackt: Es ist krass, ich habe Freunde, die eher im Werbebereich arbeiten. Und ihre Beiträge klingen überhaupt nicht mehr anders, als die anderen Tracks der Hardcore-Techno-Produzenten. Es für mich persönlich ein ziemlicher Downer.

motor.de: Weil Sascha vorhin London und Berlin angesprochen hat: Glaubt ihr denn noch an die klassischen City-Sounds?

Apparat: Auf jeden Fall. Es gibt natürlich in jeder Stadt auch verschiedene Gruppen-Crews von Leuten, die sich auch unterscheiden, aber wenn man das eher oberflächlich betrachtet, dann zeigt sich schon, dass es einen klassischen französischen, britischen oder Berlin-Sound gibt.

motor.de: Wie findest du dann neue Musik?

Apparat: Das ist das schwierige daran, das letzte, was ich für mich entdeckt habe, war John Talabot. Ich habe gleich seinen ganzen Katalog gekauft und am Ende ist es wieder im wirklich Leben passiert. Im Internet finde ich auch manchmal Sachen, aber gerade Dinge aus der elektronischen Musik machen ja auch mehr Sinn im Club, wenn man es erst dort hört.

Apparat – “Song Of Los”

motor.de: Und jetzt geht es bald ins Studio für ein neues Moderat-Album?

Apparat: Genau, ab September. Also ich habe jetzt kein Studio mehr, ich habe mein Studio verkauft, wir haben ziemlich viel bei Nackt im Studio gemacht. Ich schreib auf der Reise nun eine Songidee, sammele die und dann gehen wir zusammen ins Studio.

motor.de: Du brauchst diesen Austausch. 

Apparat: Genau, das ist ja auch bei Moderat der Fall. Deswegen funktioniere ich ja auch so gut mit anderen Leute. Bei Moderat bin ich gerade noch ein wenig im Vollzug, was das Skizzensammeln angeht. Gernot und Szary machen Skizzen, dann treffen wir uns, tauschen Festplatten aus und jeder macht dann im stillen Kämmerlein weiter. Und dann gibt es halt die heiße Phase, wenn man zusammen im Studio sitzt.

motor.de: Gerade wo du wieder Lust aufs eigene DJing bekommen hast, fällt es dir schwer zwischen den einzelnen Projekten zu switchen?

Apparat: Überhaupt nicht, ich steh total auf diese Abwechslung. Ich benötige das auch. Wir haben jetzt drei Bandshows gespielt, und morgen spiele ich wieder als DJ. So wird es nie langweilig. Das Band-Ding ist dabei aber eher meine Vision von Musik, Auflegen tu ich eher aus Spaß.

motor.de: Du warst von der Clubmusik angeödet, was entgegnest du eigentlich den Kritikern, die dich damals für bare Münze genommen haben und nun die neue Moderat-Platte in diesen Kontext setzen?

Apparat: Moderat war aber auch nie die klassische Tanzmusik gewesen. Ich habe eher von Techno geredet. Es ist immer alles wahnsinnig funktional, das stört mich.

motor.de: Das versuchst du also beim DJ-Set zu vermeiden?

Apparat: Deswegen hören sich meine DJ-Sets immer komplett anders an. Durch John Talabot und Permant Vacation sind meine Tracks zurzeit eher housig. Aber es ist immer melodisch, das hält es immer zusammen. Aber es kann auch sein, dass ich mal ein richtiges Industrial-Techno-Set mache, aber (stockt kurz) einen richtigen Style habe ich nicht.

Sebastian Weiß