Archive machen laut eigener Aussage Musik für das stille Kämmerlein – aus dem sie während der Tour selbst kaum rauskommen und sich deshalb mit Videobloggen ablenken.

Die Londoner Prog-Rocker Archive können bereits auf eine 15-jährige Bandgeschichte und zahlreiche Musiker zurückblicken. Das aktuelle Album beschäftigt sich mit dem allumfassenden Thema “Kontrolle” – was sie selbst dazu denken und wie das Songwriting bei einer siebenköpfigen Band funktioniert, erzählen Gitarrist Danny Griffiths, der Archive 1994 mitbegründete, und Sänger Pollard Berrier im Interview mit motor.de.

motor.de: Ist euer aktuelles Album „Controlling Crowds (Part IV)“ eine Fortsetzung zu „Controling Crowds (Part I- III)“?

Berrier: Ja richtig, das ist eine Fortsetzung. Wir haben alle Songs um das große Thema „Kontrolle“ geschrieben. Das hat eineinhalb oder zwei Jahre gedauert. Und da gab es dann viele B-Sides oder Reste, die noch nicht richtig aufgenommen wurden, eine ganze Menge Demo-Versionen, die auf dem ersten Album nicht mit drauf waren. Die sind aber immer noch zu gut um sie einfach im Untergrund verschwinden zu lassen. Also haben wir sie genommen und noch ein paar mehr Sachen geschrieben, zum gleichen Thema. Dan und Darius sind nach South Hampton gefahren und haben einfach noch ein paar mehr Songs geschrieben, um das alles zu komplettieren.
Griffiths: Die Songs die dazu gekommen sind, sind aber irgendwie leichter! Auch ein paar Liebeslieder, und die ganze Produktion war nicht so hart.
Berrier: Ein bisschen mehr frische Luft, die da reinkommt, ja.

motor.de: Wie funktioniert das Songwriting bei euch?

Berrier: Wir sind ungefähr vier bis sechs Leute.
Griffiths: Das ändert sich auch immer. Es ist eher ein Kollektiv als nur die Band. Wer auch immer eine Idee hat, kann mit uns arbeiten. Oder allein. Wir treffen uns im Studio, es ist keine bestimmte Art und Weise, wie wir schreiben.Wir haben einen Songwriter der viel mit uns macht, aber es ist immer unterschiedlich.
Berrier: Dan und Darius haben die Band gegründet, und deshalb haben sie auch alles am meisten geprägt. Sie sind das Rückgrat. Durch die lange Zusammenarbeit ist so etwas wie eine Richtlinie daraus geworden, an der sich Archive orientiert und die den Sound bestimmt. Aber wenn ich jetzt eine Idee hätte für fünf oder sechs Songs, wäre das auch möglich. Wir können uns da alle wunderbar einbringen.
Griffiths: Unser Sound entwickelt sich natürlich auch immer weiter. Mit immer mehr Leuten drum herum passiert da auch immer mehr.
Berrier: Es gibt keine Egos oder Leute in der Gruppe, die alles für sich beanspruchen. Jeder kann seine Ideen dazu beisteuern, das ist wirklich toll. Wenn etwas gut klingt, dann nehmen wir es.

motor.de: Noch mal zum Thema “Kontrolle” – ist das für euch Sicherheit, Verlässlichkeit – oder eher eine Bedrohung für Individualität und Autonomie?

Berrier: Eigentlich ist es alles zu gleich. Das war schon immer ein großes Thema, über Jahre hinweg gab es darüber viele Unsicherheiten und es hat immer polarisiert. Gewinn und Verlust, alles spielt da mit hinein. Es ist wie eine Grundlage unserer ganzen Gemeinschaft als Menschen: es bringt uns Ärger, aber es treibt auch Dinge voran. Wir haben so etwas wie eine Fantasiewelt geschaffen, die alle diese Gedanken enthält und alle diese Dinge als Grundlage nimmt. Aber wir wollten es so machen, dass jeder seine eigenen Interpretationen dazu haben kann. Es ist auch irgendwie ein heikles Thema. Kontrolle zu haben, aber sie auch zu verlieren. Das war schon immer wichtig.

motor.de: In einem der Songs geht es auch um das Ende einer Beziehung – kann sich die ganze Band mit solch einem Song identifizieren, wenn er eigentlich von einer Person und über eine persönliche Erfahrung geschrieben wurde?

Griffiths: Ja, das ist der ist von Dave…
Berrier: Klar, identifizieren können wir uns alle damit. Jeder hat diese Situation so oder etwas anders schon erlebt, früher oder später macht das jeder mal mit. Zu einer anderen Zeit, vielleicht mehr oder weniger intensiv, aber jeder kann etwas damit anfangen. Das ist die Sache bei Liebesliedern: Es werden immer welche geschrieben, denn jeder kann es auf seine Weise nachvollziehen. Es geht eigentlich nur darum, es irgendwie auszudrücken.

motor.de: Seid ihr mit eurem aktuellen Line-Up zufrieden?

Griffiths: Ja, es ist super! Es entsteht sehr viel dabei, mit so vielen Menschen. Die Live Shows machen riesigen Spaß.
Berrier: Dadurch dass es wirklich so eine große Gruppe ist, macht es das Ganze viel einfacher. Die Arbeit ist viel intensiver und auch produktiver. Wir kommen gerade erst am Anfang der Kapazitäten an, die wir als Gruppe und zusammen haben. Wenn nur einer für die Songs verantwortlich wäre, wäre das sicher schwerer.

motor.de: Eure Bandgeschichte ist stellenweise sehr verwirrend – wie würdet ihr selbst eure musikalische Entwicklung beschreiben?

Griffiths: Naja…es war einfach alles sehr spontan. Wir haben nie irgendetwas geplant. Es gab kein bestimmtes Ziel. Die Dinge haben sich entwickelt, mit vielen unterschiedlichen Leuten und natürlich hat sich auch die Musik verändert. Wir hatten großes Glück, dass die Leute, mit denen wir über die Jahre arbeiten konnten, alle dieselbe Leidenschaft für die Musik hatten wie wir. Außerdem waren alle sehr experimentierfreudig. Wir wollten nicht einfach nur Gitarrenmusik machen. Also ging es in der Entwicklung immer hoch und runter. Glücklicherweise ist es dadurch auch immer besser geworden. Aber Veränderung ist, wie man so sagt, eben auch eine Konstante.
Berrier: Wir werden vielleicht auch demnächst mal den Style ändern: Haare schwarz färben und so, ein bisschen auf Metal machen…

motor.de: Als ihr angefangen habt, wart ihr anscheinend sehr stark von Massive Attack beeinflusst…

Griffiths: Ja, das stimmt. In der Zeit als die groß wurden, haben wir das alle gehört. Trip Hop war etwas, das es so bisher nicht gab. Es ist eine wahnsinnig interessante Szene, in die wir irgendwie auch reinpassen. Wir lieben Hip Hop, und Dance, und so war das wirklich toll.

motor.de: Was sagt ihr zu dem neuen Album “Heligoland“?

Griffiths: Das was ich gehört habe, war sehr schön. Ich mochte das Album davor nicht, also bin ich gespannt wie das neue so ist.

motor.de: Was hört ihr zur Zeit?

Berrier: Ich mag The XX, These New Puritans… das ist so das Neuste, aber eigentlich greife ich meistens auf Älteres zurück: Hip Hop Tracks von früher, Soul, Eighties. Es kommt darauf an wie ich mich gerade fühle. Aber diese neuen Sachen sind natürlich sehr inspirierend, besonders der wieder aufgekommene Synthie-Kram.
Griffiths: Ich höre eigentlich fast nichts Neues, höchstens es ist live. Ich stehe mehr auf meine alten Sachen, die ich noch auf Vinyl habe.

motor.de: Ihr meintet mal, dass man Archive eher alleine höre sollte – warum das?

Griffiths: Ja…das ist mehr so ein Tipp, weil es mir oft so geht. Ich kann mich sonst nicht richtig auf die Musik konzentrieren. Wenn überall um einen rum Leute reden oder viel Action drum herum ist, finde ich das schwer. Das Album ist praktisch für Kopfhörer gemacht. Oder Autofahrten.
Berrier: Es ist einfach wirklich Musik für aufmerksame Hörer, nichts was man so im Hintergrund laufen lassen kann. Keine Radio taugliche Musik, nichts was man zum frühstücken hören sollte.

motor.de: Ihr habt auf eurer Homepage einen wirklich lustigen Videoblog…

Griffiths: Ja, das ist richtige Comedy! Wir wollten einfach mal irgendwas witziges machen. Auf Tour sitzt man so viel drinnen rum, wir hatten richtiges Pech und überall wo wir waren, war das Wetter total mies. Da wird man irgendwann ein bisschen zappelig. Also hat unser Drummer diese Videos gemacht, einfach um mal irgendwie ein bisschen Spaß zu haben.
Berrier: Ja, aber eigentlich geht es uns schon um die Musik. Die Leute bekommen auf diese Weise auch einen kleinen Einblick wie das so läuft.

motor.de: Auf Tour habt ihr also viel Spaß oder?

Griffiths: Ja sicher! Das touren ist das tollste an der ganzen Sache. Es ist die reine Freude.

motor.de: Wie ist das so für Maria, sie ist die einzige Frau und hat wohl eine andere Art von Humor, jedenfalls ist sie bei den Späßen die ihr da treibt nie zu sehen…

Berrier: Naja, das stimmt schon. Sie lacht natürlich mit, aber wir sind einfach ein Haufen sehr verrückter Typen. Sie ist mehr sowas wie die große Schwester die eben auf uns aufpasst und schaut, dass wir es nicht zu weit treiben.

Interview: Mark Lomenick