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Arrested Development

Es gibt einem schon das Gefühl von Coolness und Schelmentum, wenn man die Ehre hat, von rein sachlich bleibenden Portiers im Berliner Kempinski, die einzig der Etikette verpflichtet sind, zu den zwei dort residierenden Arrested Development-Wortführer geleitet zu werden – und zu wissen, dass man für einen Moment der gediegenen Optik und Atmosphäre des Hauses ein wenig Streetstyle untermischen darf. Ein kindliches Vergnügen vielleicht, das ich mir mit zwei Über-30-Jährigen Daddys teilen darf, die in Schlabberklamotten vor Interviewbeginn erst noch schnell das Buffet ordentlich durchnehmen.

Man könnte meinen, die beiden Rapper Speech und Spencer hätten sich die neue Leichtigkeit des Seins, die das jüngste Album ‘Among The Trees’ ausstrahlt, in ihr Verhalten eingeschrieben. In der Tat: Nach 17 Jahren Arrested Development und dem hauptsächlich verfolgten Rezept ‘Musik als Politikum’, hat sich Bandkoordinator Speech alias Todd Thomas alias “der George Clinton der Band” mit eben dieser um weniger politische Schwere bemüht, um damit “den Stress vom Hörer zu nehmen und ihm zu erlauben, einfach zu genießen. Bisher wollten wir mit jedem Album etwas bewegen. Diesmal schrieben wir eine Platte nur für uns, als Ausdruck unserer selbst, und das ist im Fall von Among The Trees’ eben ein bisschen lighter…” Und beim ersten Hören glaubt man das unterschreiben zu können, wenn Gitarre und Gesang in ‘Honeymoon’ bei uns einen Bündel schwebender weißer Ballons aufruft oder wir den Tenor von ‘In The Sun’ für so-was-von-auf-der-Hand-liegend befinden und denken, wie einfach, wie leicht wie Luftschokolodade doch alles sein kann.

Aber: Wir Schreiber lassen nicht locker, und so war die Überlegung, dass tatsächlich A.D. nach ernüchternder Bilanz Verdruss darüber schieben würde, dass längst nicht alles wie gewollt erreicht und doch viel mehr Massen hätten bewegt werden können. Und überhaupt: Dass 19 erhobene Zeigefinger an dem Lauf der schlechten Dinge nicht rütteln können, den noch so großartigen musikalischen Lorbeeren zum Trotz. Die Antwort von Speech ist ein schlicht gelassenes “No, not at all”, und mit den folgenden Ausführungen wird mir klar, dass Jemandem, dessen eigener Name gewissenhaftes Programm ist, und der dieses auf die Band umlegt, keiner und nichts so schnell die Luft nimmt. Für Speech und Spencer gilt zwar nicht das Attribut, das etwa Zack de la Rocha anhängt, nämlich schon vom Umgang her bedingungslos “a ball of energy” zu sein (Gab von Blackalicious), aber auf nicht minder bestimmte Art geben sie den Eindruck einer Feder, die bei Druck Gegendruck entwickelt. Dieser Druck besteht in den Tücken des Lebens und Alltags, der sich jetzt einstellt, da man gereift ist und die Phase der Identitätssuche einen ersten Abschluss erfahren hat. Die Zeit des “fishing for religion”, wie noch auf dem Debütalbum, ist vorbei.

So offenbart sich, dass die politische Ambition bei Arrested Development nicht eliminiert werden kann. Sie gehört einfach untrennbar dazu und erfährt höchstens eine gestalterische Metamorphose, die übrigens durch ein äußerst glückliches Händchen erfolgt, auch wenn der Leadrapper bescheiden zurückweist, man könnte mit 17 Jahre Bandbestehen so etwas wie Evolution in technischer Hinsicht in Verbindung bringen: “Wir sind eher noch wie Höhlenmenschen, und überhaupt nicht technisch versiert.” Aber das glückliche Händchen reicht, denn es ist doch dafür zuständig gewesen, dass der aus der Bibel zitierte Albumtitel nicht zu große schwermütige Schatten wirft, sondern lediglich so etwas wie eine Frage stellt: Müssen wir, auch wenn wir Teil der Bäume, der Natur sind, uns vor Gott verstecken – “among the trees?” Auch bei Speech und Spencer und den Anderen lief Einiges gar nicht gut. “Der Fokus liegt darauf, Ruhe und Frieden zu finden.” Guten Hunger.

Text: Cordt von Oven

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