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Astra Kid

Das Ruhrgebiet ist auch nicht anders als Hamburg. Es gibt einen gewaltigen Fluss, viele Diskotheken, noch mehr Brücken und viele Dörfer, die zu einer großen Fläche verschmelzen. Mittendrin: Datteln. Laut Astra Kid „der größte Kanalknotenpunkt Europas“.

Wo viel Wasser fließt, da ist immer gute Musik. Memphis liegt am Mississippi, Liverpool an Mersey und Meer und auch New York liegt an einer Flussmündung. Das hat mit Astra Kid wenig zu tun, diese Berührungen sind zufälliger Natur, passen aber. Es geht nicht um die letzte Rockrevolution, sondern um die Liebe zu den Tönen. Um modernen Indierock mit zeitgemäßen deutschen Texten. Datteln ist ein Teil des Ruhrgebiets. Neben Metropolen wie Dortmund, Essen oder Bochum. Das Ruhrgebiet swingt. Jeden Abend spielt eine Band irgendwo, es ist nie zu weit weg zu den Clubs, viele Unis bringen immer wieder neue Studenten in die Städte. Astra Kid kennen das. Kommen urspünglich aus Datteln. Proben immer noch da, in der alten Grundschule von Pele, 23, dem Sänger und Gitarristen der Band.

Astra Kid sind keine Newcomer. Tragen kein „The“ im Namen und es gibt sie schon länger, „95 oder 96, ich weiß es nicht mehr so genau. Wir waren gerade auf einem Fehlfarben-Konzert in Essen“, sagt Pele, der gerade in Düsseldorf weilt. Das genaue Datum der Gründung ist auch nicht wichtig. Astra Kid leben im Hier und Jetzt. Und sie veröffentlichen mit „Müde, Ratlos, Ungekämmt“ eine der wohl wichtigsten deutschsprachigen Platten des Jahres 2003.

Hype? Großgelaber? Angeberei? Mitnichten! Astra Kid klingen cool. Modern. Auf den Punkt. Kommen nicht aus Prospekten, Casting-Katalogen, oder irgendwelchen Marketing-Meetings überarbeiteter Plattenfirmenmitarbeiter, die nach dem „neuen“ Sound suchen. Astra Kid sind ein funkelnder Stein im gewaltigen Geschmeide namens deutscher Indie-Rock. Mit Geschichte: back in the old days – 2000 – schaffte es der Clip „Planet Der Affen“ vom gleichnamigen Album (Tonhaus/PIAS) auf die VIVA ZWEI Rotation, vor allem wegen der Einstiegszeile: „Keine Lust und keine Zigaretten mehr“. Auch die Kritiken in der Presse waren gut – so konzertierten Astra Kid u.a. mit den Sportfreunden Stiller, Myballoon oder Uncle Ho mit anschließender Solotour.

Und sie spielten 2002 auf dem Immergut, dem wichtigsten deutschen Indie-Festival. Da, wo alle sind. Der Pflichttermin. Das Siegelzeichen für jede deutschsprachige Band. Und das ohne neue Single, neues Album oder kommende Veröffentlichung. Wegen ihrer damals zwei Jahre alten Aufnahmen. Vor dem 03er-Immergut erklärte Pele: „Wir haben uns dort, glaube ich, zu sehr zu Hause gefühlt, da waren nette Leute und äußerst viele Menschen, die wegen der Musik da waren.“ Außerdem lobte er die „fantastische Bewirtung und natürlich die besten Bands der Welt.“ Und das in Neustrelitz, das zu Indierock so gehört wie betrunkene Eifelbewohner zu Rock am Ring. Obwohl er gar nicht spielte, reiste Pele erst Ende Mai diesen Jahres wieder die rund 700 km an die Mecklenburger Seenplatte. Zusammen mit Ruhrgebiets-Oasis-Ultras. Um zu Hause zu sein. Bei der Liebe zu den Tönen. Bei allen, die genau so sind wie wir alle und er und seine Band. Auf einmal stand er auf der Bühne. Pele gab beim wohl besten Gig auf der Großen Bühne, Miles, einen der wenigen ausgesuchten Backingsänger – neben Zac Johnson von Readymade.

Zurück ins Ruhrgebiet, zurück zu „Müde, Ratlos, Ungekämmt“. In den 15 Songs gibt es keine Klischees über Schrebergärten, Pils, leere Zechengelände, Fußball, oder uralten Metal. Ganz und gar nicht. Wie z.B. „Am Kanal“: „Wir liegen am Kanal. Es ist niemand hier, nur ein paar Enten ziehen vorbei. Wir liegen am Kanal. Naherholungsgebietsromantik für uns zwei.“ Oder „Parken In Münster“: „… ich bin auf der Suche… Hier tragen die Fahrräder Cord“. Das ist das Ruhrgebiet, weit weg von Grönemeyer oder Sat-1-Reportagen! The Old Days are over! Als erste Single gibt es „Schwarzfahren“, einen zuckenden Song über das Bahnfahren mit Gras in der Tasche. So ist das Leben. Überall. Nicht nur in den vier großen Metropolen. Auch an der Ruhr.

Musik hat immer mit Reisen zu tun. Nicht nur auf Tournee oder für Promotermine – auch für die Aufnahmen zog es Astra Kid weit weg, in eine Scheune in der Nähe von Schweinfurt. Drei Monate arbeitete man mit Sven „Sveniman“ Peks, den einige vielleicht wegen seiner Arbeit für “The Electric Club” kennen. Man entschied sich für Sven „wegen gleicher Vorstellungen und menschlicher Übereinkunft“, wie Pele erklärt. Gemeinsam erschuf man einen gewachsenen Indierock-Hybriden. Mit mächtigen Arrangements, klarer Produktion und Slogans für uns uns alle. Astra Kid sind im Hauptstudium. Klarer. Verständlicher. Offener. Pele: „Neue Stücke entstehen immer so, wie ich mich fühle. Und ich glaube, ich habe mich im letzten Jahr mal besser gefühlt.“

Pele schreibt die Songs nicht im Alleingang. Er gibt Skizzen vor und schreibt die meisten Texte: „Auf dem neuen Album hat auch mein Bruder [Christian, 27, Gitarre, Gesang] zwei Stücke getextet und vertont! Die eigentliche Musik entsteht dann in absoluter Kooperation innerhalb der Band“, sagt Pele. Und natürlich mit dem Wasser des Ruhrgebietes: Bier.

Astra Kid, das sind:
Stefan Götzer, Gesang, Gitarre
Christian, Gitarre, Gesang
Andre Raschke, Bass, Gesang
Marc Baumann, Schlagzeug.

Nur noch Marc lebt in Datteln. Alle anderen sind längst umgezogen. Dortmund, Essen, Bochum. Und studieren. Grafik/Design. Elektrotechnik. Geschichte. Oder so. Aber sie machen Musik. Für sich. Dich. Mich. Und alle anderen.

Rocco Clein

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