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Athlete

In einem Hinterzimmer im Londoner Stadtteil Deptford sitzen die vier Jungs von Athlete und versuchen die Entwicklung zu beschreiben, die zu „Tourist“ geführt hat, ihrem zweiten und höchst vorzüglichen Album. „Das letzte Album bestand doch nur aus verschrobenem Pop, auch wenn es guter verschrobener Pop war“, konstatiert Steve. „Zweifellos stimme ich da mit den 250.000 Fans, die unser Album ‚Vehicles And Animals’ gekauft haben, ebenso überein wie mit der Jury, die es für den Mercury Award nominiert hat. Aber wir wollten uns auch weiter nach vorne pushen.“ „Wir lieben auf jeden Fall Melodien“, ergänzt Joel, „aber Pop als solches wäre für die neue Platte einfach nicht genug gewesen.“

Bereits in der zweiten Hälfte des Jahres 2003 schmiedeten Carey, Joel, Steve und Tim Pläne für das Nachfolgewerk ihres Debütalbums, das gerade mal einige Monate zuvor veröffentlicht worden war. Athlete setzten sich zwei Ziele. Das erste Ziel war, dass ihre Musik viel reicher klingen sollte. „Wir spielten uns gegenseitig einfach unsere Lieblingsalben vor, um herauszufinden, was wir an ihnen besonders mochten und wie wir das in unserer Musik umsetzen könnten“, erklärt Joel. Sie schätzten vor allem die Simplizität von Massive Attacks „Mezzanione“ („erzeugt fast mühelos Emotionen“), die Streicherpassagen auf Becks „Sea Change“ („die sind nicht bloß eingefügt, die machen auch Sinn“) und die Stimmung des Flaming-Lips-Albums „The Soft Bulletin“ („es ist einfach großartig, mächtig und schön“). Auch die wunderbare Balance zwischen einem wuchtigen Sound und einfach gehaltenen Lyrics, wie sie Neil Young immer wieder gelingt, hatte in gewisser Weise Einfluss. Denn das zweite erklärte Ziel war, mit den eigenen Songs persönlicher zu werden. „Lasst uns ehrlicher und offener sein“, benennt Joel das einhellige Credo der Band.

Doch zunächst galt es, die zwei Jahre zu verarbeiten, die das junge Quartett fast kontinuierlich auf Achse sprich auf Tournee war. Die vier Musiker, die sich schon seit ihrer Jugend kennen, gaben bereits im März 2002 einige Konzerte in einem Pub in ihrem Stadtviertel Debtford und veröffentlichten zugleich in kleiner Auflage ihre erste Single: „Westside“. Damals waren sie noch meilenweit davon entfernt, ihr Album „Vehicles & Animals“ unter Dach und Fach zu haben, aber die ersten Konzerte gaben ihnen enormen Auftrieb. Fast 200 Konzerte später, im Januar 2004, wurden Athlete bei einem restlos ausverkauften Konzert in der Brixton Academy bereits triumphal empfangen.

Der Erfolg ist bei Athlete in den letzten zwei Jahren peu à peu gekommen. „Wir haben gelernt, geduldig zu sein“, gibt Tim zu. Tatsächlich waren Athlete nie eine Band, um die ein großer Hype gemacht wurde. Der gute Ruf der Band wuchs mit jedem Konzert. Und mit jeder Singleveröffentlichung wurde die Anhängerschaft ein wenig größer, vor allem mit dem coolen „You Got The Style“. „Ich glaube, wir haben uns eine Fanbase so aufgebaut, wie es Bands vor Jahren gemacht haben. Statt sich von irgendwem erzählen zu lassen, uns zu mögen, haben die Leute uns selbst entdeckt.“ Nach der Veröffentlichung von „Vehicles & Animals“ im Frühjahr des Jahres 2003 folgte ein strahlender Sommer, bei dem die Band sowohl in Glastonbury als auch beim T In The Park Festival ihre Aufwartung machte und für ihre euphorischen Auftritte gefeiert wurde. Und die Nominierung für den Mercury Award ließ die Albumverkäufe sprunghaft steigen: Innerhalb von zwei Wochen wurde aus Silber Gold. Und von da an verkaufte es sich stetig weiter. „Ich glaube, es gibt bei den Mercurys in jedem Jahr einen Underdog, der darauf wartet, entdeckt zu werden“, mutmaßt Steve. „In diesem Jahr waren wir es. Als wir am Ende des Sommers beim V-Festival spielten, schien jeder unsere Platte zu kennen“, erinnert sich Joel. „Es war eine riesige Menge von 20.000 Menschen, die alle mitsangen.“

Athlete haben nach ihren denkwürdigen Festivalauftritten noch manche Tournee bestritten. Viele der Songs des neuen Albums entstanden unterwegs, daher rührt auch der Albumtitel. Aufgenommen haben sie das Album in Sussex und London, abgemischt wurde es in New York. Wie auf „Vehicles & Animals“ funkeln hier die Gitarrenmelodien, doch das neu gewonnene Selbstvertrauen schlägt sich vor allem in den mutigeren Arrangements nieder. Athlete haben ihre Songs, die früher noch ein wenig spröde gewirkt haben mögen, mit prachtvollen Chören und Streichern verziert, sie haben eine wunderbare Balance zwischen elektronischer Spielerei und erdiger Gitarrenarbeit gefunden. Ihr Produzent Victor Van Vugt forderte sie kontinuierlich heraus, das Beste aus jedem einzelnen Song herauszuholen. Und schon der Opener „Chances“ demonstriert mit seinem sanften Piano-Intro, das nur ein kleines Vorspiel zu dem orchestral ausladenden Song ist, dass Athlete nach opulenten Melodien Ausschau gehalten haben, die unmerkliche Bögen schlagen und mit etlichen Bonmots aufwarten. So überrascht „Half Light“ mit jubilierenden Flöten, ein Gospelchor bildet das Crescendo zu „I Found Out“, bei „Modern Mafia“ bestimmt ein Glockenspiel den Rhythmus wie bei einer Schlittenfahrt und selbst das schlichte akustische Finale „I Love You“ mündet in einem Meer sanfter elektronischer Dissonanzen. Dass Songs wie „Yesterday Threw Everything At Me“ unweigerlich eine Affinität zu Coldplay aufweisen, dürfte die Band gerne in Kauf nehmen.

Alle Songs sind zudem geprägt von frappierender Offenheit und Ehrlichkeit, die dem Album einen weiteren natürlichen und sehr berührenden Charakter verleihen. „Das Album spiegelt wirklich unsere Erfahrungen wider“, bestätigt Joel. „Es handelt über weite Strecken davon, wie wir es genossen haben, auf Tour zu sein und die erstaunlichsten Sachen erlebt haben, aber auch davon, wie sehr man sein Zuhause vermisst und wie schwierig es ist, Beziehungen zu pflegen.“ Carey ergänzt: „An manchen Stellen ist es auch düster und konfrontiert einen mit der harten Wirklichkeit, aber gleichzeitig ist es schön, hoffnungsvoll und erhebend.“

Die Single „Wires“, die in Großbritannien auf Anhieb den Sprung in die Top 5 schaffte und zum meistgespielten Song bei den britischen Radiosendern avancierte, ist ein hervorragendes Beispiel für dieses Gefühl der Erhabenheit. Dabei basiert der Song auf einem traumatischen Erlebnis. Die Tochter von Joel war nach ihrer Geburt mit Herzproblemen auf der Intensivstation eingeliefert worden. „Der Song beschreibt die Momente, in denen man um das Leben von jemanden bangt, den man liebt“, so Joel, „aber auch das Gefühl der Erlösung, wenn man erfährt, dass alles gut wird.“ „Wires“ ist der bis dato größte Erfolg von Athlete und auch das Album „Tourist“ zählt zu den heißen Kandidaten auf die Spitzenposition der UK-Charts. Es überrascht kaum, dass die Band mit ihrem Album hoch zufrieden ist. „Wir hatten das Ziel, dass das Album reich und ehrlich ist und haben nun das Gefühl, unsere eigenen Erwartungen weit übertroffen zu haben“, erklärt Joel. Und Steve fügt hinzu: „Wir wollten, dass das Album Soul hat, dass es einen richtig bewegt. Ich denke, das ist uns gelungen.“

Tim, der eigentlich nie viel Worte macht, erklärt abschließend: „Wir haben alles, was wir konnten, in das Album hineingesteckt und es hat sich alles wunderbar zusammengefügt. Ich bin ehrlich davon überzeugt, dass wir das nächste Level erreicht haben. Selbst in 20 Jahren werde ich wohl noch unglaublich stolz darauf sein.“ Dabei kann man sich sicher sein, dass Athlete mit „Tourist“ im Hier und Jetzt auf Massen entzückter Fans treffen werden. Für die Konzerte nimmt man sich besser ein Ersatzfeuerzeug mit. A real Bic experience.

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