Indie-Sommerhit, wo steckste?
In den letzten 5 Jahren konnten wir uns, egal was in der Musikwelt passierte, sicher sein, dass zumindest eine – nunja – gitarrengetriebene, Band am musikalischen Horizont erscheint. Und uns anstelle von Zigarettenwerbung wissen lässt: Du bist frei. Jung. Wunderschön. Dir stehen alle Grenzen offen. Also Tanz, damn it!
Ebendiese Band bringt dazu ein Video auf den Markt mit schönsten Lomo-Farben, langsamem Start, schlichten starken Vocals – zwei Zeilen lang über einer Synthielinie – einer fingergepickten Gitarrenlinie. Wenn du mit dem Song im Ohr auf deinem stereotypischen Fixie / Hollandrad den Berg hochgefahren bist und wie der Bezwinger ziemlich erschöpft auf all das schaust, was vor dir liegt, setzt zum Ende der ersten Strophe langsam die Basedrum ein. Boom boom, wie das Herz.
Da da bis jetzt nichts kam, was Vodafone/Apple/Mixbier-Werbung für sich verwursteln konnten, checken wir die Lage und stellen euch 5 Anwärter auf den Indie-Thron vor. Messwert ist die anhand folgender, klassischer Indie-Sommerhit-Merkmale errungene Punktzahl:
– Video mit Gegenlicht und Lomo-Farben
– lange Locken
– musikalisch: langsamer Start, schlichte starke Vocals über einer Synthielinie / Fingerpicking der Gitarre
– weite Wildnis à la Into The Wild
– Lagerfeuer
– Street Art
– Road Trips
– Kissen-/Heu-/Schlamm-Schlachten
Anna of The North – Sway : 5/8
"Of The North" verheißt wenig Sommerliches. Erwartungsgemäß steckt hinter diesem Projekt eine norwegische Stimme, genau die von Anna Lotterud unter Zuhilfenahme des neuseeländischen Produzenten Brady Daniell-Smith, der für den dream-poppigen (hier ausnahmsweise mal Beleidigung, sondern Einladung zu: "Sway. Just move with me, Baby") musikalischen Fliegenteppich sorgt.
Im Video (eingeleitet mit momentan obligatorischer Beschriftung – steht ja auch nicht im Titel) komtm sie wohl von einer durchzechten Nacht, nimmt sich aber keinen Typen mit nach Hause, sondern die Zeit die Stadt ein bisschen zu erkunden. Sonnenaufgang gucken, alle Brückengitter berühren, ins Gras legen. An Street Art, Stahlgerüsten und dem besten Aussicht der Stadt vorbei lässt sich der Sonntag sowieso besser verbringen als mit dem Kater-Döner auf dem Sofa.
Close Talker – The West Was Won: 5/8
Für den gewählten Song "The West Was Won" hüllt sich Close Talker videotechnisch uns gegenüber in Schweigen. Dann einfach: Ton bei Youtube aus, Spotify Sound an:
Ziemlich Lo-Fi, dieses Video, dennoch voll auf die Zwölf unserer Erwartungen: Fahrräder, Girls in Shorts, Fluss, Paddel, Lagerfeuer. "Oh oh oh oh"-Choral Gesänge. Hinter Close Talker stecken Will Quiring, Matthew Kopperud, Chris Morien und Jerms Olson, die ihre Kanu-Fertigkeiten seit Kindheitstagen in der kanadischen Provinz Saskatchewan geprobt haben könnten.
Petite Meller – Backpack 4/7
-Petite Meller – "Backpack" from Los Animals on Vimeo.
Zugegebenermaßen ist "Backpack" schon "alt", bzw. aus dem letzten Jahr, dennoch hat die Pariserin mit ihrem noveau-jazzy-pop – wie sie ihn selbst nennt – noch nicht ausreichend Fame abbekommen. Petite Meller macht mit einer seltsam-schöner Kleiderauswahl dieses Video zum sommerlich-cineastischen Moment. Ihre personifizierte Mischung aus niedlich und freakig einer Porzellanpuppe könnte sie zur neuen, authentischeren Lady Gaga werden lassen, denn: mit Kunst war Petite Meller tatsächlich länger vertraut als Gagas Verschwesterungsplänen mit Marina Abramovic & Co. andauern.
Neben Modeljobs für u.a. die ELLE, Vogue und L'oreal hat die Gute noch schnell ein Philosophiestudium absolviert. Außerdem: Jeder, der bildlich erfolgreich Jean Luc Godards "Außer Atem" zitiert und es schafft, Badekappen aus dem Fundus von Wes Anderson cool aussehen zu lassen, sollte gehyped werden.
Vance Joy – First Time 3/7
Vance Joy – First Time on MUZU.TV.
Auch wenn eigentlich alles (z.B. das Uhuuuhuuuh von Radical Face's "The Mute" oder "Welcome Home, Son") von dem lustigen Vagabunden (Gitarre plus Fußschelle), Cat Stevens ( "The deepest cut is the first time" – clever umgestellt, merken wir aber trotzdem…) und Mumford & Sons geklaut wurde (sogar die Hemden!), geht der Song in den Kopf und bleibt da – und so soll's in der Werbung und deinem Sommerkopf ja sein.
Kaleo – All The Pretty Girls
Ein Falsett wie Justin Vernon, lange Locken, ein Roadtrip, all die schönen barfüßigen Sommersprossenmädchen, Lagerfeuer und eine Heuschlacht. Als hätten Kaleo das Video mit dem Anspruch gedreht, allen Gitarren-Lovers dieser Welt, denen von MDMA-ten-Hand-Clap-Tänzern der TOT DES INDIE vorhergesagt wurde, wieder Hoffnung geben zu wollen.
Die Isländer mit dem gar nicht so isländischen Sound (man denke an Sigur Rós, Björk, Olafur Arnalds und ihren atmosphörischen Klang-Mix) aus Indie, Folk und Rock, der gerade so retro wie unsere kürzlich verblassten Erinnerungen an durchknutschte Sommernächte unter'm Sternenhimmel ist, gefallen uns sehr!
(Foto: ashappyaskings.tumblr.com)
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