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Auf´s Festival mit dem Catering

Mit den Freunden auf´s Festival kann jeder. Nachdem wir schon darüber berichtet hatten, wie es ist, mit den eigenen Eltern das Primavera zu besuchen, schauen wir uns dieses Mal das Groezrock aus der Perspektive des Caterings an.

Ich will ganz ehrlich sein – ich hasse Festivals. Diese Anhäufung betrunkener und sich konstant daneben benehmender Menschen ist mir ein absoluter Graus. So war es schon immer. Trotzdem habe ich als Teenager jedes Jahr mindestens einmal den Reiserucksack samt Zelt und Schlafsack zusammengepackt und mich freiwillig in die Matschhölle irgendeines Ackers in Deutschland  begeben und mir drei Tage die volle Festivaldröhnung gegeben. Warum? Weil ich aus einer provinziellen Beamtenstadt in Unterfranken komme, um die jede Band, die auch nur ansatzweise cool ist, zurecht einen großen Bogen macht. Dieses Defizit wollte irgendwie ausgeglichen werden. Also habe ich mich damit abgefunden, ein Wochenende lang eine Umgebung zu ertragen, gegen die sich alles in mir sträubt, dafür allerdings innerhalb von ein paar Tagen gleich einen ganzen Haufen Lieblingsbands live zu sehen. Guter Deal, dachte ich mir damals und schnürte mit Märtyrerherz jedes Jahr aufs Neue die Dreck, Fäkalien und Bier abweisenden Stiefel.

Seit ein paar Jahren wohne ich in der Großstadt und muss um ein gutes Konzert zu sehen höchstens 15 Minuten mit der Bahn fahren. Damit hatten Festivals für mich ihren Zweck verloren und ich schüttelte überheblich den Kopf angesichts all derjenigen, die sich diesen Unfug weiterhin freiwillig antaten. Bis Ende letzten Jahres, als so langsam die Bestätigungen für den Festivalsommer 2015 in meinen Facebook Feed tröpfelten. Denn da sah ich es: American Nightmare, legendäre Hardcore Punk Band aus Boston – Reunion – einzige Show auf europäischen Festland – auf dem Groezrock Festival in Belgien. Dass ich dieses Konzert sehen muss, stand außer Frage. Doch der Gedanke, wieder ein Festival mit all dem Dreck und den anstrengenden Menschen zu besuchen, trübte die Vorfreude auf die Show. Irgendwie musste sich das alles doch umgehen lassen.

Also heuerte ich beim Catering an. Crew Camping, Gratis Festival Ticket und Essen umsonst – das alles klang mehr als verlockend. Es löste außerdem ein weiteres Problem, dass ich auf Festivals immer hatte, denn als Veganer hatte ich auf  der Grillfleischdomäne Campingplatz sogar noch weniger zu essen, als zu lachen. Gut, dass “Just Like Your Mom” ein komplett veganes Catering ist – Burger, Sushi, Kebab, Kuchen und Desserts, alles frei von Tierleid.

 

“Just Like Your Mom” gibt es seit 2006 und das Catering “Unternehmen”, das eigentlich ein Haufen Freunde mit ähnlichen Ambitionen und Vorstellungen ist, hat seine Wurzeln tief in der Punk und Hardcore Szene Europas. Entsprechend flach waren die hierarchischen Strukturen, die mir begegneten, als ich am Donnerstag Abend auf dem Festivalgelände in Meerhout eintraf. Keine Befehle oder gehetzte Koordination, sondern ein warmes Willkommen in Form einer gemeinsamen Mahlzeit, bei der sich die Teammitglieder erstmal kennen lernen sollten. Schnell stellte sich heraus, wie viele Gemeinsamkeiten innerhalb des ausgesprochen internationalen Teams existierten. Die meisten lebten vegan, kamen aus der Punk Szene und freuten sich neben den Bands vor allem darauf, durch die Arbeit beim Catering ihren Beitrag zur Weiterverbreitung der veganen Idee leisten zu können.

So wohlgenährt ertrug ich dann auch die erste Nacht im Zelt und schaffte es, mir am nächsten Tag vor meiner ersten Schicht noch Beach Slang und Joyce Manor anzusehen. Mir wurde am Abend zuvor noch prophezeit, dass ich als Neuling wohl erstmal Dienst am Kebab Grill werde leisten müssen – und so kam es auch. Sechs Stunden lang briet ich eine Packung Kebabfleisch nach der anderen – an zwei Pfannen gleichzeitig. Da dieses gekühlt bis gefroren gelagert wird, bestand die Herausforderung daraus, es gleichmäßig anzubraten, so dass weder kaltes, noch verbranntes Sojafleisch in den Kebabwraps landet. Ach ja und die Sache mit dem Öl. Andere Menschen finden es echt nicht witzig, wenn man ständig mit heißem Öl um sich spritzt – auf die Dosis des Öls will geachtet werden, sonst gibt es eine Sauerei und fluchende MitarbeiterInnen. Das war eine der Sachen, die vielleicht selbstverständlich klingen, für mich als eher mittelmäßiger Koch allerdings wichtig zu lernen waren. Das und die Tatsache, dass solche Riesenpfannen mit der Zeit verdammt schwer werden – nicht nur für halbe Hemden wie mich.

Ich war letztes Jahr einen Tag lang auf dem Groezrock Festival und schon damals war ich erstaunt über den Andrang, der rund um die Uhr vor dem “Just Like Your Mom” Zelt herrschte. Angesichts dem, was die anderen Zelte an Essen anboten, war es dann wiederum doch nicht verwunderlich. Aufgewärmte Pizzabrötchen und ranzige Bratwürste sehen gegen das breite Angebot von “Just Like Your Mom” dann doch sehr alt aus.

“Alles ist frisch, alles ist selbstgemacht”, sagt Sandra. “Unser Chili Burger zum Beispiel ist vegan, bio, ohne Soja oder Gluten und sehr lecker!” 

Natürlich ist es illusorisch davon auszugehen, dass alle, die Essen an unserem Zelt kaufen vegan leben, aber es zeigt doch, dass sich die meisten Menschen, unabhängig von ihren sonstigen Essgewohnheiten für die abwechslungsreichere und gesündere Alternative entscheiden, wenn sie die Wahl haben. Unter Umständen, unter denen normalerweise das Motto “Hauptsache Spaß und Bier” gilt, hätte ich das ehrlich gesagt nicht erwartet. Gefreut hat es mich natürlich trotzdem.

Mit diesem Ansturm mussten wir dann allerdings auch fertig werden. Wann immer ich von meinen Pfannen aufblickte und zu meinem Team herüber schaute, sah ich sie konzentriert Wrap nach Wrap falten und verkaufen. Vor dem Zelt eine nicht abreißen wollende Schlange Menschen. Mit fortschreitender Uhrzeit beunruhigte mich das allerdings, denn ich hatte gehofft in einer ruhigeren Phase ein paar Minuten Pause machen zu können, um zumindest einen Teil des Ceremony Sets sehen zu können. Doch kaum hatte ich diese Sorge geäußert, boten sich drei meiner Kollegen an, mich zu vertreten. Sie drängten mich quasi dazu und so konnte ich entspannt von der Bühne aus fünfzehn Minuten eindrucksvolles Chaos genießen. Nach dem Set kam dann sogar Sänger Ross Farrar ins “Just Like Your Mom” Zelt, um einen Kebab zu essen und sich überschwänglich bei allen für ihren Beitrag zum Festival zu bedanken.

Die Nachfrage war so groß, dass wir an diesem ersten Tag erst eine Stunde später als geplant schließen konnten, da die Zelte auch nachdem die letzte Band gespielt hatte ununterbrochen hungrige Menschen an unsere Tresen spülten. Sehr zum Missfallen derjenigen, die neben unserem Essen auch dem Alkohol ordentlich zugesagt hatten. Ein Belgier stand minutenlang ungläubig vor unserem Zelt und erkundigte sich mehrmals, ob auch wirklich nichts mehr verkauft werden würde. Schließlich verwandelte sich seine Enttäuschung in einen Wutanfall und er stampfte, seinen Bierbecher in unser Zelt feuernd davon.

Als ich nach dem Aufräumen und Putzen endlich erschöpft in meinem Schlafsack lag, störte mich nicht einmal die Tatsache, dass mein Zelt, dank meines Tagewerkes müffelte wie eine Fritteuse. Dem Wummern des Partyzeltes lauschend überlegte ich, ob ich wohl grade eines der Geheimnisse zum Überleben auf Festivals entdeckt hatte – man muss sich nur so verausgaben, dass einen nichts mehr wirklich stört. Ob das nun durch Alkohol oder Kebab braten geschieht, ist letztlich auch egal.

Der zweite Tag begann für mich sehr entspannt, da ich erst zur Mittagsschicht bei “Just Like Your Mom” anzutreten hatte. Das nutze ich, um mit einem Kaffee über das sonnige, noch menschenleere Festivalgelände zu spazieren. Es ist bemerkenswert, wie Menschenmassen einen Ort in der eigenen Wahrnehmung schrumpfen lassen. Erst wenn sie fehlen, merkt man wie weitläufig alles tatsächlich ist. So streunte ich herum, bis mich ein vertrautes Gitarrenriff in Richtung Main Stage lockte. Ich kam gerade rechtzeitig, um den letzten beiden Songs des Refused Soundchecks zuhören zu können. Auch wenn ich seit den unzähligen Reunions längst nicht mehr so viel für die Band übrig habe, wie früher, freute ich mich über dieses besondere Erlebnis und kam nicht umhin zu bewundern, wie großartig die Schweden auf der großen Bühne klangen.

Zurück im Catering Zelt wurde das Kebab Team vom Vortag wiedervereinigt, das Grillen übernahm diesmal jedoch zum Glück ein anderer. Stattdessen landete ich ganz vorne an der Theke des Zeltes um die Wraps zu verkaufen. Ich bin mir sicher, dass ich in den vier Stunden in denen ich dort stand, jede Besucherin und jeden Besucher des Festivals drei mal gesehen habe, so groß war der Andrang. Auch wenn die Arbeit ähnlich repetitive Elemente an sich hatte, bot sie jedoch die Möglichkeit direkt mit den BesucherInnen zu interagieren, was dazu führte, dass ich mit Komplimenten überhäuft wurde. Das Essen sei das Beste überhaupt und man sei schon zum dritten Mal heute hier (ach was?!). Es war wirklich toll mitzuerleben.

Nach meiner Schicht habe ich dann schließlich American Nightmare gesehen und es war alles, was ich mir erhofft hatte. Es war wie ein Kreis, der sich endlich schloss, nachdem mich diese Band so lange begleitet hatte. Und es schien, als wolle die Band auch genau das mit dem Konzert erreichen. Eine Lücke schließen, die Songs für sich sprechen lassen. Denn es gab keine Gerede, keine Ansagen, kein “danke Groezrock, ihr seid großartig”. American Nightmare boten die Musik dar und das Publikum antwortete mit stage dives und sing alongs – einen anderen Austausch von Emotionen braucht ein Konzert nicht.

Habe ich mich durch meine Arbeit für das Catering mit dem Prinzip Festival versöhnt? Eher nicht. Aber ich habe einige lohnende Erfahrungen gemacht, eine neue Perspektive gewonnen und gelernt, wie viel Arbeit hinter dem reibungslosen Ablauf eines solchen Großereignisses steckt. 6 Gerichte pro Minute, 409 pro Stunde – ich finde, wir haben ganze Arbeit geleistet.

Paul Hemminger

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