Text/ Bilder: Helene Halben
Keine Kompromisse, Couchsurfing, Freundschaften für den Moment, Sekunden-Liebe: Welcome To Sweden With no Strings Attached!
So ein bisschen wie Carry Bradshaw in der Sex And The City Folge, in der sie ein Date mit New York hat (geht alleine ins Kino, isst alleine in Restaurants blabla!), fühle ich mich, wenn ich alleine auf ein Festival gehe. Es ist für mich nicht das erste und auch bestimmt nicht das letzte Mal!
Das Way Out West Festival findet seid 2007 im „Slottskogen“ statt, einem riesigen Park in der Mitte von Göteborg. Abends wird es dann zum Stay Out West Festival und zieht auf den „Bananenpiren“ (oder Festival-Slang: „the banana pier“) und in die Clubs Göteborgs.
Hostels und Hotels sind schon seit Ewigkeiten an diesem Wochenende ausgebucht. Ist ja aber gar kein Problem, ich muss ja nur mich selbst unterbringen. Schnell habe ich eine Couch für die erste Nacht und eine weitere für die restlichen Tage, auf der ich surfen kann.
Frei wie ein Vogel fliege ich also von Berlin nach Göteborg und merke schon im Flugzeug, wie wunderbar einen die Schweden doch willkommen heißen. Neben mir sitzt ein Pärchen und fragt, woher ich denn kommen würde und was ich in Göteborg vorhabe. Dass ich alleine auf das Festival gehe und von Couch zu Couch surfe bei einem Freund eines Freundes einer Freundin einer Bekannten, macht die beiden ein bisschen unsicher und sie bieten mir an, dass ich mich sofort bei ihnen melden kann, wenn irgendetwas sein sollte, sie würden auch Freunde haben, die auch auf das Festival gehen. Ich versichere ihnen, dass es alles ganz wunderbar werden wird, aber trotzdem spüre ich ein zartes Gefühl von Abenteuer!
Erster Tag vor dem Eingang des Festivalgeländes, des Slattskogen-Parks: In der Schlange für das Festivalbändchen anstehend, treffe ich auf Alma und Carl. Zwei Freunde, die gemeinsam auf das Festival gehen, und sich ganz besonders auf Years & Years freuen und Patti Smith (Alma ist Archäologin und beschäftigt sich damit sogar auf professioneller Ebene mit Dinosauriern und Fossilien).
Wir unterhalten uns und werden Freunde, zumindest so eine Art von Freunden, wie man vielleicht auf dem Ponyhof in den Sommerferien Freunde wird. Wir bekommen alle unser Bändchen und setzen uns dann erst einmal ins Gras, so wie gefühlt das gesamte restliche Festival-Publikum. „Der Alkohol auf dem Festivalgelände ist noch teurer, als er ohnehin schon in Schweden ist, deshalb trinken wir so viel wie möglich vorher“, so Alma und Carl. Das ist auf jeden Fall die schwedische Art, endlich wieder ein Event wie Midsommar, bei dem man in der Gruppe zusammen Alkohol trinkt. Ich werde auf einen Weißwein in der PET-Flasche eingeladen!
Alleine auf ein Festival zu gehen bedeutet auch, sich in diesen Kurz-Freundschaften nicht selber zu verlieren. Deshalb verabschiede ich mich von Alma und Carl, nachdem wir Nummern ausgetauscht haben. Ich bin froh, ein VIP-Bändchen zu haben, weil ich so den Presseeingang benutzen kann. Erster Act des Festivals: Kindness. Es ist zwar nicht Berlin-38-Grad heiß, aber die Sonne wärmt schon.
Der Mann mit langen Haaren und schmaler Figur im blauen Anzug tanzt wie verrückt auf der Bühne zusammen mit den zwei Sängerinnen, derbe cooler Typ dieser Kindness.
Danach starten Belle & Sebastian mit ihren Song Nobody’s Empire auf der Flamingo-Stage. Ich höre ein bisschen zu, möchte aber pünktlich im Zelt der Linné-Stage sein, um Future Islands zu sehen. Direkt am ersten Tag spüre ich einen kleinen Rausch durch meine Unabhängigkeit (oder vielleicht durch die Vorfreude auf Future Islands, kann beides sein).
Danach will ich mir noch unbedingt Foxygen angucken, aber das, was da auf der Bühne zu sehen ist, hinterlässt das ganze Publikum eher verstört als euphorisiert. Der Sänger ist irgendwie nicht ganz bei sich oder er tut nur so, aber so richtig schön mit anzusehen ist das nicht. Ich hole mir was zu trinken und schaue mir dann The War On Drugs an. Erst vor, dann hinter und dann neben mir stehen zwei junge Männer, die jedes Lied zu kennen scheinen. Einer davon lächelt mir zu. Wir tanzen nebeneinander bis das Konzert zu Ende ist, dann trennen sich unsere Wege wieder.
Dann bekomme ich eine Nachricht von Alma und Carl und wir sehen uns zusammen mit ihren Freunden Fritjof und Cornelia Beck an. Er spielt einfach alles. Ich gehe zum Stand, wo es die leckeren Smålandsrullar (Rollen aus Småland) gibt und esse auf dem Weg zu FKA Twigs. Hammer diese Künstlerin und Tänzerin und dabei ist sie so zuckersüß und bescheiden.
Den Anfang des zweiten Tages macht Father John Misty. Schon auf dem Weg dahin laufe ich in einen Freund aus Stockholm, Ole über den Weg. Göteborg ist zwar die zweitgrößte Stadt Schwedens, aber trotzdem auch ein (Bullerby-) Dorf! Er klaut mir mein Wasser und stellt mich seinen Freunden vor (und nein, sie heißen nicht Lasse und Bosse), aber ich muss weiter und wieder in das magische Zelt der schönsten Momente. Kathleen Hanna hat es immer noch drauf und rockt die Show. Das Konzert von The Julie Ruin ist mein absolutes Highlight, weshalb ich mir als einziges Souvenir einen Beutel Kathleen Hannas neuer Band kaufe. In einer Songansage sagt sie: „Because sometimes running away is more important than being right. This song is about running your fucking legs off“ (#Notiz an mich selbst: coole Tattoo-Idee).
Ausruhen beim Oatly-Stand. Sponsor des Festivals ist das schwedische Unternehmen, was vegane Milchersatzprodukte aus Hafer macht und großzügiger Weise Oat-Shakes verteilt. Yuuuumm!
Überraschung des Tages: Tyler The Creator. So cool, so viel Fun. Auf seine Anweisungen hin wird gehüpft und gesungen und zusammen mit Alma, Carl und neuen Freunden machen wir alle fleißig mit.
Es ist 20:50 und das Gelände ist voll. So viele Menschen musste ich bis jetzt noch nicht umgehen. Alle drängeln sich vor der Azalea-Stage und ich hab Schwierigkeiten, Alma und Carl zu finden, mit denen ich mich verabredet habe (ja, ich weiß, ich hab auch selbst Schuld). Wir finden uns rechtzeitig, bevor eine weißgekleidete Gestalt mit roten Haaren auf die Bühne hüpft oder schwebt oder tanzt oder fliegt. Florence ist ein einziges Energiebündel und mich, die jetzt nicht der Hardcore Fan ist, hat sie innerhalb von drei Songs fest in ihren Bann; hui! Deshalb fällt es mir schwer zu sagen, dass ich jetzt gehe, um noch Flying Lotus zu erwischen.
Danach gehe ich zu Rhodes im Folkteatern und treffe auf eine schwedische Freundin, die auch in Berlin lebt. Zusammen mit Adna fahre ich mit dem Boot zum Banana-Pier und wir sehen den Schweden Jonathan Johansson und die Engländerin Shura. Dann sagen wir uns Gute Nacht und ich mache mich auf zu meiner Couch.
Tag drei beginnt später als die anderen und es regnet in der Stadt, die den Spitznamen Lillte London trägt.
Nirgendwo sonst habe ich ein so homogenes Publikum erlebt wie auf dem Way Out West Festival. Alle sehen aus, als hätten sie sich noch extra bei Monki und Weekday eingedeckt, die ältere Generation fand einen ausgefallenen Schnitt bei cos. Ich wandere über’s Gelände und beobachte, wie die sonst so modisch gekleideten Schweden jetzt in Regencapes durch die Gegend laufen. Auf dem Weg treffe ich Carl. Er überredet mich, mit ihm zu den anderen zu gehen, die bereits bei Patti Smith stehen.
Ok, auf die Gefahr hin, mir Feinde zu machen, muss ich sagen, dass mich Patti Smith nicht wirklich interessiert. Ich finde sie eigentlich überholt, was nicht heißt, dass sie nicht mal eine großartige Künstlerin war. Und doch, als sie dann in ihrer unfassbar grauenhaften Stimme mit dem Publikum spricht – sie hat die Lyrics vergessen – bringt sie alle dazu, sie noch mehr zu lieben und zu klatschen und zu feiern. Ich kann mich gar nicht wehren und bin völlig begeistert! Aber dann reicht’s auch und ich stehe 15 Minuten später ganz vorne vor der Flamingo-Stage. Alt-J haben anfangs wohl noch Probleme mit dem Sound, aber das perfekt eingespielte Team reproduziert dann getreu ihre Studioaufnahmen auf fetzige Art und Weise und haben zwischen zwei Songs noch Platz für ein „Thank you Way Out West. We love this festival.“
Meinen persönlichen Abschluss macht die Nordirin Soak. Sie sagt nicht viel und lässt eher ihre Musik sprechen. Am Ende des letzten Songs hockt sie nur auf dem Boden und verzerrt immer wieder den letzten Akkord, den sie auf ihrer Gitarre anschlägt und von einer Sekunde auf die andere lässt sie ihre Gitarre fallen und läuft von der Bühne und ihre beiden Bandmitglieder sind auch verschwunden. Nicht mal ein Gute Nacht. Irgendwie schön.
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