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Ausgeleuchtet statt moody, aber Hauptsache ehrlich: Kings Elliot über TikTok

Es gibt Apps, die sind lustiger Zeitvertreib, und es gibt Apps, die schaffen, es einen US-Präsidenten zu blamieren. TikTok schaffte es 2020 beides zu kombinieren, als eine Wahlkampfveranstaltung von Donald Trump fast ganz leer blieb, weil junge K-Pop Fans auf TikTok beschlossen hatten, die Tickets dafür zukaufen. Aber die App, die 2016 erschienen ist, hat auch noch eine ganz andere Qualität, denn viele Künstler*innen nutzen sie nicht nur, um auf ihre Musik aufmerksam zu machen, sondern auch, um wichtigen Themen eine größere Öffentlichkeit zu geben. Eine dieser Künstler*innen ist die 27 Jahre alt Kings Elliot. Die gebürtige Schweizerin gilt in ihrer Heimatstadt London als eine der aufregendsten Newcomerinnen und klärt auf TikTok über psychische Krankheiten auf. Ein Gespräch mit Kings über soziale Medien als Promo-Tool, Trends und den Schutz durch die eigene Kunstfigur.

motor.de: Die sozialen Medien sind inzwischen seit über zehn Jahren ein fester Bestandteil für den Erfolg von Künstler*innen – wie begegnest du als Künstlerin diesen Plattformen?

Kings: Ich finde das Großartige an dieser ganzen digitalen Welt ist, dass sie einem als Künstler*in auch ohne Plattenlabel Tausende von Türen öffnet. Zum Beispiel bei TikTok kannst du halt echt ohne Geld, ohne Follower viral gehen – einfach nur weil du über etwas redest, was für dich wichtig ist und durch diese Echtheit mit anderen Menschen connecten kann. Wenn du dann aus so einer Emotion heraus viral gehst, dann finden automatisch viele neue Menschen auch deine Musik. Ich merke selbst, wie die Videos, in denen ich einfache „speak my truth“-mäßig erzähle, viel besser ankommen. Durch die Freiheit, die die sozialen Medien den Künstler*innen geben, finde ich den Werdegang vieler Musiker*innen heutzutage viel inspirierender – einfach weil er vielschichtiger ist.

Der Kampf zwischen guter Performance und Ästhetik

motor.de: Empfindest du TikTok als Arbeit?

Kings: An manchen Tagen habe ich keine Lust zum Filmen, an anderen Tagen wiederum verbringe ich den ganzen Tag mit dem Planen und Umsetzten von TikTok-Videos. Ich muss dafür in der richtigen Stimmung sein, weil in so einem Video bist du ja in einer gewissen Hinsicht der Kamera und dem Urteil anderer ausgeliefert, dadurch kann ich die einfach nicht filmen, wenn ich gerade unsicher mit meinem Aussehen bin. Dieses direkte Sprechen in die Kamera ist auch ein ganz anderes Gefühl, als wenn du einfach singst und dabei gefilmt wirst.  Die technische Seite von TikTok ist dabei auch interessant zu sehen: So performen TikToks, die gut beleuchtet sind, wesentlich besser. Dass ist eine Tatsache, die in mir langezeit ein kleines Battle ausgelöst hat, weil eigentlich hätte ich es für mich und meine Musik gerne etwas mehr moody, aber irgendwann musste ich mir einfach eingestehen, dass wenn ich mich richtig beleuchte und was sage, was sehr deutlich ist, die Videos viel besser laufen.

motor.de: Wann hast du angefangen als Künstlerin Social Media zu verwenden?

Kings: Vor zwei Jahren hatte ich so einen First on Gig in der Schweiz und kurz davor habe ich angefangen zu dokumentieren, wie ich versucht habe mein Lampenfieber in den Griff zu bekommen. Es war echt furchtbar, ich hatte dann viel bei so open stages in Londoner pubs gespielt und musste wirklich oft vor dem pub weinen…. Aber durch diesen ehrlichen Prozess habe ich dann auch angefangen ein kleines Following zu gewinnen und noch wichtiger: ich hab gemerkt, dass es anderen Leuten auch so geht und dass es ihnen hilft zu sehen, wie ich damit umgehe.

motor.de: Du thematisierst nicht nur in deinen Songs deinen struggle mit deiner psychischen Gesundheit, sondern redest auch viel darüber auf deinem TikTok Kanal. Wieso ist es für dich wichtig gerade diese Thematik auf so einer Plattform zu besprechen?  

Kings: Eigentlich hatte ich immer Angst davor über meine psychischen Probleme, die ich bereits seit ich 13/14 Jahre alt bin habe, zu sprechen. Ich hatte damals immer das Gefühl, dass ich die Einzige mit diesen Problemen wäre, und zeitgleich war es mir unfassbar unangenehm darüber zu reden. Ich bin eigentlich als Person sehr aufgestellt, aber habe eben dennoch diese Dämonen in mir. Aber wenn du eben ansich eine recht aufgestellte Person bist, dann erwartet die Gesellschaft von dir, dass du diese Dämonen nicht hast und wenn du sie hast, dann ist das enttäuschend. Diese Erwartungen hatte ich immer als Druck auf mir lasten. Vor ca. vier Jahren habe ich nach meinem Umzug nach London angefangen, Lieder zu schreiben. Zuerst waren die Lieder, die ich mit anderen Leuten geschrieben habe, sogar happy Lieder – Also nicht wirklich happy, aber ich hatte versucht fröhlicher zu schreiben, weil mir die Musiklehrer am College gesagt hatten, dass es langweilig ist, wenn ich nur traurige Lieder schreibe. Aber das bin nicht ich und das habe ich inzwischen gelernt, denn am Ende bringt es niemandem etwas, wenn ich mich verstelle.

Als ich mir dann den Namen Kings gegeben habe, dann hat mich das befreit von dem Gefühl für mein wahres Ich verurteilt zu werden. Der Name hat mir erlaubt die ganze Wahrheit über meine psychischen Probleme zusagen, ohne dass ich mich dafür schämen muss. Vor ein paar Menschen, z.B. meiner Familie oder Menschen, mit denen ich aufgewachsen bin, ist mir dieser Part immer noch unangenehm, aber ich merke, wie es anderen hilft und wie befreiend es auch für mich ist, darüber zu sprechen, weshalb ich inzwischen einfach denke „fuck it ich red jetzt darüber und es ist scheiß egal was andere denken, egal ob die mich peinlich finden oder unangenehm oder was auch immer“ – denn am Ende geht es mir ja auch genau darum: Dieses beschämende und peinliche Stigma von psychischen Erkrankungen zu durchbrechen, weil auch wenn du ne aufgestellte Person bist, kannst du Panikattacken oder ne Persönlichkeitsstörung haben. Am Ende sind mentale Krankheiten nichts anderes als ein gebrochener Arm, der nun mal jedem passieren kann.


Ihr könnt Kings hier auf Instagram folgen und hier geht es zu ihrem Spotify Account.

Mareike Froitzheim

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