Katie Stelmanis ist mit ihrer Stimme das musikalische und kreative Zentrum der Band Austra. Was sie von Feminismus hält und wie ihre erste Barbie aussah, erzählt sie uns im motor.de-Interview.

Der Name der Band Austra bezieht sich zwar auf die lettische Göttin des Lichts, dennoch ist die Musik des Sextetts von einem düsteren und atmosphärischen Klangbild geprägt. Ihr Debüt “Feel It Break” aus dem letzten Jahr sorgte vor allem in europäischen Breitengraden für Euphorie auf den Tanzflächen. Zuvor agierte Frontfrau Katie Stelmanis als Solokünstlerin zehn Jahre lang im Bereich des Synthie-Pop. Die klassisch ausgebildete Sängerin und Pianistin aus Toronto sang bereits als Kind in einem kanadischen Opernchor. Als sie dann ihre Liebe für Punk, Industrial und elektronische Musik entdeckte, wechselte sie die Stilrichtung.

Auf der Bühne bietet sie ihrem Publikum mit Unterstützung der restlichen Austra-Formation eine extrovertierte Performance, mehrstimmige Gesangseinlagen und eine Stimmung zwischen Tanzlaune und Melancholie. Ihr Stimmvolumen ist währenddessen beeindruckend und rührend zugleich. Im Vorfeld ihres Konzerts im Leipziger Centraltheater, nahm sich Stelmanis eine halbe Stunde zwischen Fingerübungen am Klavier und lockernden Stimmaufwärmungen Zeit für ein Interview mit motor.de. Darin erzählt sie von ihren kindlichen Ängsten und berichtet, weshalb sie keine Furcht vor dem neuen Austra-Album hat.

motor.de: Wenn man sich mit Austra beschäftigt, bedeutet das gleichzeitig, dass man viel über Feminismus und Politik liest. Wie wichtig sind diese Themen für dich?

Katie Stelmanis: Mir persönlich ist das sehr wichtig, denn ich identifiziere mich selbst als Feministin und ich bin auch politisch. Das Konzept des Feminismus hat sich in den letzten 50 Jahren stark verändert und entwickelt sich seitdem stetig. Aber generell ist es wichtig zu verstehen, dass da immer noch viel verbessert werden muss. Frauen sind wesentlich freier heutzutage, kein Zweifel. Ich meine, das ist immer eine furchtbar komplizierte Sache: Denn es gibt mehr Frauen in Machtpositionen und die familiäre Dynamik hat sich verbessert, aber es ist noch nicht perfekt.

motor.de: Was denkst du über diese Entwicklungen?

Stelmanis: Ein großer Moment für Frauen war mit Sicherheit die Riot-Grrrl-Geschichte in den Neunzigern. Im Zuge der Bewegung erzielten mehr und mehr Frauen Erfolge in der Musikbranche, sodass ich heute viele Kolleginnen habe. Aber auf der anderen Seite machen sich viele auf die Rücksuche nach weiblichen Stereotypen – meine Bandmitglieder haben zum Beispiel alle dieses Spiel “Top Girl” auf ihrem iPod. Ich weiß nicht, ob du davon schon mal gehört hast, aber da ist man ein Charakter, ein Mädchen. Sie sieht aus wie eine Barbie-Puppe und will unbedingt Model werden. Sie gibt ihr gesamtes Geld für Klamotten aus, es gibt ein ‘Hotness-Rating’ und das Ziel ist, immer ‘heißer’ zu werden. Dieses Spiel wird von vielen Mädchen gespielt, ich hab das auch für eine Weile versucht, aber ich konnte das einfach nicht weitermachen. (lacht) Das fand ich einfach zu bescheuert.

motor.de: Hast du denn mit Barbies gespielt als Kind?

Stelmanis: Oh ja, ich glaube schon. Meine Mutter war immer eine ziemliche Feministin, deshalb war meine erste Barbie auch eine ‘African-American Doctor Barbie’ und sie hat versucht mich davon abzubringen. Aber als Kind liebte ich es, also hat sie mir die Freude gelassen.

Austra (live in Köln)

motor.de: Du bezeichnest dich selbst als ‘queer’, der Begriff ist nicht so einfach zu definieren. Was bedeutet er für dich und warum bist du eine queere Künstlerin?

Stelmanis: Für mich beinhaltet das Wort ‘queer’ sämtliche Aspekte jeder Form von Sexualität. Es ist einfach die alternative Version von Wörtern wie ‘schwul’ oder ‘lesbisch’, die offener und moderner klingt. Und ich bin offen für alles, deshalb würde ich mich als ‘queer’ bezeichnen.

motor.de: Wo wir gerade bei dem Thema sind, war dein Coming-Out eigentlich ein großes Problem für dich?

Stelmanis: Ich weiß nicht, als ich aufwuchs hatte ich bereits sehr viele Freunde, die homosexuell waren. Die wussten das schon früher als ich und sagten ständig solche Dinge zu mir wie ‘Du bist lesbisch, gib’s doch einfach zu’. Sie haben versucht mich zum Coming-Out zu führen und ich habe mich an den Gedanken gewöhnt. Ein richtiges Problem war es darum nie für mich.

motor.de: Und ist es nicht komisch, dass du ständig auf deine Sexualität angesprochen wirst?

Stelmanis: Ja, es ist schon ein wenig bizarr. Ich hätte nie geglaubt, dass der Fokus darauf liegen würde. Aber gleichzeitig möchte ich mich davor auch nicht verstecken, denn die Leute müssen sich daran gewöhnen, dass es so etwas gibt. Darum habe ich mich bewusst dazu entschieden, über diese Thematik zu sprechen.

motor.de: Du sagtest mal, dass dir der Klang von Worten wichtiger ist, als ihre Bedeutung. Ist das immer noch so, nachdem so viele Kritiker deine Texte nach tiefsinnigen Bedeutungen durchforstet haben?

Stelmanis:
Doch, das ist immer noch so. Ich halte die Texte gerne möglichst vage, damit die Menschen unterschiedliche Verknüpfungen herstellen können. Manche Lieder spiele ich jetzt schon seit vier oder fünf Jahren, die sind so alt. Ich war in einer ganz anderen Situation damals, als ich die geschrieben habe. Und, wenn ich die Stücke jetzt singe, stelle ich auf der Bühne auch einen ganz neuen Bezug dazu her. Ich mag einfach die Flexibilität der Worte sehr.

Austra – “Beat And The Pulse”





motor.de: Ihr habt in diesem Sommer ein paar Konzerte abgesagt, um am zweiten Album zu arbeiten. Gibt es denn schon nähere Pläne für die Platte?

Stelmanis: Das Album wird auf jeden Fall kollaborativer, denn wir werden die Songs diesmal mit der gesamten Band aufnehmen. Bei der ersten Platte hab ich ja fast alles alleine im Schlafzimmer entwickelt, jetzt ist Austra ein Gemeinschaftsprojekt. Ich will unseren Sound definitiv weiterentwickeln, aber diese Entwicklung ist ganz natürlich. Wenn man etwas so lange gemacht hat, möchte man halt auch mal andere musikalische Welten entdecken. Wobei meine Stimme und elektronische Beats trotzdem im Mittelpunkt stehen werden, nur in einer neuen Umgebung.

motor.de: Fühlst du ob des Erfolges von “Feel It Break” einen gewissen Druck auf deinen Schultern?

Stelmanis: Naja, wir hatten eigentlich nie diesen großen Medien-Hype um uns, was gut ist. Denn so sind wir nicht in der Position, wo Menschen uns unter Druck setzen können. Wir haben mittlerweile eine breite Fanbase entwickelt, die würden uns nicht plötzlich den Rücken zuwenden. Das kann ich mir jedenfalls nicht vorstellen. Diese Leute kennen uns, weil sie uns entdeckt haben und Austra mögen, nicht, weil sie auf einem Blog von uns gelesen haben. Darauf versuche ich mich zu konzentrieren, und nicht die Reaktion der Medien.

motor.de: Was inspiriert dich?

Stelmanis: Es war tatsächlich ziemlich schwer, wieder zu Schreiben. Ich war jetzt mindestens ein Jahr unterwegs und habe nichts zu Papier gebracht. Deshalb hatte ich die ersten Wochen überhaupt keine Ahnung, was ich da jetzt machen soll. Das Wichtigste ist, dass ich versuche mich zu isolieren. Das bedeutet: kein Internet! Denn sonst gehe ich online, sobald mir langweilig ist. Doch diese Momente der Langeweile sind unfassbar wichtig, um kreativ zu werden. Facebook versaut dir diese Ideen! (lacht)

Austra – “Lose It”

motor.de: Nach deinem Studium, hast du dich gegen den Beruf der Opernsängerin entschieden und wolltest stattdessen unabhängige Musikerin werden, weil du es nicht magst ‘auf der Bühne jemand anderes sein zu müssen’. Ist es denn nicht eigentlich einfacher, sich hinter der Maske einer fiktiven Person zu verstecken?

Stelmanis: Für manche Leute ist das so, aber ich bin keine gute Schauspielerin. Das ist jedoch ein großer Teil des Operndarstellers, und ich fühlte mich nie besonders wohl dabei. Deshalb ist es ein schönes Gefühl für mich, dass ich als Katie Stelmanis auftreten darf, in meiner jeweiligen, persönlichen Stimmung.

motor.de: Die wenigsten Menschen realisieren, dass Sängerin auch physisch ein anstrengender Beruf sein kann. Was würdest du sagen, wie viel körperliche Arbeit bedeutet das Singen?

Stelmanis: Das Schwierigste daran ist, dass die Stimme sehr anfällig ist was deine körperliche Gesundheit betrifft und Touren ist das Ungesundeste, was man überhaupt machen kann. Wir schlafen über viele Wochen kaum, essen nicht ordentlich und so weiter. Zu Beginn des Jahres hatte ich daher viele Probleme, wurde ständig krank und verlor meine Stimme. Das war sehr frustrierend für mich! Und ich muss immer noch aufpassen, gesund zu bleiben. Ich nehme viele Vitamine zu mir, mache Sport und trinke nicht so viel Alkohol.

motor.de: Viele gute Musiker sind deutlich zu früh gestorben. Wen hättest du gerne selbst mal live erlebt?

Stelmanis: Oh ja, ich würde so gerne Nina Simone und Queen live sehen, das wäre wundervoll!

motor.de: Während unserer Kindheit hatten wir vor vielem Angst, was heute selbstverständlich ist. Welche Ängste hast du mittlerweile überwunden?

Stelmanis: (überlegt) Ich hatte große Angst vor Klospülungen als Kind, das ist jetzt nicht mehr so. (lacht) Außerdem mochte ich Fahrstühle nie besonders gerne, das ist aber immer noch so. Ich war als Kind unglaublich schüchtern, also so richtig, richtig schüchtern. Und manchmal kommt dieses Gefühl zurück, dann bin ich sehr ruhig.

Interview & Text: Sophie Lagies

(Fotos: Kid With Camera & Domino Records)