Bis heute zählen sie zu den essenziellen Electronica-Artists. Jetzt erlaubt eine spektakulär gute Re-Release-Box den Tiefenblick auf die Autechre-Geschichte.
„I don’t want you to panic. Just sit back and relax.“ Das sind die Eröffnungsworte der ersten Single von Autechre, was folgt ist ein akustisch in Szene gesetztes Zahnarzt-Massaker und ein Track, der natürlich alles andere als relaxt daherkommt. Die eigentliche Überraschung allerdings ist nicht dieser kleine Scherz, sondern, dass dieser Track als echter Rave-Slammer angelegt war. Mit hibbeligen Breakbeats, Synthiefanfaren, Attacken aus dem gerade überpräsenten 303-Bassequenzer und einem darunter dräuenden bösen synthetischem Grummeln. 1991, als „Cavity Job“ entstand, war das der Sound der Warehouse-Raves, der sich eher am in England dominierenden Acid House, statt an der kühl maschinellen Techno-Kultur orientierte, die aus Detroit oder Berlin weltweit ausstrahlte. Schon eine Veröffentlichung später hatten Autechre diesen Sound abgestreift, gingen seither einen Weg, der sie schnell zu einem einzigartigen Act der Electronica-Szene machte. Und zu einem der bekanntesten, auch, wenn Autechre gemeinhin als nicht nebenher konsumierbar, gar „anstrengend“ galten.
Autechre – „Cavity Job“
Rob Brown und Sean Booth sind in Rochdale aufgewachsen, einer Textilarbeiterstadt 12 Meilen von Manchester entfernt. Als Sprayer und unter dem musikalischen Einfluss electroiden HipHops à la Grandmaster Flash oder Mantronix wuchsen sie mitten hinein in die aufblühende Rave-Szene, die sich im gerade im wirtschaftlich ruinierten Greater Manchester Area explosionsartig entwickelte und sich im Zwiespalt zwischen drögem, oft genug perspektivlosem Alltag und nächtlicher Ekstase entwickelte. Richtig los für Autechre ging es 1992, als das Duo vom damals drei Jahren alten Sheffielder Warp Label entdeckt wurde. Das begann gerade Techno-Geschichte zu schreiben: Mit den Bleep-Exzentrikern LFO, dem „Techno-Mozart“ Aphex Twin oder seiner „Artificial Intelligence“-Reihe. Die versammelte damals bahnbrechende elektronische Tracks, die für den normalen Clubeinsatz kaum geeignet waren, bei denen es experimentell, rhythmisch komplex und musikalisch widerborstig zuging. Eine Zeitlang dominierte Warp sogar den Techno-Zeitgeist, vor allem auch, weil mit dem Grafiker-Kollektiv The Designers Republic und deren Covergestaltung auch eine optische Hegemonie hergestellt werden konnte, deren reduktionistischer Ansatz bis heute in der Electronica-Szene nachwirkt.
Bis heute ist Warp eines der prägenden englischen Labels, wenn auch mit deutlich geöffnetem musikalischen Spektrum. Zwanzig Jahre nach deren Debüt, schaut es jetzt mit einem spektakulären Box-Set noch einmal auf die erste Dekade der Autechre-Geschichte zurück. Gestaltet wurde „Autechre EPs 1991-2002“ standesgemäß: von The Designers Republic. Enthalten sind nicht nur heute nicht mehr regulär erhältliche Platten, wie eben das Debüt oder die beiden Peel-Sessions von 1995 und 1999. Als elektronischer Act gleich zwei Mal zur legendären BBC-Studiosession eingeladen zu werden, zählt bis heute zum Mythos von Autechre, ebenso wie das Kunststück von Nine Inch Nails’ Trent Reznor für sein Label in den Staaten abgelehnt zu werden, weil dem das Treiben der Engländer als zu experimentell erschien.
Autechre – „19 Headaches“
Hört man sich die Stücke dieser gesammelten EPs heute an, kann man feststellen, dass die bei aller durchaus vorhandenen Experimentalität doch nie in Gefilde der Unhörbarkeit abdrifteten, im Gegenteil. Die große Leistung von Autechre ist, eine atmosphärisch dichte, keinesfalls auf eine Taktung durch Beats verzichtende Musik kreiert zu haben, die zeitlos funktioniert. Oder besser gesagt: die ungebrochen zeitgemäß ist. Der Eindruck der Unnahbarkeit entsteht eher durch das Wissen um die mathematisch induzierte Herangehensweise an Musikstrukturen oder die kryptotechnischen Tracktitel, die oft auf der eingesetzten Technik beruhen. Als Autechre ihre zweite Session für John Peel gleich ganz ohne Tracktitel übergab, ließ der sich kurzerhand selbst welche einfallen; über das ein bisschen gemeine „19 Headaches“ dürfte er dabei selbst am Meisten geschmunzelt haben.
Augsburg
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