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An einem Samstag zu einer Band zu gehen, das ist nichts neues. An einem Samstag von einer Gruppe besucht zu werden, das ist schon was anderes. Am 15. Oktober besuchten die Indie-Rocker Begbie die Berliner Wohnung von Esther Müller-Reichenwallner, um sich mit ihr und ihren Freunden nicht nur zu stretchen. Phonetische Gymnastik bis die Polizei kam.
Eigentlich hatte ich mich am letzten Wochenende auf Ruhe und Erholung eingestellt. Zu früh, wie ich und meine Nachbarn dann erfahren sollten. Aber der Reihe nach: Am Dienstag bekam ich mit, dass man bei motor.de ein Wohnzimmerkonzert der wundervollen Begbie gewinnen könnte, die ich schon vom diesjährigen Jenseits von Millionen-Festival kannte. Ich hatte gar nicht so richtig darüber nachgedacht, da war auch schon die Mail mit vielen lustigen Gründen, warum meine Mitbewohnerin und ich unbedingt Männerbesuch an diesem Samstag bekommen sollten, unwiderruflich verschickt.
Die Tage verstrichen und ich hatte mich schon mit einer Mischung aus Trauer und Erleichterung damit abgefunden, doch Ruhe genießen zu können, als die Mail im Postfach eintrudelte, mit der Nachricht, wir hätten gewonnen. Kaum waren Einzelheiten geklärt, war auch schon Samstag und es klingelte an der Tür. “Hallo hier ist Begbie”, schallte es aus der Gegensprechanlage. Ehe ich es begriffen hatte, waren schon fünf gut angezogene Männer mitsamt Instrumenten, Cases, Endstufen, Kabeln und Schlafsäcken in meiner Wohnung.
Nachdem wir bei Kaffee miteinander warm geworden waren, hatten wir uns relativ schnell darauf geeinigt, dass die Jungs sich nicht bei der Lautstärke zurückhalten sollten. Nicht unbedingt, weil mein Haus so tolerant wäre. Eher weil: wenn man schon mal die Gelegenheit hat, eine Band bei sich im Wohnzimmer spielen zu sehen, dann sollte man es auch richtig machen. Ärger würde man vermutlich in jedem Fall bekommen. Gesagt getan, wurde die große Box in die Ecke des Raums gestellt und das Drumkit aufgebaut, wo bei Begbie jetzt vermutlich die Soundcheck-Aufbau-Routine einsetzte, bekam ich dieses leichte Gefühl von ungläubiger Vorfreude, gepaart mit reiner Panik, nicht mehr los. Einerseits fand ich es krass, diese Möglichkeit zu bekommen, andererseits war ich mir schon im Klaren, wie laut so eine Band sein könnte, auch wenn man das Schlagzeug mit Lappen und Taschentüchern präparieren würde. An Rückzug allerdings war in diesem Moment auch nicht mehr zu denken. Kurz durchatmen und Rock On.
Während Soundcheck, Kürbissuppe und Spinatknödelteigpizza, kamen dann auch meine Gäste, die auch mehr als verwundert waren, dass die Band anscheinend doch mehr als das vermutlich vernünftige Akustikset abliefern würden. Kurz noch auf die Mitbewohnerin gewartet, die Hasen im Nebenzimmer sicher verstaut und schon ging es los. Wie im Gewinnspiel angekündigt, begann die Show mit einer echt sportlichen Einlage. Aus der Morgengymnastik wurde Supportact und in meinem Wohnzimmer wurde ein Step-Aerobic-Kurs der Extraklasse veranstaltet, der jedem 80er Jahre Fan eine Träne in die Augen getrieben hätte. Wenn das bei Begbie nichts wird mit der Musik, könnten sie immer noch als Sportlehrer tätig werden oder in einer Boyband anfangen – funktionieren würde sicher beides.
Wohlverdienter Applaus und eine kurze Verschnaufpause später ging es dann aber richtig los. Die Instrumente wurden angestimmt und was am Morgen noch ein beschauliches Wohnzimmer war, verwandelte sich mit den ersten Tönen in die schönste Bühne der Welt. Mit allem Drum und Dran knallten Begbie ihre Melodien durch meine vier Wände. Wäre ich nicht dabei gewesen, hätte ich mir vermutlich selbst nicht mehr geglaubt, dass da jetzt eine echte Band in meinem Wohnzimmer einen echten Auftritt macht. Lied um Lied wurde es schöner und ich konnte mir das Grinsen nicht verkneifen. Ich glaube, das ging so eine Dreiviertelstunde gut. Gerade waren die letzten Töne von der Begbie Single “Corridors” verklungen, da klopfte es mehr als unsanft an die Wohnungstür. Die Freunde und Helfer standen dort und verlangten neben den Personalien eine Erklärung. So endete dann Begbieʻs und mein erstes Wohnzimmerkonzert. Nicht sehr glamourös, aber passend. Der Abbau ging dann ebenso schnell und kurz darauf hatten alle ihr Instrument gegen ein Bier eingetauscht und das Schwelgen begann.
Bis kurz vor Morgengrauen tranken wir selbstgemachten Pfeffi, hörten Musik und tauschten Musikwünsche. Echtes Zeltlagergefühl. Ich glaube, so etwas Wahnsinniges hab ich in meinem Leben noch nie gemacht und doch wäre ich sofort wieder dabei. Diesen Abend werde ich nie vergessen und ich werde noch lange ein dümmliches Grinsen und feuchte Augen bekommen, wenn ich in mein Wohnzimmer komme oder irgendwo einen Song von Begbie höre. Danke allen Verrückten, die das möglich gemacht haben.
Text: Esther Müller-Reichenwallner
Fotos: Esther Müller-Reichenwallner, Friederike Steemann
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