Steven Ansell von den Blood Red Shoes über Musik als Ventil, die Funktionsweise von Kunst und lügende Journalisten.

Die vorangegangene, durchfeierte Nacht steht Steven Ansell, Drummer und Sänger des britischen Indierock-Duos Blood Red Shoes, noch deutlich ins Gesicht geschrieben. Bis halb acht Uhr morgens sei es am vorherigen Tag gegangen, lässt der leicht verkaterte Schlagzeuger wissen. Während Gitarristin/Sängerin Laura-Mary Carter bereits im Hotel zum Duschen ist, kämpft sich Ansell durch die letzten Interviews vor ihrem Auftritt in Berlin, dem bisher größten der Band in der Hauptstadt. Die Begeisterung, die die Beiden mit ihrem Debüt „Box Of Secrets“ auslösten, scheint also auch mit dem Nachfolger „Fire Like This“ ungebrochen.

motor.de: Bei euren Live-Auftritten ist es beeindruckend zu sehen, wie zwei Leute so viel Krach machen können. Ist es diese Wucht, die die Blood Red Shoes ausmacht?

Ansell: Ich bin mir nicht sicher, ich stehe ja nie im Publikum und weiß deshalb nicht, wie wir live klingen. Aber wir wollten schon immer, dass die Band richtig „groß“ und intensiv klingt. Wenn man eine Band gründet, geht es am Anfang nicht darum, Songs zu schreiben, sondern um die Chemie zwischen den Leuten.

motor.de: Eure Musik scheint ihre Energie aus eurer inneren Wut zu beziehen. Ist Musik also das Mittel, um diese Wut zu kanalisieren?

Ansell: Auf jeden Fall, Musik ist unser Ventil. So können wir Dingen Luft machen und sie an die Oberfläche lassen. [lacht] Mit Musik kann man sich einen kleinen Raum der Freiheit schaffen, in dem man bestimmte Dinge besser ausdrücken kann.

motor.de: Hast du Angst, dass ihr euren kreativen Antrieb verliert, wenn diese Wut einmal verschwunden ist?

Ansell: Vielleicht wacht einer von uns eines Tages glücklich auf und schreibt keine Musik mehr. [lacht] Nein, wir fühlen uns eigentlich die ganze Zeit über inspiriert, Musik zu machen. Auch wenn wir einmal nicht mehr wütend sind, gibt es noch andere Dinge, aus denen wir unsere Kreativität ziehen könnten.

motor.de: Eure Texte transportieren eine Unzufriedenheit über bestimmte Dinge, bleiben aber bis zu einem gewissen Punkt vage. Wollt ihr damit erreichen, dass eure Hörer ihre eigenen Erfahrungen hineinlesen können?

Ansell: Teilweise ja, und teilweise, weil wir manchmal gar nicht genau wissen, worüber wir schreiben. Wir schreiben über Gefühle, können diese aber gleichzeitig nicht richtig erklären. Deshalb sind unsere Texte immer ein wenig verschleiert. Wenn man die Gefühle in konkrete Worte kleiden könnte, würde man einen Artikel schreiben, aber da sie vage bleiben, sind sie Teil der Musik und schwer zu definieren. Mir gefällt der Gedanke, dass sich Leute unsere Texte aneignen und auf ihre eigene Weise interpretieren. So funktioniert Kunst, so findet sie eine Verbindung zu den Menschen.

motor.de: Würde das heißen, je universeller man Kunst hält, desto mehr Leute kann man erreichen?

Ansell: Ich weiß nicht, vielleicht. Alle wirklich großen, erfolgreichen Bands schreiben über ein Thema: Liebe. Und das mag eigentlich Jeder, weil Jeder sich damit identifizieren kann. Das ist also sehr offensichtlich und universell, und es scheint zu funktionieren. Wir als Band versuchen aber nie, etwas ganz bewusst zu tun, wir reagieren mehr auf Instinkte. Die Texte und die Musik kommen einfach so aus uns heraus. Wir reden nicht viel darüber oder treffen bewusste Entscheidungen.

motor.de: Lass uns etwas tiefer in euer aktuelles Album einsteigen. „When We Wake“ zeigt, dass ihr auch ruhigere Töne beherrscht…

Ansell: Das ist die Richtung, die wir im Moment einschlagen, das finden wir spannend. Wir werden sicher nie eine ruhige Band sein, aber ich mag die Dynamik zwischen leisen und lauten Parts. Das gibt uns ein größeres Spektrum an Möglichkeiten. Und wir schreiben Songs, die melancholischer und trauriger sind als früher.

motor.de: „Colours Fade“ ist wahrscheinlich der epischste Song, den ihr bis jetzt geschrieben habt.

Ansell: Ja, am Anfang war er sogar noch länger, aber als wir uns die Demoversion angehört hatten, beschlossen wir, ihn ein wenig zu kürzen. Als wir mit dem Song begannen, hatten wir noch kein richtiges Ende und jammten für die Demoaufnahmen einfach drauf los und ließen ihn „auseinander fallen“. Wir waren ganz schön stoned, als wir ihn aufnahmen und fanden ihn am Ende ziemlich cool. [lacht]

motor.de: Wieso habt ihr euch gerade für „Colours Fade“ als kostenlosen Vorab-Download und Album-Teaser entschieden?

Ansell: Wir hielten es für das bemerkenswerteste Stück des Albums. Es ist der heftigste Song der Platte und wir dachten, es sei ein guter Eindruck, um die Erwartungen der Leute zu schüren. Er ist einfach dunkler und spaciger als unser Debüt und somit konnte man eine gute Vorstellung von „Fire Like This“ bekommen. Ich mochte auch sehr, als Radiohead „Paranoid Android“ als erste Single von „OK Computer“ veröffentlichten, das ziemlich lang und abgedreht war und somit ein gute Idee des Albums verschaffte.

motor.de: War auch ein Grund, weil im Vorfeld einige britische Musikmagazine schrieben, dass euer neues Album poppiger als das erste wird? Wolltet ihr den Gegenbeweis antreten?

Ansell: Nein, diese Blätter interessieren mich einen Scheiß. Ein Typ vom NME hat einfach gelogen, als er das geschrieben hat. Er fragte, wie die neuen Sachen klängen, und ich antwortete: „Die Musik ist heftiger und dunkler, aber der Gesang ist melodischer und poppiger als zuvor.“ Und er schrieb dann einfach, dass das neue Album poppiger wird. Man veröffentlicht Musik nur für sich und das Publikum, wenn man sich auch noch über die Medien Gedanken machen würde, dreht man durch.

motor.de: In einem Artikel wurde die Beziehung zwischen Laura und dir kürzlich als typische Bruder-Schwester-Beziehung beschrieben. Siehst du das ähnlich?

Ansell: Ja, wir sind wie eine Familie. Wir verbringen viel Zeit zusammen und kümmern uns um einander. Außerdem haben wir manchmal diese typischen, kleinlichen Streitereien.

motor.de: Geht es dir deshalb sehr auf die Nerven, wenn Typen auf euren Konzerten Laura sexuelle Anspielungen zurufen?

Ansell: Ja, total. Wir sind hier, um unsere Musik zu spielen und nicht dafür, das irgendjemand sexistischen Kram schreit. Das ist sehr frustrierend und auch enttäuschend. Man fragt sich dann, ob die Leute zu deinen Konzerten kommen, um die Musik zu hören oder sich ein hübsches Mädchen auf der Bühne anzusehen. Aber im Endeffekt kann man sich seine Fans nicht aussuchen, sie suchen dich aus. Es ist komisch sich vorzustellen, dass Menschen, die deine Band und deine Songs mögen, Arschlöcher sind. Aber das ist der Preis, wenn man Kunst im öffentlichen Raum präsentiert.

Eric Bauer