Die Avant-Elektro-Punks von Bonaparte sind das derzeit aufregendste Ding im Berliner Underground. Was von außen einem geschickt ausgeklügelten Konzept geschuldet scheint – die alle Sinne ansprechenden Performance-artigen Auftritte der Gruppe – verdankt sich vor allem einer Serie von Zufällen.
Ein kleines Zimmer ohne Licht, irgendwo in Barcelona. Durch das geöffnete Fenster schwappt der beruhigende Gleichklang rauschender Wellen herein, erfüllt den Raum, bringt Ruhe und Gelassenheit. Ein junger Mann lehnt sich im Licht einer flackernden Kerze über ein Blatt Papier und schreibt folgende Worte: “Now that the lights are on/ I see what I have done/ Can I take back what I said when the lights were off?” Der junge Mann ist der Schweizer Tobias, den wir der Einfachheit halber im Folgenden Bonaparte nennen wollen. Der erste Schritt ist getan und nein: Es gibt natürlich kein Zurück mehr.
Szenenwechsel: Grob zwei Jahre nach jener katalanischen Nacht (und weiteren ähnlichen Nächten, in denen mit Songs wie “Tu Me Molas” oder “What Are You Gonna Do With Your Life” relativ ungeplant der Grundstein für das gelegt wird, um das es hier gehen soll) hat Bonaparte seinen Standort verlegt. Nicht zuletzt wegen der Sprachbarriere, aber auch “weil hier jeder von irgendwo hergewandert ist“, ist er 2006 nach Berlin gezogen. Der Legende nach wachte er dort eines Tages in einer alten Fabriketage auf und beschloss zu bleiben. Die Etage war zwar wenig komfortabel und ungeheizt, aber dafür war sie billig und bot damit die relativ sorgenfreie Möglichkeit zum Ausprobieren von Sounds, Leuten, Songs und überhaupt allem.
Dazwischen, davor und danach entstand, vielmehr: entsteht immer noch jeden Tag ein bisschen mehr das weit verästelte Kollektiv Bonaparte. Zunächst noch ohne näher definiertes Ziel und mit Laptop und Gitarre bewaffnet, macht sich dessen späterer Vorstand irgendwann auf den Weg durch Europa. Aus diesem Gefühl des ziellosen Unterwegsseins heraus entstehen weitere Songs und Ideen, die irgendwann nach Kollaborateuren verlangen, die Bonaparte in alten Freunden und zufällig am Wegesrand aufgesammelten neuen Bekannten findet. “Die Frage war immer zuerst, ob jemand ein toller Mensch ist, mit dem man Pferde stehlen kann“, erklärt Bonaparte. Die tatsächliche Aufgabe der neuen Mitstreiter habe sich später eher zufällig ergeben. So wuchs schließlich jenes “demokratische Kollektiv mit einem kleinen, verrückten Diktator an der Spitze” heran, als das sich Bonaparte heute präsentiert.
Nun wissen wir nicht, ob Tobias neben seiner geringen Körpergröße weitere Eigenschaften mit dem namensgebenden französischen Feldherren teilt. Zumindest scheint er aber über strategisches Geschick zu verfügen. Quasi aus dem Nichts und ohne nennenswerte Unterstützung etablierte er das mit Elementen aus Burleske, Kleinkunst und Theater angereicherte Elektro-Clash-Punk-Kollektiv Bonaparte in den letzten zwei Jahren nicht nur im Berliner Untergrund, sondern spielte in wechselnden Besetzungen Konzerte in ganz Europa und sogar Neuseeland – in so unterschiedlichen Settings wie dem altehrwürdigen Montreux Jazz Festival oder einer illegalen Party irgendwo unter dem Berliner Alexanderplatz. In einer Art “ganzheitlichem Konzept” funktioniert das Projekt dabei in beinahe jedem Zusammenhang. Sobald Tobias irgendwo seinen Laptop aufklappt ist es im Prinzip ein Bonaparte-Gig. Je nach Anlass gibt es Solo-DJ-Sets, so genannte Karaoke-Shows (Tobias alleine mit Gitarre, Laptop, Mikro und – wichtig! – Maske), eine Band-Show im klassischen Rock’n’Roll-Line-Up oder aber das ganz große Theater: Die “Circus Show” mit Band, Tänzern, Visuals und weiß Gott was sonst noch allem.
Der Bonaparte-Zirkus:
Wie sie ohne Management und Plattenfirma an die Auftritte kommen? “Keine Ahnung“, gesteht Tobias. “Ich kriege E-Mails und sage ja oder nein. die Leute spüren irgendwas, wenn sie uns sehen. Vielleicht, weil wir was spüren, wenn wir spielen. Da sich mein Leben immer mehr mit meiner Rolle vermischt, spiele ich die ganze Zeit irgendwo. Bands wie die Beatles sind ja auch in jungen Jahren nicht nur jeden Abend, sondern auch mittags und abends aufgetreten. Aber heutzutage, wo jedem so viele gesellschaftliche Erwartungen entgegengebracht werden, ist es natürlich schwer, sich mit Haut und Haaren dem Risiko der eigenen Kunst hinzugeben.“
Die meisten Elemente dieser Kunst, die Bonaparte heute so ganzheitlich und geplant erscheinen lassen, ergaben sich eher aus Versehen. Zum Beispiel die Sache mit den Verbänden: Auf Fotos und auf der Bühne stilisiert sich Bonaparte gerne als eine Art Unfallopfer und auch die inzwischen in Eigenregie produzierte erste CD, “Too Much“, die er uns für diesen Artikel vorbeibrachte, ist in blutdurchtränkten Mull gewickelt. Dahinter steckt, einmal mehr: ein Zufall “Eine Freundin hatte einen Fahrradunfall, wollte aber gleich nach Verlassen des Spitals feiern gehen. also habe ich mir aus Solidarität auch ein paar Verbände umgewickelt. Im Passfotoautomaten der ‘Bar25’ entstand dann das Bild, das nun das Cover von ‘Too Much’ schmückt. Die versteckte Symbolik dahinter – wenn man denn eine finden will – könnte sein, dass die Bonaparte-Texte von einer Verletztheit unserer Zeit sprechen, von inneren Kämpfen, unserem aus den Fugen geratenen Kommunikationsverhalten. Und dass ich auf dem Cover nicht wirklich verletzt bin, spricht wieder für den Humor des ganzen.” Die Komödie sei schließlich schon immer das beste Genre gewesen, “um dem Volk etwas zu sagen“.
Text: Michael Jäger
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