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Das Gegenteil von Minimal

Alex Ridha alias Boys Noize bringt in regelmäßgen Abständen das Publikum internationaler Festivals und Clubs zum ausrasten – nicht zuletzt, weil er mit seinem Sound die Grenzen elektronischer Musik stets neu auszuloten weiß.


(Foto: Nadine Bleses)

In letzter Zeit ging es steil nach oben. Legte Alex Ridha bis 2005 noch vor überschaubarem Publikum Houseplatten in seiner Heimatstadt Hamburg auf, wurde er in diesem Jahr unter anderem als Headliner des Berlin- und Melt!-Festivals von tausenden Fans frenetisch gefeiert. Dabei fing es auch bei ihm an wie bei vielen Künstlern seiner Zunft: Unter verschiedenen Synonymen wie Morgentau oder Kid Alex gab er – teilweise auch mit musikalischer Unterstützung – seine Tracks zunächst in kleinen Szeneclubs zum Besten. Mit seinem ersten Soloalbum, dem ungestümen Elektro/Techno-Bastard “Oi Oi Oi”, kam der Zug spätestens im Jahre 2007 so richtig ins Rollen. Fortan war sein bis dato endgültiges Pseudonym Boys Noize auch über die Szene hinaus in aller Munde. 

Einen großen Anteil an dem stets wachsenden Erfolg trägt sicherlich Ridhas Fähigkeit, Musik zu entwerfen, die nicht den typischen Genre-Spielregeln unterworfen ist. Techno? House? Rave? Heruntergebrochen ist es alles letztendlich elektronische Musik. Und diese kommt bei Boys Noize fernab des klassischen Wahns der Repetivität ungemein hypnotisch daher. Das Geheimrezept scheint neben dem Verzicht jeglicher Konventionen wohl auch der Überraschungseffekt zu sein, da nicht nur seine Platten, sondern auch jeder Live-Auftritt von ihm höchst facettenreich ausfällt. Markant, dass dabei immer auf dem Grat zwischen sturem, trockenem Oldschool-Techno und modernen dreckig-rotzigen Elektrosounds herumexperimentiert wird. Dieser BN-typische Sound sorgt dafür, dass er derzeit wohl einer der meistgebuchten deutschen DJs ist.
Boys Noize – Live auf dem Berlin Festival 2011
Mit steigendem Bekanntheitsgrad wächst oftmals auch der Arbeitseifer. Neben seinem Schaffen als DJ und Remixer stampfte er 2005 das Label Boysnoize Records aus dem Boden, das mittlerweile auf beinahe 70 Releases zurückblicken kann. Eine erste Werkschau gibt es bereits auf der Compilation “BNR Vol. 1” zu hören. Spannend ist jedoch vor allem das digitale Sublabel BNR Trax, welches 2009 hinzukam. Dieses stellt sowohl eine Plattform für Newcomer als auch eine experimentelle Spielwiese für die BNR-Veteranen dar. Die Labels mit Sitz in Berlin untermauern ungemein den Ruf der Stadt an der Spree als Technometropole – obwohl Ridha dort vorrangig nicht der Musik wegen gelandet ist, wie er uns bereits 2009 im Interview erzählte.
Nachdem sich auf dem Remixalbum “Oi Oi Oi Remixed” Künstler wie Apparat und Siriusmo austoben konnten, entschied sich Ridha, mit seinem Zweitwerk “Power” die Dinge wieder allein in die Hand zu nehmen und verzichtete trotz des Popularitätsschubes auf Features oder ähnliche Spielereien. Da die Acts in dieser Szene jedoch nicht selten wie eine große Familie agieren und Boys Noize’sche Zerhackstückelungen nun schon seit Jahren mit Inbrunst zelebriert werden – man erinnere sich nur an die erstklassige Version von Feists “My Moon My Man” auf dem Debüt – ließ ein Album mit gesammelten Remixen nicht lang auf sich warten. Dieses nennt sich nun schlicht und ergreifend “The Remixes 2004-2011” und gibt einen beeindruckenden Einblick in das Œuvre von Boys Noize.

Boys Noize – The Remixes 2004-2011 (Preview)


Weniger ist zwar manchmal mehr, doch mit Halbgarheiten gibt man sich auf diesem Release nicht zufrieden: Auf zwei CDs, buchstäblich bis zum Rand mit Tracks gefüllt, dürfte wohl für jeden etwas dabei sein. Ohne auf den Mainstream zu schielen, wird den 24 Songs der unverwechselbare BN-Stempel aufgesetzt. Die Spannweite reicht von den typisch treibenden Nummern wie dem Remix von Röyksopps “Happy Up Here” bis hin zu groovenden Beats im Stile vom “Lights & Music”-Remix (im Original von Cut Copy). Ob es sich nun um Genrekollegen handelt oder in fremden Gefilden bei Scissor Sisters, Marilyn Manson oder David Lynch gewildert wird – in diesem Remix-Sandkasten wird nicht mit kleinen Förmchen gespielt. Bezeichnend, dass der Charme des Originals oftmals erhalten bleibt und nicht nur plump ein Beat unter die Gesangsspur gelegt wird – stets sind explosive und druckvolle Nummern das Ergebnis. Bessere Tracks in der Schnittmenge von Mainstream-Hit und bewährtem Techno-Geboller findet man derzeit sicher kein zweites Mal. 

Ironischerweise trägt einer der ersten BN-Songs, die im kollektiven Musikverständnis ankamen, den Namen “Don’t Believe The Hype”. Das Ridha nun den Ruf eines Weltstars hat und Clubs von Paris bis Peking füllt, hätte er sich beim Release dieser Single sicher nicht träumen lassen. Mittlerweile ist sogar die Beschreibung “Hype” ebenso untertrieben wie obsolet: Unbestritten trägt Boys Noize mittlerweile einen wesentlichen Anteil dazu bei, dass elektronische Musik immer facettenreicher wird. Da er ganz nebenbei noch als Producer der Alben von Maestro Chilly Gonzales und des Hip Hop-Kollektivs Spank Rock agiert hat, kann man sich auch in Zukunft noch freuen, dass da noch einiges gehen wird. Es sind schließlich noch genügend Beats für alle da.

Danilo Rößger 

VÖ:
 02.12.2011

Label: Boysnoize Records

Tracklist:

CD1

01. Röyksopp – Happy Up Here (Boys Noize Remix)
02. Feist – My Moon My Man (Boys Noize Classic Mix)
03. Depeche Mode – Personal Jesus (Boys Noize Rework)
04. Late Of The Pier – Focker (Boys Noize Terror Re-Did)
05. N*E*R*D feat. Nelly Furtado – Hot-N-Fun (Boys Noize Remix)
06. Snoop Dogg – Sexual Eruption (Boys Noize Remix)
07. Cut Copy – Lights & Music (Boys Noize Remix)
08. Modeselektor feat. Nazizi & Abbas – Monkey Flip (Boys Noize Remix)
09. Sebastien Tellier – L’Amour Et La Violence (Boys Noize Main Version)
10. Editors – You Don’t Know Love (Boys Noize Classic Mix)
11. David Lynch – Good Day Today (Boys Noize Remix)
12. Justice – Phantom Pt. II (Boys Noize UnreleasedTurbine Remix)

CD2

01. The Chemical Brothers – Swoon (Boys Noize Summer Remix)
02. Teenage Bad Girl – Cocotte (Boys Noize Rework)
03. Scissor Sisters – Invisible Light (Boys Noize Remix)
04. Daft Punk – End Of Line (Boys Noize Remix)
05. Gonzales – Working Together (Boys Noize Dub Mix)
06. Marilyn Manson – Putting Holes In Happiness (Boys Noize Remix)
07. Charlotte Gainsbourg – Trick Pony (Boys Noize Remix)
08. Kaiser Chiefs – Everyday I Love You Less And Less (Boys Noize Remix)
09. Djedjotronic feat. Spoek – Dirty & Hard (Boys Noize’s Jump If You’re An Idiot Mix)
10. Maurice – This Is Acid (Boys Noize Rework)
11. Para One – Dudun-Dun (Boys Noize Remix)
12. Apparat – Arcadia (Boys Noize Reprise)


 

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