Der Dienstagabend entpuppt sich als ungemütlich kalt, dementsprechend schnell entfliehen die Berliner  schneebedeckt der ungemütlichen Straße und geben sich als pünktliche und vorbildliche Konzertbesucher. Der Frannz Club in Prenzlauer Berg ist gut gefüllt und die Stimmung ausgelassen, sodass selbst die etwas fehl am Platz wirkende Supportband dieser keinen Abbruch tut. Geduldig ertragen etwa 300 Besucher die New Killer Shoes aus England und ihren breitbeinigen Plumprock. Unsereins wählt dann doch lieber die Raucherlounge und überbrückt das Geholze mit einem Getränk.

Nach großzügigem, sorgfältigen Umbau, bei dem der langbärtige Roadie tüchtig zu tun hat, alle Instrumente und Amps auf der Bühne unterzubringen – offensichtlich sind Brad oder zumindest ihre Crew deutlich größere Hallen und Bühnen gewohnt – geht es los. Fünf gut gelaunte wenn auch etwas in die Jahre gekommene Musiker betreten nacheinander die Bühne, den größten Applaus erntet, wie zu erwarten war, Stone Gossard, den viele der Anwesenden sicher noch nie aus so nächster Nähe sehen durften (mein letzter Besuch bei Pearl Jam in der O2 World Berlin ließ auch mich aus 50 Metern Luftlinie kaum seine Brille erkennen).

Der Sound überrascht an diesem Abend, bereits beim ersten Song hat der Tonmann das perfekte Händchen und lässt die Band über den Abend verteilt zur Höchstform auflaufen. Die Setlist ist bunt gemischt aus alten und neuen Tracks, dass zwischen einigen fast 20 Jahre liegen, spürt man tatsächlich hier und da. Erstaunlich für Berliner Verhältnisse an einem Dienstag im “Prenzelberg” ist der Zuspruch vom Publikum: Kaum verklemmtes Armeverschrenken, kein zaghafter sondern sehr überzeugender Applaus, keine lautstarken Privatgespräche während den ruhigen Passagen und sogar springende Tanzbären mit hochgerissenen Armen. “Welcome to Germany”, “Good to see you”, “Hell yeah!” wird nach vorne gebrüllt – wahrlich ein sehr netter und herzlicher Empfang. Da bricht auch die Pokerface-Fassade von Frontmann Shawn Smith und ein breites Grinsen setzt sich auf das bärtige Gesicht. Stone und der Rest der Band nicken zufrieden. Schön.

BRAD danken für diese Zuneigung mit einem ausgewogenen und reichlichen Set inklusive einer sehr besonderen Zugabe. Mit leicht abgeänderter Harmonie – der Groschen fällt bei vielen Seattle-Fans der frühen Stunde tatsächlich erst im Verlauf der ersten Strophe – gibt Smith (der übrigens zweifelsfrei Understatement und Coolness mit dem Löffel gefressen hat) den Mother Love Bone-Klassiker “Crown Of Thorns” zum Besten. DER Song der Band, aus deren Asche Soundgarden und Pearl Jam Anfang der 90er entstanden. Der Saal ist gerührt – Gänsehaut, Ehrfurcht und Melancholie machen sich breit, Smith zelebriert eine Refrain-Wiederholung nach der anderen. Vielleicht bilde ich es mir nur ein, aber der dicke Mann mit dem Soundgarden-Kapu neben mir hat Tränen in den Augen. Der damals auf tragische Art verstorbene Andrew Wood ist offensichtlich ein guter Freund der Band gewesen, auch wenn er BRAD nie live erleben konnte.

In guter Pearl Jam-Manier stimmt Stone Gossard im Anschluss zum Auflockern der Stimmung ein offensichtliches Lieblings-Cover an – BRAD laufen nochmal zur Höchstform auf und spielen “Jumpin’ Jack Flash” von den Stones. Sogar der sympathische, an dem Abend durch diverse Sonderwünsche von Sänger Smith ordentlich geforderte Roadie mit dem schönen langen Bart hüpft einen Schellenring schwingend am Bühnenrand hin und her. Ein schönes Bild. Das Grinsen von Stone Gossard spricht Bände. Diese Band spielt hoffentlich noch lange live und lässt sich bald wieder hierzulande blicken. Man wird es ihr hoffentlich überall so danken, wie das Publikum an diesem sympathischen Abend in Berlin.

Text: Alex Beyer
Fotos: Jan Püplichhuisen