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Verschwinden in der Masse – Broken Social Scene im Interview

Sie sind die Mutter aller Indie-Kollektive: Broken Social Scene aus Toronto. Musikalische Monogamie, Egomanie und natürlich ihr neues Album “Forgiveness Rock Record”.

Als Kevin Drew und Brendan Canning Broken Social Scene gründeten, konnte tatsächlich nicht die Rede von einer Supergroup sein. Das hat sich in den letzten zehn Jahren allerdings gründlich geändert. Denn Torontos Broken Social Scene hat in dieser Zeit nicht nur solch strahlende Sterne wie Leslie Feist hervorgebracht, sondern ist selbst zu einer Art Blaupause des zeitgenössischen Indie-Kollektivs geworden. Ihr ‚Juno’-Award-prämiertes Zweitwerk „You Forgot It In People” gab den Pulsschlag eines bis heute vor sich hin blubbernden Hypes vor, in dessen Folge sich andere 20-Mann-Kapellen wie Arcade Fire oder The Most Serene Republic in den öffentlichen Fokus spielten. Und nun, just in dem Moment, in dem alle Indie-Hipster nach Elektro-Land abgewandert sind, veröffentlichen Broken Social Scene mit “Forgiveness Rock Record” eine kreative Explosion, an der gut zwei Dutzend Künstler beteiligt sind, die es in der Zwischenzeit zu einiger Prominenz gebracht haben. So langsam könnte man also über den Begriff Supergroup nachdenken…

motor.de: Was hat sich in euer “Szene” durch den Erfolg der einzelnen Bandmitglieder geändert?

Kevin: Es gibt immer noch einen tollen Zusammenhalt unter den Musikern in Toronto, aber natürlich haben sich die Terminkalender sämtlicher Mitglieder der Szene extrem gefüllt. Insofern ist es schon erstaunlich, dass trotzdem so viele auf „Forgiveness Rock Record” vertreten sind.
Brendan: Man muss viel organisieren, um eine neunzehnköpfige Band zu koordinieren.

motor.de: Wann habt ihr euch entschlossen, nicht mehr zu organisieren, sondern am nächsten Album zu arbeiten?

Brendan: Eigentlich als sich bei der Tour eine sechsköpfige, beständige Band herauskristallisiert hat. Uns war sehr schnell klar, dass wir in dieser Konstellation wohl auch das Album schreiben würden. Tatsächlich wollten wir diesmal viel fokussierter arbeiten, haben am Ende aber doch wieder viel gejammt.

motor.de: Diesmal habt ihr aber weniger dem Lokalkolorit gehuldigt, sondern seid für die Aufnahmen nach Chicago ausgewandert. Brauchtet ihr „frisches Blut”?

Kevin: Das war ein Grund. Es ist immer wieder aufregend mit neuen Musikern zusammen zu spielen. Viele Beziehungen sind ja extrem eintönig, weil sie monogam funktionieren. Eine Band kann sich so was aber nicht erlauben. Der zweite Grund war auf jeden Fall John McEntire (Tortoise), mit dem wir vorher schon eine extrem angenehme Probeaufnahme hatten und seine Verbindung zur Szene in Chicago. So ist dann auch Sam Prekop von The Sea And Cake auf dem Album gelandet.

Broken Social Scene – Fire Eye’d Boy:

motor.de: Inwiefern hat sich der Ortswechsel denn auf die Aufnahmen ausgewirkt?

Kevin: Für uns hatte das den schönen Effekt, sich voll auf die Musik konzentrieren zu können. Zu Hause haben wir Frauen und Kinder, in Chicago ging es nur um Musik. Allein das war schon sehr neu für uns, denn in Toronto sind wir immer mit tausend anderen Dingen gleichzeitig beschäftigt.
Brendan: Es war für uns eine Erfahrung, die uns sehr zusammengeschweißt hat. Wir haben dort gemeinsam gewohnt, sind viel Fahrrad gefahren. Als wir „You Forgot It In People” aufgenommen haben, waren das für uns noch viel einfachere Zeiten. Wir haben in Kevins Keller aufgenommen, haben mal eben eine Platte gemacht und waren einfach nicht so geschäftig, wie wir es heute sind. Für die Band war es schon so etwas wie eine Wiedergeburt.

motor.de: Was schließt diese Wiedergeburt ein?

Kevin: Das neueste für mich ist, dass ich das neue Album von Grund auf liebe, wir alle tun das. Und keine Plattenkritik wird mir das kaputt machen können. Mit den vorigen Alben war ich viel unsicherer.

motor.de: Krachen in einer so großen Band wie Broken Social Scene die Egos öfter aufeinander als in Kleineren?

Kevin: Die Band gibt jedem die Möglichkeit sich gleichberechtigt auszuleben und trotzdem nimmt Jeder mit der Zeit seinen Platz ein. Bei aller Gleichberechtigung gibt es diesmal in diesem ganzen familiären Kollektiv-Charakter eine Tendenz, mich zum Bandleader zu machen. Die anderen sagen mir, dass ich mich konzentrieren soll, meine Aufwärmübungen machen und abends mal ein Bier weglassen, weil ich in der Mitte der Bühne stehe. Das ist für mich eine Herausforderung, weil man in einer Band, die so sehr vom Kollektiv lebt, natürlich auch leichter mal verschwinden kann. Das finde ich manchmal auch sehr angenehm.

Timo Richard

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