Kultureinstieg fürs Jungvolk oder „völlig gaga“? Theater setzen zunehmend auf Popkonzerte.
Haben das mit dem Theaterrummel schon seit jeher ganz gut drauf: Die Goldenen Zitronen. (Foto: Sebastian Brauer)
Ein bisschen wundern durfte man sich dann schon: Als letztens das Hamburger Independent-Plattenfirmen-Urgestein Buback vier seiner Künstler auf Labeltour schickte, musste großteils auf Theatersesseln Platz nehmen, wer sich bei der Gelegenheit zum Beispiel die Goldenen Zitronen anschauen wollte, eine Band, die gemeinhin die AJZs dieses Landes beehrt, oder Hamburger-Schule-Veteran Kristof Schreuf, dem deutlich unwohl war angesichts der Saal-Optik. Es ist ein unübersehbarer Trend, Popbands ins Theater zu holen – nicht als Bestandteil eines Stückes, sondern als ganz normale Tour-Station, komplett losgelöst vom eigentlichen Spielbetrieb. Natürlich wäre es absurd, eine Diskussion zu führen, ob Theater „das darf“, Theater darf – wie alle Kunst – selbstverständlich alles. Aber ebenso natürlich landet man, wenn man sich mit der Kulturform Theater auch nur oberflächlich auseinandersetzt, sehr schnell bei grundsätzlichen Fragen, was ein Theater leisten soll, dazumal in den sparpolitischen Zwängen, denen Theater – vor allem als klassische Stadttheater angesehene Häuser – derzeit mehr als jemals zuvor zu bundesrepublikanischen Zeiten ausgesetzt sind. In den Niederungen der lokalen Kulturpolitik geht es nur selten um die reine Kunst – und falls doch dann oft als Beschwerde piefiger Kleinbürger und deren Politikverkörperungen gegen modernes Theater an sich. Meist aber stehen Auslastungszahlen, überregionales Prestige, städtische Kulturbetriebsbefindlichkeiten sowie das Dauergezerre um Personen und Etats im Mittelpunkt der Diskussion. Und die immerwährende Furcht, den Anschluss an eine neue Generation zu verlieren, die schlimme Vision einer altersbedingt stetig ausdünnenden Basis an Stamminteressenten in – so ja der generelle Verdacht des klassischen Bildungsbürgertums – Zeiten verfallender kultureller Werte an sich.
Popkonzerte haben sich in den letzten Jahren – zumindest auf den ersten Blick – als probates Mittel der Theatermacher erwiesen, den dabei verwendeten Argumentationslinien ein elegantes Schnippchen zu schlagen. Man würde so ein neues, junges Publikum ins Theater locken und perspektivisch an sich binden, ist die Standardthese zum Thema. Ob das stimmt, lässt sich schwerlich empirisch nachweisen, genauso wenig, ob ein Publikum, das zu Konzerten geht, die man in einem Theater überhaupt anbieten kann, nicht ohnehin eine gewisse kulturelle Offenheit mitbringt. Und ob das dann hieße, man renne eigentlich nur offene Türen ein – oder gäbe ihm den letzten Schubs über die Schwellenangst hinweg. Der zweite Effekt ist zählbar: Er betrifft so schnöde Dinge wie die Auslastung eines Theaters, im lokalpolitischen Clinch immer noch das Totschlagargument Nummer eins, wenn es Intendanten an den Kragen gehen soll. Konzerte hübschen die Besucherbilanz auf relativ unkomplizierte Art auf, zumindest, wenn die verpflichteten Bands tatsächlich für ein Publikum in mindestens normalem Aufführungs-Größenordnungen gut sind. Dass das – zumindest in der Gesamtbilanz – so ist und dass das künstlerische Niveau der Musiker auch innerhalb eines etwas höher gelegten Anspruch eines Theaters vermittelbar ist, muss natürlich mit Kompetenz sichergestellt werden, auch im normalen Veranstaltungsgeschäft eine der wesentlichen Voraussetzungen. Dafür sorgt in der Regel ein eigens angestellter „Kurator“, der im Idealfall die Schnittmenge aus popkulturtheoretischem Unterbau, Durchblick im aktuellen Popbusiness und beste Beziehungen im Künstler-Label-Agentur-Geflecht der Musikszene mitbringt. In der diesbezüglich als Vorreiter agierenden Berliner Volksbühne war das zum Beispiel der ehemalige Spex-Chefredakteur Christoph Gurk, überaus renommiert und – wie er jetzt im Leipziger Centraltheater beweist – immer noch mit sicherem Geschmacksurteil ausgestattet.
Demnächst auch in einem Theater in Ihrer Nähe: William Fitzsimmons.
Außerordentlich gern lassen sich Musiker und ihre Booking-Agenturen auf diese Theater-Auftritte ein, die dann vielleicht ein wenig multimedial aufgemotzt werden, um sich vom Tagesgeschäft irgendwie abzuheben. Was gar nicht mal nötig hat, wer eh als „komplexer Künstler“ mit Anspruch gilt. Man könnte fast sagen, es gibt inzwischen eine eigene kleine Booking-Kategorie „Theater-Tour“. Der Grund dafür ist weniger die Imageaufwertung durch den „höherwertigen“ Rahmen. In Zeiten ständig härter werdenden Livegeschäfts bieten die Theater vor allem eine sehr willkommene Gagen-Aufwertung. Auch wenn, wie im Veranstaltungsalltag üblich, keiner der Beteiligten über konkrete Zahlen redet, ist doch klar, dass deutlich besser und mit höherer Sicherheit gezahlt wird, als in der „freien Wirtschaft“. Die wiederum sind die Veranstalter und Clubs, die den Konzertalltag einer Stadt bestreiten und sich unter weitgehend marktwirtschaftlichen Bedingungen einen normalen Konkurrenzkampf um zahlende Besucher liefern. Glücklich können die natürlich nicht sein, wenn ein weiterer Wettbewerber auftritt, der außerordentliche Gagen aufbietet, die von der normalen Kosten-gegen-Eintrittseinnahmen-Kalkulation eines Clubs weitgehend befreit sind.
Auf den zweiten Blick wird die Situation sogar noch etwas zwielichtiger. Denn unabhängig von konkreten Gagen, agieren Theaterhäuser in einer gänzlich anderen Kosten-Infrastruktur. Eine Konzert im Theatersaal kostet ein Vielfaches des gleichen Konzerts im Rahmen eines angestammten Clubs. Was bei Theaterstücken als kulturelles Gebot gilt – die enorme Subventionierung des einzelnen Tickets durch Steuermittel – schlägt so zumindest indirekt auf freie Konzertveranstalter zurück. (Auch für die Theater selbst lohnt sich die Rechnung übrigens, die Durchführung eines Konzertes dürfte auch bei exorbitanten Bandgagen immer noch deutlich günstiger ausfallen, als eine durchschnittliche Theaterproduktion am gleichen Abend.)
Kristof Schreuf allein im Haus. (Foto: Sebastian Brauer)
„Völlig durchgeknallt, völlig gaga“, nannte das im letzten Jahr mal Berthold Seliger, einer der renommiertesten Berliner Konzertveranstalter, dem angesichts der „Musikbühne“ der Volksbühne der Kragen hochging. Ansonsten hört man abseits des deutlich wahrnehmbar wachsenden Unter-der-Hand-Gemurres kaum offiziellen Protest von Konzertveranstaltern. Denn kaum jemand möchte zuerst aus der Deckung treten und einem anderen Kulturveranstalter ans Bein pinkeln, dazumal dem eigentlichen Publikum die Problemlage schwer zu vermitteln ist, das ja sehr gern ins etwas andere Theaterambiente pilgert, um ein Konzert zu erleben. Überdies stehen auch „freie“ Clubs nicht selten in fragilen Förderzusammenhängen, sei es bei Kulturämtern oder als Sozial- und Jugendarbeiter, die man so ganz schnell in die Blicklinie rücken könnte. Und gegen das bei Gelegenheit immer wieder verwendete Gegenargument, es würden ohnehin nur Konzerte veranstaltet, die sonst gar nicht stattfinden könnten, lässt sich abseits spekulativer Beispiele nur schwer sachlich argumentieren – auch wenn für Leute wie Seliger eben diese Frage schon beantwortet ist.
Augsburg
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