Sie haben keinen Sänger, aber drei Gitarristen. Mit ihrem aktuellen Album Tertia, einem atmosphärischen Wunderwerk, touren die fünf US-Amerikaner momentan durch Europa. Vor ihrem Konzert in der Leipziger naTo traf motor.de die Gitarristen Phil und Aaron von Caspian zum Interview.
Ihr seid jetzt zum zweiten Mal in Europa auf Tour. Wie gefällt es euch?
Phil: Es gefällt uns unheimlich gut hier. Die Leute kommen zu unseren Shows und wir werden überall sehr gut behandelt. Das ist erst unser zweites Konzert dieser Tour und wir freuen uns sehr darauf.
Gibt es für euch deutliche Unterschiede zwischen dem Touren in Europa und in den USA?
Phil: Absolut. In den Staaten ist man zum Teil sehr lange zu den Shows unterwegs und dann gibt es oft keine Promotion für das Konzert und keine Verpflegung. Hier hingegen wird man immer bestens versorgt. Insgesamt habe ich den Eindruck, dass die europäische Kultur kreativen Menschen dienlicher ist als die amerikanische.
Aaron: Die Promoter hier scheinen unheimlich hart daran zu arbeiten, Leute zu den Shows zu bringen und bemühen sich sehr, dass alles gut läuft.
Was war euer bisher interessantestes Erlebnis auf Tour?
Phil: Das ist schwierig zu beantworten. Wir haben mittlerweile über 300 Shows gespielt, denn einer der grundlegenden Aspekte dieser Band ist es, live zu spielen – wo auch immer für wen auch immer. Jede Show hat ihren eigenen Charme, der sie von den anderen unterscheidet. Selbst die schlechten Shows vergisst man nicht. Einmal spielten wir in Athens, Georgia, mitten im Wald. Das Konzert fand in dem Keller eines völlig heruntergekommenen Appartements statt. Überall war Ungeziefer und das Publikum bestand aus sechs merkwürdigen Leuten, die uns unbedingt betrunken machen wollten. Es stellte sich heraus, dass sie alle homosexuell waren und sie wollten…. naja, das kann man sich vermutlich denken. Aber im Allgemeinen genießen wir das Touren sehr. Allein gestern in Hamburg war es großartig.
Ihr habt die ganze Nacht Kicker gespielt, wie ich gerade schon von eurem dritten Gitarristen erfahren habe.
Aaron: Ich liebe Kicker! Früher mochte ich das nie, aber als wir einmal in München gespielt haben, gab es in dem Club einen Kickertisch. Wir haben gegen eine deutsche Band gespielt, die uns gnadenlos besiegt hat. Danach beschlossen wir, dass wir besser werden müssen. Meine Mutter hat mir einen Kickertisch zu Weihnachten geschenkt und seitdem spielen wir ständig. Eines der Highlights am Touren hier ist, dass es überall einen Kickertisch gibt.
Caspian – Trailer zu “Tertia”
Könnt ihr mir etwas über die Anfänge von Caspian erzählen?
Phil: Ich habe Caspian 2003 gemeinsam mit Cal gegründet. Er kannte unseren Bassisten Chris und unseren Drummer Joe. Als wir vier anfingen Musik zu machen, hatten wir nicht das Bedürfnis, Konzerte zu geben oder Alben aufzunehmen. Wir wollten einfach nur Spaß haben und Musik schreiben, die uns gefällt. Unser erstes Konzert spielten wir im August 2004. Ich erinnere mich noch daran, wie ich sagte: “Danke, dass ihr gekommen seid, nächstes mal haben wir einen Sänger.” Und nach der Show meinten alle, dass wir gar keinen bräuchten. Dabei ist es dann geblieben. Auf der Tour zu unserem zweiten Album “The Four Trees” sprang Aaron für unseren eigentlichen Gitarristen ein und wir beschlossen, ihn als permanentes Mitglied mit dabei zu haben. Zu fünft – also mit mittlerweile drei Gitarristen – haben wir dann “Tertia” aufgenommen.
Empfindet ihr Musik eher emotional, oder geht ihr Songwriting und Konzerte mit einem Konzept an?
Aaron: Für mich ist Musik auf jeden Fall eine emotionale Angelegenheit.
Phil: Ja, ich denke, Musik im Allgemeinen ist eine eher emotionale Sache. Meiner Meinung nach wird jeder von Emotionen geleitet, ob bewusst oder nicht. Manche Leute fördern sie, manche unterdrücken sie. Die Art, wie wir mit Instinkten, mit Impulsen und Emotionen umgehen, sehe ich als den zentralen Bestandteil menschlichen Lebens. Als wir anfingen Musik zu machen, war das nichts als pure Emotion und Explosion von Gefühlen und Gedanken, was toll war. Aber man muss auch andere Perspektiven in seinen musikalischen Dialog integrieren. Also versuchen wir, unsere Emotionalität mit Vernunft und musiktheoretischen Ansätzen zu kombinieren. Dennoch sind Gefühle und Emotionen definitiv grundlegend in unserer Musik. Ich habe den Eindruck, dass ein Großteil derer, die zu unseren Konzerten kommen und unsere Alben kaufen, in guter Beziehung zu ihrer Seele und ihren Emotionen stehen.
Phil, Du hast mal in einem Interview gesagt, dass Du eure Musik nicht gern beschreibst.
Phil: Musik ist etwas sehr Subjektives. Was immer du denkst, was auch immer für Bilder in deinem Kopf entstehen, wenn du unsere Musik hörst, gehört zu 100 Prozent dir. Wir wollen keine Begriffe festlegen, um unsere Musik zu beschreiben, denn jeder soll sich seine eigene Meinung dazu bilden. Es ist sehr wichtig, dass sich jeder unserem Sound unvoreingenommen nähern kann. Ich könnte mir dieses Mal den Mund darüber fusselig reden, was dieses Album für mich bedeutet, aber ich denke nicht, dass unsere Hörer mich dazu brauchen. Wenn wir gefragt werden wie wir klingen, sagen wir meist…
Aaron: Laut!
Phil: Genau, laut! Ach ja, und es gibt keinen Sänger. (lacht)
Wenn es euch nichts ausmacht würde ich euch trotzdem eine Frage dazu stellen, wie ihr eure Musik einschätzt. Stellt euch vor, ihr könntet einen Soundtrack zu einem Film eurer Wahl schreiben,
welcher Film wäre das dann?
Aaron: Vielleicht ein Kriegsfilm. Es gibt so viele Emotionen, auf die wir stoßen und manchmal fühle ich mich wie in einem Kampf, selbst auf der Bühne.
Phil: Für mich ist unsere Musik sehr minimalistisch. In gewisser Hinsicht ist sie sicher auch progressiv und technisch, aber für mich ist sie sehr schlicht. Und ich mag auch Filme, die so sind. Viele würden wohl denken, dass unsere Musik am besten zu epischen Filmen passt, wie Herr der Ringe oder Star Wars. Aber ich verbinde unsere Musik nicht damit, sondern eher mit etwas, das ebenfalls minimalistisch und detailliert ist… (denkt nach) Jetzt weiß ich es: “Der schmale Grat” von Terrence Malick, ganz klar.
Aaron: Genau das habe ich auch eben gedacht.
Phil: Terrence Malick hat auch “The New World” gemacht, der mein absoluter Lieblingsfilm ist. Malick ist ein sehr poetischer Filmemacher und ein guter Beobachter. Im Moment arbeitet er an einem Film namens “The Tree Of Live”. Es ist lächerlich, überhaupt daran zu denken, aber wenn wir dazu den Soundtrack machen würden, wäre das ohne Zweifel meine allererste Wahl.
Und noch eine hypothetische Frage: Wenn ihr euch eine Band oder einen Künstler aussuchen könntet, mit der oder dem ihr eine Show spielt, wer wäre das dann?
Phil: Keine Frage – Radiohead. Sie sind eine meiner absoluten Lieblingsbands. Sie sind die einzige aktuell wirklich gute Band und werden als eine der besten Bands aller Zeiten in die Geschichte eingehen. Mit Radiohead auf der Bühne – das wäre großartig.
Phil, du hast noch ein Nebenprojekt, The Atlas Ladder. Kannst du ein bißchen davon erzählen?
Phil: Das Zeug klingt ganz anders als Caspian, sehr entspannt. Einige der Loops und Samples unserer Show heute sind von The Atlas Ladder. Momentan arbeite ich an ein paar Remixen für die Constants und Junius, die übrigens bald auch hier spielen werden. Im nächsten Jahr würde ich dann gern ein Album herausbringen, vielleicht nach der Tour zu “Tertia”.
Was sind eure Pläne mit Caspian?
Phil: Die Europatour wird noch bis Ende Oktober andauern. Im November werden wir erstmal ausspannen. Anfang nächsten Jahres werden wir erst auf eine zehntägige und später auf eine richtig lange US-Tour gehen. Das haben wir bisher noch nicht gemacht. Wir lieben es, hierher zu kommen, deshalb sind wir in den USA noch nicht so lang getourt. Es macht einfach nicht so viel Spaß. Danach werden wir an neuer Musik schreiben. Vielleicht kommen wir dann im Sommer noch für ein paar Festivalgigs nach Europa. Ende 2010 oder Anfang 2011 könnte dann schon unser nächstes Album erscheinen. Dieses Album wird völlig anders werden als die vorherigen.
Inwiefern?
Phil: Bisher haben sich alle unsere Alben sehr stark voneinander unterschieden. Wir würden nie dasselbe Album zweimal machen. “Tertia” ist sehr düster und intensiv. Ich denke, es reflektiert, wie wir uns in den letzten Jahren, in denen wir ununterbrochen unterwegs waren, fühlten. Ich weiß nicht, ob ich noch mehr solcher Songs schreiben kann. Ich denke, wir alle wollen beim nächsten Mal ein schönes Album machen, etwas, das dir in jedem einzelnen Moment einen Schauer über den ganzen Körper jagt. Es wäre toll, etwas Schönes zu erschaffen, das uns inspiriert. Ich weiß, es klingt kitschig, aber Schönheit zu definieren, anstatt nur auf das zu reagieren, was wir erleben, das wäre eine Herausforderung. Vielleicht wird sogar Gesang auf dem Album sein und auf jeden Fall wesentlich mehr Instrumentierung, viel mehr elektronisches Zeug – was immer es braucht, das Album anders klingen zu lassen und sich weiter zu entwickeln.
Was können wir von eurer Show heute abend erwarten?
Phil: Es wird laut. Wir werden viele Songs vom neuen Album spielen, ein paar vom letzten und ein Stück von unserer ersten EP “You Are The Conductor”. Wir sind sehr zufrieden damit, wie das Set läuft. Wir spielen jeden Abend exakt dieselbe Show. Das haben wir vorher noch nie getan.
Gibt es zum Schluss noch etwas, das ihr loswerden wollt?
Phil: Jedes Mal wenn wir eine Gelegenheit wie diese bekommen, möchten wir uns bei den Leuten bedanken. Das mag vielleicht abgedroschen klingen, aber uns ist unsere Musik unglaublich wichtig. Für uns ist sie das einzige, das wirklich zählt. Wir sind keine wahnsinnig berühmte Band, aber wir lieben was wir tun. Wenn die Leute zu unseren Shows kommen, unsere Shirts kaufen, oder uns irgendwie anderweitig unterstützen, bedeutet uns das sehr viel. Also wollen wir einfach nur Danke sagen, das ist uns sehr wichtig.
Interview: Sarah Schaefer
Fotos: Franziska Finkenstein
No Comment