(Fotos: Uncle M / Promo)
Was haben Künstler wie Frank Turner, Brian Fallon, Tim McIllrath und Tim Barry – außer der Leidenschaft für handgemachte Klänge – gemeinsam? Sie alle lassen alles stehen und liegen, wenn das Telefon klingelt und es aus dem Hörer schallt: „Hi Buddy, it’s me, Chuck. It’s Revival-Time. Are you in on it?“. Wenn Chuck Ragan ruft, steht die Elite Spalier. Seit mittlerweile fünf Jahren zieht die bärtige Hot Water Music-Ikone nun schon in regelmäßigen Abständen mit seinem Revival-Tour-Zirkus durch die Lande und erbringt dabei den Beweis, dass Punkrock auch wunderbar ohne Strom funktionieren kann. Auch unter eigenem Namen sorgt der Amerikaner immer wieder für stehende Ovationen innerhalb der kauzigen Singer/Songwriter-Szene. Ab Mitte August ist Chuck Ragan hierzulande wieder auf Tour. Wir plauderten mit dem Sänger über die kommende Tour und den Spirit des Revival-Projekts.
motor.de: Hi Chuck, in wenigen Tagen beginnt deine Deutschland-Tour. Die Tickets gehen weg wie warme Semmeln. Mancherorts hängen bereits Sold Out-Schilder an den Eingangstüren. Überrascht?
Chuck: Ja, absolut. Ich bin aufgeregt, dankbar und auch ein bisschen überwältigt! Ich liebe, was ich tue und fühle mich geehrt, dass die Menschen mich und meine Musik rund um den Globus dermaßen unterstützen. Es ist schon überwältigend, wenn ich sehe, wie die Nachfrage nach meiner Musik immer weiter steigt. Irgendwo in der Welt sind Shows ausverkauft! Das ist doch irre. Dadurch steigt allerdings auch die Verantwortung. Es ist meine Pflicht, den Leuten jeden Abend aufs Neue eine Show zu bieten, die sie in guter Erinnerung behalten. Das ist mein Anspruch. Darum muss man sich kümmern. Das funktioniert nur mit Leidenschaft, Liebe und Respekt den Menschen gegenüber, die teures Geld bezahlen, um einen spielen zu sehen. Mir ist es egal, ob ich vor 5 oder vor 5000 Leuten spiele. Es ehrt mich, wenn mir fremde Menschen zuhören und sich an meiner Musik erfreuen. Ich kann es manchmal gar nicht fassen, dass ich nach all den Jahren in Ländern spielen kann, in denen Fremde Freunde fürs Leben wurden. Das ist schon ein Geschenk.
motor.de: Momentan herrscht ein wahres Überangebot an talentierten Songwritern, von denen alle ein Stück vom großen Kuchen abhaben wollen. Wie sieht es da bei einem etablierten Künstler wie dir aus? Hast du das Gefühl, dass es mit dem Genre-Hype einfacher geworden ist, ein großes Publikum zu erreichen? Oder macht es die Masse an Konkurrenz eher schwieriger?
Chuck: Man muss immer kämpfen. Es spielt keine Rolle, ob deine Branche gerade gehypt wird, oder nicht. Es gibt keine Garantien, verstehst du? Dieses Business ist hart und so sprunghaft, dass man nie weiß, wie es in zwei oder drei Monaten aussieht. Als Musiker kannst man nur alles in die Waagschale werfen, was man hat und hoffen, dass es am Ende irgendjemanden interessiert, der letztlich dafür sorgt, dass man Essen auf dem Tisch hat und seine Rechnungen bezahlen kann. Ich kann von Glück sagen, dass ich ein funktionierendes Umfeld habe, in dem mir die Leute Kraft und Hoffnung geben. Außerdem verbinden viele Menschen meine Namen mit Hot Water Music. Das hilft natürlich ungemein. Andere Songwriter kommen aus dem Nichts. Die haben es noch schwerer. Und nur die Wenigsten bekommen die Aufmerksamkeit, die sie verdienen. Aber die Underdogs werden nie ruhen. Sie müssen nur an sich glauben und unbeirrt ihren Weg gehen.
motor.de: Du bist ab August auf Solo-Tour. Dennoch hat das ganze Unterfangen einen gewissen Revival-Flair. Denn mit Dave Hidalgo (Social Distortion) und Dave Todd Beene (Lucero) hast du neben deinen altbewährten Mitstreitern Jon Gaunt und Joe Ginsberg, zwei hochkarätige Begleitmusiker am Start. Wie kam das Lineup zustande?
Chuck: Nun, ich wollte einfach, dass die Leute meine Songs in einem neuen Sound-Gewand zu hören bekommen. Mit Dave und Todd konnte ich zwei Kollegen dafür begeistern, die dem Ganzen das entsprechende Rückgrat verleihen. Außerdem werde ich mein nächstes Album mit einer kompletten Band aufnehmen. Demnach ist diese Tour schon einmal ein guter Testlauf. Aber keine Angst: Die intime Atmosphäre wird auch mit kompletter band beibehalten.
motor.de: Apropos: Mehr Fans = größere Hallen. Hast du keine Angst davor, dass dabei die erwähnte intime Atmosphäre irgendwann einmal auf der Strecke bleiben könnte?
Chuck: Nein, gar nicht. Denn ich glaube, dass die Atmosphäre nichts mit der Location zu tun hat, sondern nur mit den Leuten, die sie ausfüllen. Ich bin wirklich stolz auf meine Fanbase. Es spielt bei meinen Konzerten nie eine Rolle, ob ich gerade auf einer großen Festival-, oder einer kleinen Hinterhofbühne stehe. Die Leute, die mich seit Jahren begleiten, sorgen überall für diese unvergleichlich intime Atmosphäre. Die Energie, die dabei entsteht ist einzigartig. Ich kann es nicht so richtig beschreiben, aber es ist, als wären wir alle eine Familie.
motor.de: Was bedeutet dir deine Musik? Ich habe bei deinen Songs manchmal das Gefühl, dass da weit mehr als bloße Leidenschaft dahinter steckt. Bisweilen hat dein Schaffen gar etwas Therapeutisches.
Chuck: Es ist sicherlich eine Form der Therapie, aber nicht in der Weise, dass es eine lästige Pflicht oder Übung ist. Ich liebe es. Ich bin nicht der Typ Musiker, der permanent schreibt. Das kann ich nicht. Vielleicht wäre ich heute ein besserer Songwriter, wenn ich so ticken würde. Aber das bin nicht ich. Mir geht es in meinen Songs um Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit und Respekt. Ich schreibe aus dem Herzen heraus. Ich lebe und schreibe darüber. Ich schreibe nicht und lebe nebenher, verstehst du? Das ist ein großer Unterschied.
motor.de: Du hast bereits mit unzähligen etablierten Künstlern zusammengearbeitet. Gibt es jemanden, der dir auf deiner ganz persönlichen Kooperationsliste noch fehlt?
Chuck: Oh, da gibt es jede Menge Musiker. Wenn ich aber einen auswählen dürfte, dann wäre das wohl Billy Bragg.
motor.de: Welche Zusammenarbeit hat denn bei dir besondere Spuren hinterlassen?
Chuck: Jede Zusammenarbeit war einzigartig. Ich habe von jedem Musiker, mit dem ich bisher arbeiten durfte etwas gelernt. Die einen haben mir gezeigt, wann man welche Dinge wie angeht, während die anderen mich daran erinnerten, wann man welche Dinge eher sein lässt. Dieses Miteinander ist sehr lehrreich für mich, denn es gibt noch so viele Dinge, die ich mir von anderen Künstlern abschauen kann.
motor.de: War das auch der Hauptgrund für dich, die Revival-Tour ins Leben zu rufen?
Chuck: Ja, sicherlich. Die Revival-Tour ist das mit Abstand spannendste Live-Projekt, was ich je auf die Beine gestellt habe. Die Tour war ja so nie wirklich geplant. Irgendwann entwickelte sich jedoch eine Dynamik, der man sich nicht mehr in den Weg stellen konnte. Und daraus wurde dann etwas wirklich Besonderes. Es ist das Unerwartete, das mich jedes Mal wieder aufs Neue fasziniert. Auch wenn das Lineup steht, weiß keiner so genau, wer denn nun wirklich alles auf der Bühne auftaucht.
motor.de: Du bist bekannt dafür, viel auf Tour zu sein – auch wenn du oftmals betonst, dass das lange Reisen eigentlich nicht so dein Ding ist. Es soll ja Musiker geben, die nach einer langen Tour, große Probleme damit haben, sich wieder im „normalen“ Leben zurecht zu finden. Wie sieht es da bei dir aus?
Chuck: Oh, ich liebe das „normale“ Leben. Ich werde nicht depressiv wenn ich von einer Tour komme. Ich wasche gerne die Wäsche oder gehe Einkaufen. Damit habe ich kein Problem.
Kai Butterweck
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