Wie der Killer in einem Roman vermischt Clueso Realität und Fiktion und verblutet mit seiner Band im Studio.
Angefangen hat der 30-Jährige Erfurter als MC mit – wie er selbst sagt – Kinder-Hip Hop. Seitdem sind gut 15 Jahre vergangen und Clueso ist mit seiner Musik gewachsen. Als Singer/Songwriter und Produzent hat er seinen Platz in der Musikwelt Deutschlands sicher. Spätestens mit seinem Erfolgsalbum “So sehr dabei” eroberte er die Herzen der Nation. Seine Texte handeln von den kleinen Dingen im Leben, die so viel größer sind, als das eigentlich Offensichtliche. Somit ist es schier unmöglich, sich in den Songs von Clueso nicht wiederzufinden. Im März folgt der nun fünfte Langspieler “An und für sich”. Während er für das neue Werk im Studio war, arbeitete er gleichzeitig an einem Buch. Er selbst beschreibt die Doppelbelastung als Gartenarbeit nach dem Bürojob. Mit motor.de sprach Clueso über schauspielende Chinesen und das Musizieren im Bademantel.
motor.de: Dein neues Album „An und für sich“ steht in den Startlöchern und auch die Tour beginnt bald. Ein schönes Gefühl, oder?
Clueso: Einerseits fällt der Druck ab, ganz klar. Am Album lässt sich nun nichts mehr ändern. Aber andererseits steht jetzt ein Interviewmarathon und viele Proben für die Tour an, das stresst natürlich. Und weil man im Studio wie ein Maulwurf begraben ist, muss ich jetzt erstmal wieder laufen lernen. Ich muss quasi wie ein Astronaut resozialisiert werden.
motor.de: Wie würdest du den Entstehungsprozess zu „An und für sich“ beschreiben, gerade auch im Vergleich zum Vorgängeralbum? „So sehr dabei“ hast du ja damals in Spanien innerhalb von nur ein paar Wochen aufgenommen.
Clueso: Dieses Mal hat die ganze Produktion viel länger gedauert. Beim letzten Mal gab es ein Bandcamp, das haben wir diesmal weggelassen. Das war ein bisschen blöd. Die Band hängt ja, anders als die meisten Bands, nicht jeden Tag miteinander rum, sondern jeder hat noch eigene Projekte. Wir treffen uns dann immer erst im Studio oder zu Proben. Die Band hätte allerdings die Zeit dringend gebraucht, um sich mit den Songs zu identifizieren. Das war es auch, was uns jetzt am Ende die Zeit geraubt hat und die Veröffentlichung verzögerte.
Clueso – Acoustic Session in Spanien
motor.de: Wann sind für dich die Momente, in denen dein kreativer Input am größten ist, an denen die meisten neuen Sachen entstehen?
Clueso: Wann ein Song kommt, entscheide nicht ich. Aber im Grunde ist es so, dass du nach dem Fertigstellen eines Albums direkt mit einem neuen beginnen müsstest, weil da der Erfahrungsschatz am größten ist. Das ist, als ob man durch eine bestimmte Lebenssituation irgendetwas lernt und denkt ‘Jetzt weiß ich Bescheid’. Schwupps kommt eine völlig neue Situation und man stellt entsetzt fest, dass man das Gelernte gar nicht anwenden kann. Also geht es wieder von vorn los. Aber im Zuge eines Albums oder einer Tour bin ich am kreativsten. Gestern überkam es mich plötzlich und ich schnappte mir sofort eine Gitarre aus dem Hotelfoyer, um diesen Moment und die Idee festhalten zu können.
motor.de: Bei „An und für sich“ gibt es im Vergleich zu den Vorgängern deutlich mehr elektronische Einflüsse zu hören. Wer oder was hat dich dahingehend beeinflusst?
Clueso: Die Lust, das zu tun, hatte ich schon lange. Mein Freund Baris Aladag und ich haben aus Spaß ein paar Mal zusammen aufgelegt. Das waren hauptsächlich elektronische und tanzbare Sachen, die mich natürlich inspiriert haben, sie auch in das Album einfließen zu lassen. Und in meiner Band gibt es zwei Musiker, die mit anderen Projekten im Elektro zu Hause sind. Das ist zum einen mein Keyboarder Philipp Millner, der gemeinsam mit seiner Schwester das Projekt Hundreds aufzieht. Und zum anderen DJ Malik, der mit dem Trio Marbert Rocel auflegt. Daher kommen die Einflüsse, die ich liebend gern zulasse.
motor.de: Gibt es auf dem neuen Album einen Song, der dir besonders am Herzen liegt, auf den du besonders Stolz bist?
Clueso: Bei 17 Kindern ist das wirklich schwierig. Ich mag „Beinah“ als gesamtes Stück sehr. Es ist so einfach, nur mit Orgel, Gitarre, Schlagzeug und Gesang. Das begeistert mich immer wieder. Und die Leichtigkeit von „Ich bin für’s Rollen“ finde ich schön. Aber ich sehe natürlich auch immer die Details hinter dem Lied. Und „Rollen“ hat einen schönen Moment: Ich kam aus der Sauna, saß dann im Bademantel und mit Gitarre da und Antonio aus Leipzig hat dazu sein Saxophon ausgepackt. Genau so, wie der Song da entstanden ist, haben wir ihn letztendlich auch gelassen.
motor.de: Bei deinem Song „Regen“ ist man zunächst überrascht, da er beginnt wie „A-N-N-A“ von Freundeskreis. Und tatsächlich setzt dann Max Herre mit den Worten „Immer wenn es regnet“ ein. Wie kam es dazu? War das von Anfang an geplant?
Clueso: Das ist einfach so passiert. Die Bassläufe waren zufällig sehr ähnlich. Und als wir im Studio waren, kam jemand auf die Idee, dass es sehr geil wäre, wenn Max Herre tatsächlich so beginnen würde, wie bei „A-N-N-A“, weil es in dem Stück eben auch um Regen geht. Und zugegebenmaßen hatte ich selbst zunächst Bedenken, weil ich Max so gern singen höre und ich dachte, wenn er einmal anfängt, dann wollen die Leute bestimmt, dass er weitersingt und nicht mehr mich hören. Aber das haben wir gut gelöst mit einem langen Intro. Die ursprüngliche zufällige Ähnlichkeit der Bassläufe liegt aber sicherlich daran, dass unsere Vorbilder ähnlich sind, so wie in diesem Fall die Inspiration vom typischen Philly-Sound wie bei D’Angelo kommt.
Clueso – “Chicago”
motor.de: Deine Texte sind sehr persönlich. Hast du Bedenken, dass du manchmal zu viel von dir preisgibst?
Clueso: Ja und nein. Ich bewahre mein Privatleben vor der Öffenlichtkeit und rede wenig darüber. Aber andererseits lebt ein Künstler ja davon. Und ich bin wirklich genervt, wenn ich mit Musikern zusammenarbeite, die das nicht tun und ich dann sagen muss: ‘Öffne deinen Brustkorb und schneide dir was raus. Verblute meinetwegen im Studio, nur erzähl mir was’. Ein Song ist wie der Killer in einem Buch – der Kern ist wahr, aber es steckt auch viel Fiktion dahinter und der Autor wird nicht selbst zum Mörder, nur weil er darüber schreibt. Am Ende muss die Geschichte stimmen und der Song Sinn ergeben. Und niemand weiß, was davon wahr ist oder dazugedichtet wurde.
motor.de: Im Dezember letzten Jahres erschien dein Buch „Von und über Clueso“. Wie kam es zu dieser Idee?
Clueso: Die Idee kam von Oliver Schwarzkopf, ein Bekannter von meinem Manager Andi Welskop. Wir hatten so viel Material von den Touren, dass Andi meinte, ein Fotobuch wäre wirklich eine schöne Idee. Als das Buch dann bereits promotet wurde, hat es eigentlich nicht mehr gepasst, weil wir schon an dem neuen Album arbeiteten. Aber ich konnte ja den Verleger nicht so bloßstellen.
motor.de: Und wie hast du die doppelte Belastung mit dem Buch und dem Album gehandelt?
Clueso: Irgendwie war es doch schon fast dienlich beides gleichzeitig zu machen. Wir waren im Studio. Unten hat Roy, der Drummer von Peter Fox, gespielt, während ich oben saß und an dem Buch gearbeitet hab. Er zeigte mir dann den Song, den er für mich eingespielt hat und ich zeigte ihm, was ich geschrieben habe. Das war eine gute Ablenkung, sich während der stressigen Studioaufnahmen die Ruhe zu nehmen, die man ja eigentlich gar nicht hat.
motor.de: Du bist ja durch deine Arbeit beim Goethe-Institut viel gereist. Gibt es ein Schlüsselerlebnis, was dich besonders beeindruckt oder geprägt hat?
Clueso: Mein Freund Norman Sinn und ich haben mal in einer Provinz in China gespielt. Die Bewohner kannten noch keine Konzerte und wussten nicht wirklich, was da abgeht. Die chinesische Polizei hat die Massen fast tot geprügelt, weil die gegen die Zäune gedrückt haben. Das Goethe-Institut hat dann deutsche Polizisten einfliegen lassen, die den Chinesen erklärten, dass das alles völlig normal ist, dass nichts kaputt geht und dass dort keine Revolution entsteht. Als wir dann aufgetreten sind, haben die Leute angefangen das Publikum eines Konzerts zu spielen, wie sie es aus dem Fernsehen kennen. Das fand ich wahnsinnig beeindruckend. Die haben das einfach so nachgemacht, als würden sie ihre eigene Filmrolle spielen.
motor.de: Du sagtest mal, dass Musik machen für dich immer die Suche nach DEM Song ist. Glaubst du denn, dass es diesen einen Song wirklich gibt?
Clueso: Nein, ich glaube nicht, dass man ihn finden kann. Aber es werden Songs kommen, die ziemlich nah dran sind, DER Song zu sein. Trotzdem hofft man, für sich selbst immer und immer wieder bessere Stücke zu machen. Die Suche hört also nie auf.
Interview: Christine Pötzsch
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