Es gibt Bands, die erzählen jedem von ihrer wichtigen Botschaft an die Welt. Für CocoRosie ist das nichts: Sie wollen, dass wir uns selbst ein Bild machen.

Wenn CocoRosie mit ihrem Sound zwischen Indiepop, Folk und Elektronik bloß als eine dieser typischen New Folk-Bands verbucht werden, ist ihnen das egal: Schließlich wissen sie selbst am besten, welche Prämissen für die eigene Karriere wichtig sind. Seit nunmehr sieben Jahren verwirren und betören sie mit ausgefallenen Alben, schrägen Klamotten und kruden Aussagen nicht nur die Musikwelt, sondern auch Kritiker wie Fans zugleich. „Grey Oceans” setzt diese Marschrichtung unbeirrt fort und die beiden Köpfe und Schwestern hinter CocoRosie, Bianca und Sierra Casady, pfeifen erneut auf jegliche Konventionen.

Zum Interview erscheint nur eine der beiden Damen: Bianca. Ihre bessere Hälfte glänzt durch Abwesenheit, doch es fällt schwer ihr böse zu sein, so sympathisch wie Sierra durch den Empfangsbereich ihres Labels huscht und dabei verspielt wie ein kleines Kind wirkt. „Ich hoffe, es ist in Ordnung, wenn nur wir beide uns unterhalten“, entschuldigt sich Bianca und ringt sich ein Lächeln ab.

motor.de: Deine Schwester gab dir eben drei Karten in die Hand und flüsterte dir etwas ins Ohr – worum ging es dabei?

Bianca Casady: Das sind Codes zwischen uns, die niemand versteht ohne mich oder Sierra für verrückt zu erklären. Nach all den Jahren haben wir eine gemeinsame Kommunikation entwickelt und Situationen wie diese zeigen, dass sie nur zwischen uns funktioniert. Es ist schwer erklärbar und für Außenstehende nicht nachvollziehbar, worum es sich dabei dreht.

motor.de: Ein gutes Stichwort, weil ihr oft als Nerds hingestellt werdet: Wenn ihr beispielsweise über Religion oder Spiritualität sprecht.

Bianca Casady: Zu Beginn von CocoRosie war das ein Problem, weil wir ganz andere Aussagen beabsichtigt hatten, als die, die dann in der Presse standen. Irgendwie wurde vieles falsch interpretiert, doch es stört mich nicht mehr, denn ich habe eingesehen, dass das Thema CocoRosie für manche zu komplex und vielschichtig ist. Auf Tour erleben wir meist das Gegenteil: Die Menschen vor der Bühne wissen worum es uns geht.

motor.de: Mit eurem neuen, vierten Album „Grey Oceans” gebt ihr Rätsel auf. Die Songs sind eingängiger und nicht so verspielt wie auf dem 2007 veröffentlichten Vorgänger „The Adventures Of Ghosthorse And Stillborn”. Warum ist das so?

Bianca Casady: Bei „The Adventures Of Ghosthorse and Stillborn” handelte es sich um eine Art Konzeptalbum und es war damals wichtig, dass die Musik sehr viele Facetten präsentiert, wenn sich die Lyrics schon an einem Themenstrang abarbeiten. Diesmal begannen wir mit dem Songwriting früher, Ende 2007 waren bereits erste Entwürfe fertig und damit tingelten wir dann um die ganze Welt – von Tonstudio zu Tonstudio.

CocoRosie – Beautiful Boyz:

motor.de: Die Stationen lesen sich abenteuerlich: In Buenos Aires gestartet, ging es innerhalb von 18 Monaten weiter nach Paris, Berlin, New York und Melbourne. War das so geplant?

Bianca Casady: Nein, wir sind generell viel unterwegs und ich persönlich betrachte Buenos Aires als Entstehungsort von “Grey Ocans”. In fünf Tage schafften wir dort alles zusammen, was nötig war und nahmen es anschließend mit der Band auf. Danach erfolgten in den anderen Städten nur noch Feinschliffe. Um aber auf deine Frage zurückzukommen: Der eher gradlinige Sound ist nicht wirklich ein solcher. Ich finde schon, dass die Songs viele verschiedene Elemente besitzen: Die Elektronik steht zum Beispiel mehr im Vordergrund als bei den vorangegangenen Werken. Bislang hatte sie eher eine unterstützende Funktion, wenn man so will.

motor.de: Wenn „The Adventures Of Ghosthorse And Stillborn” eine Gutenachtgeschichte war, bei der ihr beide in die Rolle von Fabelwesen geschlüpft seid, was ist demgegenüber „Grey Oceans”?

Bianca Casady: Das vierte CocoRosie-Album, mehr nicht. Wir haben in den vergangenen sieben Jahren gelernt, dass es unvorteilhaft sein kann, wenn man den Hörern einer Platte etwas vorgibt. Das verwirrt und so bieten CocoRosie den Soundtrack zur Phantasie eines jeden Einzelnen, ohne ihm konkret etwas sagen zu wollen. Selbst wenn ich hier sitze und ganz andere Kleidung oder Make-Up trage als bei den Interviews zur letzten Platte – mach daraus was du willst: Sieh es als ein Gender-Statement, als Modetick oder schlechten Geschmack. Es bleibt dir selbst überlassen.

motor.de: Ist das die Konsequenz, CocoRosie erklären gar nichts mehr – es muss doch eine bestimmte Motivation hinter allem stecken?

Bianca Casady: Es gibt keine Ursache, es gibt keine Wirkung, nur elf neue Songs, die genau das sind, was du in ihnen sehen möchtest. Welche Dinge wir damit verbinden darf deine Sicht nicht verfälschen. Das habe ich früher im Kunstunterricht ebenfalls so gemacht, wenn ein Lehrer der festen Überzeugung war, genau zu wissen, was dieses oder jenes Gemälde aussagt. Letztens meinte ein Freund zu mir, er wäre überrascht, dass das Cover so bläulich geworden sei, obwohl die Platte “Grey Oceans” heißt – es ist mir bis dahin gar nicht aufgefallen, dass das Element Wasser im Cover zwar seinen Ausdruck findet, im Titel jedoch verfärbt wird.

CocoRosie – Noah’s Ark:

motor.de: Wenn es um Religion geht, dann also nicht um Gott?

Bianca Casady: So viel will ich verraten: Wenn CocoRosie in Songs, Interviews oder auf der Bühne von Spiritualität sprechen, meint niemand den christlichen Glaube mit einem weißbärtigen, überlebensgroßen und menschenähnlichen Wesen, dass über uns alle herrscht und richtet. Es geht darum sich selbst zu finden und das innere Ich zu erforschen. Wenn man so will unternimmt „Grey Oceans” genau diesen Schritt.

Womit dann doch ein wenig Licht ins Dunkel kommt. Trotzdem: Die ehemaligen Freak Folk-Pioniere wollen nicht länger Everybodies Darling sein und schotten sich von Zuschreibungen ab, wo es nur möglich ist. Ihr gutes Recht, selbst wenn ihre kunstvoll arrangierten Songs auf „Grey Oceans” dadurch noch geheimnisvoller klingen.

Marcus Willfroth

Vö: 30.04.10

Label: Souterrain Transmissions/Rough Trade

Tracklist:

1. Trinity´s Crying
2. Smokey Taboo
3. Hopscotch
4. Undertaker
5. Grey Oceans
6. R.I.P. Burn Face
7. The Moon Asked The Crow
8. Lemonade
9. Gallows
10. Fairy Paradise
11. Here I Come