In unserer fünften Folge „Menschen der Nacht“ und der ersten Folge seit Corona gehen wir in ein angesagtes Restaurant, das für über zwanzig Jahre einer der legendärsten Clubs war: das Cookies. Statt über nen Tressen hinweg zu reden, treffen wir Cookie Heinz Gindullis über Zoom. Statt edler Untergrund-Atmosphäre, strahlt einen die orangene Wand im Hintergrund an, wie ein einziges Mahnmal für die nicht vorhandene Nacht. Doch die Nacht wird wieder kommen und bis dahin müssen Orte wie das Cookies Cream und das Crackers überleben. Von über 100 Mitarbeiter*innen vor Corona gibt es noch etwa 75. Doch Cookie und sein Team machen das Beste aus der Zeit und wie das genau aussieht erfahrt ihr jetzt:
Februar 2020: „Ist das jetzt richtig, was wir hier machen?“
motor.de: Wann war dein letzter „normaler“ Arbeitstag vor Corona?
Cookie: Die ganze Situation hatte sich ja ein bisschen angebahnt. Das letzte große Event war für uns Ende Februar die Berlinale, für die wir seit mehreren Jahren die Abschlussfeier veranstalten. Damals hieß es, dass Corona sehr stark in Italien ist – die Berlinale war sehr italienisch geprägt und dadurch war das schon so ein bisschen ein besonderer Abend. Das Haus war natürlich voll – was man sich heutzutage gar nicht mehr vorstellen kann – alle haben gefeiert, aber irgendwie gab es schon auch das Gefühl: „Ist das jetzt richtig, was wir hier machen?“. Es ist zum Glück alles gut gegangen, aber das war das letzte Mal, dass im Cookies einfach gefeiert wurde und das Nachtleben bebte.
Ansonsten wollte ich kurz drauf auch meinen Geburtstag noch feiern – ich hatte 170 Freunde eingeladen und am gleichen Tag sind wir noch runtergegangen auf 20, denn es gab den ersten Fall in Berlin.
motor.de: Als alles zugemacht hat – wie war da dein Gefühl?
Cookie: Als wir zugemacht haben, war mir relativ schnell klar, dass das keine Sache von drei Monaten ist, sondern eher eine Sache von 1,5 Jahre. Wir leben schließlich in Berlin und die Stadt lebt auch vom Tourismus, von Geschäftsreisen und natürlich den Berliner*innen selbst. Dennoch hätte ich nicht gedacht, dass es uns so hart trifft, aber mir war klar, dass Corona eine sehr lange Zeit Auswirkungen haben wird.
Ein Mitarbeiter von mir meinte gleich am ersten Tag, als wir zu hatten „hey Cookie lass uns ein Lieferdienst anbieten“. Hättest du mich noch im Februar 2020 gefragt, ob ich jemals einen Lieferdienst aufbauen würde, hätte ich gesagt „never ever“, aber nun ja, man soll eben nie nie sagen: Am 1. April haben wir den Lieferservice gestartet. Mir war es wichtig, dass unsere Gäste auch zu Hause das Gefühl von Cookies haben, deshalb packen wir in all unsere Pakete Kerzen rein, unsere DJs erstellen diverse Playlisten und zusätzlich filmen wir kleine Videos mit unseren Köchen.
Am Ende muss ich sagen: Selbst, wenn der Lieferservice finanziell jetzt vielleicht nicht mega Sinn ergibt, ist er total wichtig für unseren Teamgeist. Es ist schön, dass das Team sich weiterhin sieht: die Kellner und die Hostessen helfen mit beim Verpacken, die Köche kochen das ganze Essen. Es gibt jetzt auch immer mehr Leute, die bei mir arbeiten, die unbedingt mithelfen wollen, weil sie einfach wieder was machen wollen.
Außerdem, was ich mir überhaupt nicht vorstellen konnte, waren die Hilfen, die Deutschland ja ziemlich sofort angeboten hat – vor allem wenn man überlegt, wie lang Länder wie England oder Spanien gebraucht haben, um nur eine Form von Kurzgeld anzulegen, da ging es uns in Deutschland doch vergleichbar ziemlich gut. Jedoch kommen die versprochenen Hilfen nicht wie in den Medien kommuniziert, überall gibt es Gründe, was zu kürzen oder aus irgendwelchen Gründen fällt man plötzlich doch komplett durch das Raster.
motor.de: Wie waren deine Nächte im Sommer?
Cookie: Wir haben mit ganz unterschiedlichen Sachen zu kämpfen. Unser Restaurant war ja 25 Jahre lang ein Club und hat bis heute diese Atmosphäre und auch einfach die Kapazität, um laute, große Partys zu veranstalten. Der Sommer ist für uns schon immer hart, schließlich will niemand indoors sein. Durch Corona wurde der Drang nach draußen noch extremer. Wir haben zwar eine Lüftung für 1000 Leute und die auf Vollgas wirklich richtig leistet, aber dennoch. Und im Herbst, als es quasi wieder interessant wurde für uns, da kam dann wieder der Lockdown.
Außerdem hatte ich mich von Anfang an dazu entschlossen, mich wirklich strikt an die Regeln zu halten: All unsere Tische hatten mind. 1,50m Abstand, wir haben Trennscheiben aus Glas eingebaut, weil es schöner aussieht als Plastik, mein Team hat von Anfang an Masken angezogen. Wir haben uns komplett umgestellt und haben mit der Hälfte der Tische einen dementsprechend hohen Umsatzverlust eingefahren.
Ägyptische Love Stories based im Cookies
motor.de: Was vermisst du am meisten seit Corona?
Cookie: Es gibt eine schöne und eine nicht so schöne Seite: Die Schöne ist, dass ich abends mit meiner Familie zusammen bin. Ich muss durch Corona wegen den ganzen Anträgen, Kurzgeldern, dem Aufbau des Lieferservices, etc. aber auch so viel arbeiten wie noch nie zuvor. Zum Glück habe ich die Unterstützung meiner Freundin, die seit Beginn der Pandemie die komplette Betreuung und das ganze Homeschooling für unsere beiden Kinder übernommen hat. Dafür bin ich ihr wirklich total dankbar, ansonsten hätte ich mich überhaupt nicht in diesem Maße auf meine Firma konzentrieren können.
Was ich wirklich vermisse ist der Kontakt: Stammgäste, Freunde und auch einfach neue Leute kennenlernen. Wenn ich sonst abends im Restaurant bin, lerne ich an den Tischen neue Leute kennen, die aus überall aus der Welt kommen und es toll finden hier zu sein. Oder jemand kommt und erzählt mir, was ihm damals im Club passiert ist. Als wir das Restaurant ganz frisch aufgemacht hatten, kam ein Gast zu mir, 1,90groß aus Ägypten, und meinte, dass er seine Frau vor 20 Jahren bei mir im Club kennengelernt hat und das sie inzwischen drei Kinder haben und jetzt wieder zurück in den Prenzlauer Berg ziehen. Solche Geschichten sind natürlich besonders, aber das ist einfach was mir fehlt diese offene Kommunikation.
motor.de: Hast du ein Ritual gefunden, um nicht durchzudrehen?
Cookie: Ich hatte am Anfang der Krise ziemlich viel versucht zu meditieren. Das ging aber zeitlich einfach überhaupt nicht.
motor.de: Hat sich dein Kulturbegriff durch Corona geändert?
Cookie: Mir ist bewusst geworden, dass ins Restaurantgehen, ausgehen, feiern nicht nur ein Spaßfaktor ist, sondern diese Aktivitäten sehr wichtig sind, um eine Ausgeglichenheit zu haben. Mir war nicht klar, wie sehr diese Kontakte dem Einzelnen helfen können. Durch das Wegfallen dieser Selbstverständlichkeiten schätzt man sie einfach viel mehr.
Berlin war immer Wandel – und wird es immer sein
motor.de: Wie sieht die Zukunft des Berliner Nachtlebens aus?
Cookie: Das Nachtleben nach Corona wird ein längerer Prozess sein. Ein „hurra heut ist es vorbei, wir gehen essen, feiern und alles andere“-Moment wird es nicht geben. Es wird sehr langsam sein, eher schleichend und gar nicht so auffällig. Vor 100 Jahren gab es ja die spanische Grippe, bei der man über drei Jahre die gleichen Maßnahmen wie wir sie heute kennen gemacht hat. Als diese vorbei war, kamen dann die roaring 20s, das wird bestimmt auch heute ein Aspekt sein, sobald alle geimpft sind und die Gefahr minimiert ist.
Allerdings wird es auf alle Fälle auch eine neue Club- und Restaurantkultur in der Stadt geben. Die ganze Gastronomie ist schließlich betroffen und viele Restaurants haben schon zu gemacht.
Dazu muss man aber auch sagen: Ich bin seit über 25 Jahren im Nachtleben aktiv und Berlin hat sich schon immer verändert. Berlin war immer Wandel. Wenn ich überleg wie meine erste Bar aussah, was für Gäste da kamen, das war cool, aber das ist kein Vergleich zu jetzt. Die Kultur wird einen harten Schnitt bekommen, aber sie wird dadurch auch wieder kreativer werden. Ich hoffe bloß sehr, dass es nach Corona überhaupt noch diese Freiräume gibt, um eine Clubkultur zu machen. Aber das ist eben nochmal ein ganz anderes Thema: die ganze Immobilienspekulation, die macht es ja noch schwerer.
Cookies fantastischen Lieferdienst “Cookies Show” findet ihr hier.
Nach Corona solltet ihr auf jeden Fall Cookies Sterne-Restaurant “Cookies Cream” sowie das “Crackers” im Herzen von Berlin besuchen – bis dahin folgt ihnen auf Instagram, damit ihr es nicht vergesst!
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