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Craig Finn ist aktuell solo unterwegs und irgendwie auch nicht: Während er sein erstes Album “Clear Heart Full Eyes” veröffentlicht, arbeitet er nebenher an neuen Songs mit seiner Stammformation The Hold Steady – wie das zusammengeht, erklärt Finn im motor.de-Interview.
Er wirkt geschäftig an diesem Tag im Herzen Berlins, nicht unweit vom Hackeschen Markt entfernt. In wenigen Stunden soll ein Gig im Ramones Museum stattfinden, bei dem Craig Finn sein Soloalbum “Clear Heart Full Eyes” der deutschen Hörerschaft präsentiert – und trotz allem Stress nimmt sich der The Hold Steady-Frontmann zwischen Soundcheck und Generalprobe Zeit für die versammelte Presse. “Ich finde es super hier”, betont er ausgelassen, “die Ramones waren eine der ersten Bands, die mir auf meiner Gitarre als Teenager glückten und da ich nun mein erstes Album veröffentliche, passt das hervorragend zusammen.” Zwei Jahre nach dem letzten Release seiner Band – dem kritisch beäugten “Heaven Is Whenever” – versucht sich Finn an der Quadratur des Kreises: Denn während er über die Herausforderung als Solokünstler spricht, arbeitet er bereits an einem neuen Longplayer mit seiner hauptberuflichen Combo. Doppelt hält für ihn scheinbar besser.
Immerhin haben sich The Hold Steady 2011 eine Pause verordnet, ihren charismatischen Keyboarder Franz Nicolay ziehen lassen und bevor nun ein weiterer Schritt folgen soll, will Finn sicher gehen, dass sich die Auszeit vollends gelohnt hat. “Clear Heart Full Eyes” sei zwar kein langgehegter Plan, doch als der Wahl-New Yorker vor eineinhalb Jahren in seinem Appartement saß, überkam ihn nach 2001 erneut die Lust am Alleingang und kurzerhand fing er mit dem Songwriting für ein mögliches Album an. “Es war mir schnell klar, dass diese Lieder nichts seien, was ich mit The Hold Steady veröffentlichen will und somit gab es nur zwei Möglichkeiten: Sie abseits dessen einzuspielen oder in die Tonne zu hauen – letzteres wäre furchtbar gewesen.” Wohl wahr, den Craig Finn hat mit “Clear Heart Full Eyes” ein wundervolles Kleinod zwischen Folk, Rock und Akustikpop aufgenommen – nur dass er inzwischen wieder mit The Hold Steady im Studio sei, lässt die vermeintliche Konsequenz irritierend wirken.
motor.de: Du kannst dir sicher denken, was ich als Erstes frage: Warum ein Alleingang und vor allem, warum jetzt?
Craig Finn: Dafür habe ich mir schon eine Antwort zurechtgelegt. Ich zitiere David Lee Roth – der einst meinte, es gebe drei Gründe für ein Soloalbum: Zum einen, weil man es drauf hat, zweitens, um den Weltfrieden zu erreichen und drittens: Weil die Kohle immer am wichtigsten ist (lacht ausschweifend).
motor.de: Das war jetzt nicht die Antwort, die ich erwartet hätte, aber deine Ehrlichkeit ehrt dich!
Craig Finn: Mal im Ernst, es ist nichts Ungewöhnliches dabei – mit The Hold Steady haben wir in sieben Jahren fünf Alben veröffentlicht und ich mag diesen Modus der Never Ending-Recording-Sessions eigentlich sehr. Musik ist immer ein Work in Progress und du erreichst nie einen Punkt, an dem alles stimmt und nur herunter gespult werden muss. Dann kam jedoch die verordnete Pause dazwischen und irgendwas in mir wollte nicht pausieren, es kochte regelrecht.
motor.de: Kochte es auch konkret, um es überspitzt zu formulieren – war dir klar, dass “Clear Heart Full Eyes” genau so werden soll, wie es jetzt vorliegt?
Craig Finn: Das war das Schwierige daran, die Erwartungen an meinen aktuellen Sound konnte ich nicht erfüllen, denn bei The Hold Steady ist die musikalische Umsetzung eine Teamarbeit – natürlich weiß das kaum jemand, weil den meisten mehr daran liegt, unsere Alben zu hören, anstatt darüber nachzudenken, wie sie entstanden sind. Würde mich auch nicht interessieren – wenn ich zum Beispiel die Ramones so sehe, glaube ich einfach, die sind jeden Tag ins Studio gegangen, haben “1, 2, 3, 4!” ins Mikro geplärrt und dann kamen die Tracks wie von selbst aus ihnen heraus.
motor.de: Was man als die größte Herausforderung bei deinem Soloausflug werten kann: Dass die Leute mit einem bestimmten Bild an die Platte herangehen und vielleicht enttäuscht sind.
Craig Finn: Meine Stimme hat schon einen gewissen Wiedererkennungswert – aber richtig, im Studio in Austin/Texas gab es viele Momente, in denen ich die Songs in Richtungen schickte, die ähnlich meiner Hauptcombo klangen und dann unterbrach mich mein Produzent immer: Craig, sind wir für dein Album hier oder nimmst du eine weitere Hold Steady auf? Ein, zwei Sachen dürften bekannt vorkommen, der Rest ist ziemlich eigen – folkig, mit Country- und Rockeinschlag vermengt.
Craig Finn – “Clear Heart Full Eyes”
motor.de: Stimmt es zudem, dass du deine Backingband für “Clear Heart Full Eyes” erst am Morgen der Studiosessions kennengelernt hast?
Craig Finn: Ja, und nur fünf Tage später hatten wir die Platte im Kasten. Ging alles sehr schnell über die Bühne. Im Juni letzten Jahres, nur die Hitze störte ein wenig.
motor.de: Normalerweise braucht man als Band wenigstens ein paar Wochen zum Warmwerden.
Craig Finn: Selbst den Produzenten Mike McCarthy lernte ich erst dort kennen, kein persönliches Gespräch im Vorfeld, nichts. Funktioniert hat das deswegen, weil ich bewusst auf diese Situation hingearbeitet habe: Alles auf null, anders als sonst und nur keine Routine. Das sind ja alles Profis und die wissen, wenn jemand kommt, der ein Soloalbum aufnehmen will, geht es nicht um Jam-Sessions, sondern um konkrete Umsetzungen.
motor.de: Hast du die Steady-Atmosphäre nie vermisst?
Craig Finn: Ich habe meine Band definitiv vermisst und deswegen nach den Arbeiten sofort angerufen und ein Treffen arrangiert – lief super, wir haben bereits zwölf Songs im Kasten. Mal sehen, ob wir sie nehmen.
motor.de: Du lebst also in polygamen Verhältnissen: Bewirbst hierzulande dein Soloalbum und arbeitest daheim an neuen The Hold Steady-Sachen?
Craig Finn: Dass ihr Journalisten da immer so staunen müsst – ihr schreibt doch auch an mehreren Artikeln gleichzeitig. Musik ist ja nicht nur meine Leidenschaft, sondern auch Broterwerb und Job zugleich. So wie jeder tagtäglich auf Arbeit geht, schaue ich im Studio vorbei.
motor.de: Die Frage stellt sich nur, weil “Clear Heart Full Eyes” die Einsamkeit schon als etwas Positives feiert, rein inhaltlich.
Craig Finn: Es ist mein Versuch über das Alleinsein als Leidenschaft und während der Entstehung der Songs war ich auch viel alleine. Du musst dich als Musiker manchmal zurückziehen, sonst verlierst du die Kreativität. Würde ich z.B. nur auf Tour und im Studio sein, kämen am Ende nur Songs über Studios und Tourneen dabei rum. Also gönne ich mir ab und an Urlaub und überwinde den Alltagstrott.
Craig Finn – “Clear Heart Full Eyes” (Preview)
motor.de: Was hat es eigentlich mit dem Albumtitel auf sich: “Clear Heart Full Eyes”?
Craig Finn: Es gibt in Amerika eine TV-Show, die “Friday Night Lights” heißt und sich um ein Football-Team dreht: Deren Trainer sagt vor jedem Spiel seines Teams “Clear eyes full hearts can’t lose” – ich habe das ein wenig umgedreht und so entstand der Titel.
motor.de: Was können wir derweil von The Hold Steady erwarten? Die letzte Platte wurde ja nicht ganz so euphorisch empfangen.
Craig Finn: Stimmt, die vielen Flächen sorgten für Diskussionen und ich kann die Kritiker beruhigen, wir versuchen gerade ein Album aufzunehmen, das rockt und nicht so sehr um neue Wege bemüht ist. Wir machen jetzt einfach, worauf wir Lust haben und vor dem Angriff lautet die Devise: Clear eyes full hearts can’t lose! Toller Satz.
Marcus Willfroth
Craig Finn – “Clear Heart Full Eyes”
VÖ: 27.1.12
Label: Full Time Hobby/Rough Trade
Tracklist:
01. Apollo Bay
02. When No One’s Watching
03. No Future
04. New Friend Jesus
05. Jackson
06. Terrified Eyes
07. Western Pier
08. Honolulu Blues
09. Rented Room
10. Balcony
11. Not Much Left Of Us
(Foto: Mark Seliger)
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