!doctype
Categories: Story

Aydo Abay: “Ich habe Aversionen gegen eine feste Band.”

Ken-Frontmann Aydo Abay legt sich für die Serie “Alpha 0.7” eine zweite Identität, eine dritte Band, einen weißen Plastik-Anzug und Revoluzzer-Attitüde zu.

Aydo Abays neue Band Crash:Conspiracy würde es ohne das “Alpha 0.7”-Projekt gar nicht geben. Um dieser Serie eine musikalische Identität zu geben, stampfte der Ex-Blackmail-Sänger innerhalb von wenigen Monaten die Band und die zugehörige Platte „“ aus dem Boden. Zum Ergebnis sagt der Wahlkölner: „Wenn die Leute meinen, wir würden wie The Notwist klingen, nur mit besserem Gesang, kann ich denen natürlich nur Recht geben.“ Samples aus der Neuzeit, New Wave-Vibe aus den 80ern – das ist der Sound von Crash:Conspiracy.

In der Entstehungszeit suchte sich Abay viele verschiedene Teams, mit denen er dann gleichzeitig Musik aufnahm. Das hat es schwierig gemacht, die Crash-Platte auf einen bestimmten Punkt hin zulaufen zu lassen. Unstetigkeit bleibt trotzdem das Überlebenskonzept der Band: Die anstehende Tour wird Abay wieder mit wechselnden Musikern bestreiten. „Eine feste Band? Dagegen habe ich Aversionen. So etwas würde ich mir nicht noch einmal ins Haus holen.“ Und trotzdem: Crash:Conspiracy könnte laut Aydo auch genauso gut Ken sein, hätten die Erfinder der Serie nicht eine komplett eigenständige Band ohne Vorgeschichte verlangt.

Im Gegensatz zu Blackmail gibt es zwischen Ken und Crash:Conspiracy kaum Unterschiede. „Das hier ist ganz allein mein Ding – ich muss das mit niemandem absprechen“, gibt der Sänger im Interview zu Protokoll. „Später habe ich auch bemerkt, dass das für mich von Vorteil ist, ganz neu anzufangen: Wenn du mit einem Alter Ego arbeitest, bist du viel freier. Du darfst sagen: Das bin ja nicht ich, sondern das ist Ino. Letzte Woche hatten wir unseren ersten Auftritt und mir war es komplett egal, wie ich aussehe. Ein Modedesigner hat mir einen weißen Anzug aus Plastik gemacht, der echt seltsam aussieht. Aber Ino Control darf das tragen. Ich dagegen würde damit nicht mal auf’s Klo gehen.“

Ino Control, das ist der Aydo Abay im albernen Plaste-Anzug, der sich im Jahr 2017 gegen den totalen Überwachungsstaat wendet. Zumindest in der Serie „Alpha 0.7“. Von der Protestwelle gegen Stuttgart 21 ist er zwar begeistert, aber anders als die Kunstfigur Ino Control ist Aydo Abay weniger ein Revoluzzer. Weil er zu unwissend ist, wie er selbst sagt. Sein Ich im Jahr 2017 dagegen ist Teil einer Bewegung von Aktivisten, die politische Veranstaltungen sprengen. „Ich bin zu Silvester 2012 schizophren geworden, werde dann mein altes Ego Aydo komplett ablegen und richtig politisch aktiv werden. Weil dann auch das Halbwissen weg ist.“ Die Einheit von Musik und Schauspiel ist für ihn das Non-Plus-Ultra. Im motor.de-Interview gibt Aydo einen tieferen Einblick über seinen Ausflug in den „Alpha 0.7“-Kosmos.

motor.de: Wie hat dir die Arbeit vor der Kamera gefallen und wo siehst du den Unterschied zum Musikerleben?

Aydo Abay: Zunächst arbeitest du mit 30-50 Menschen am Set. Das grundlegend Verschiedene vom Musikmachen ist jedoch, dass es immer Leute gibt, die dir sagen, was du wann machen musst. Das ist sehr, sehr einfach und sehr befriedigend (macht eine Pause) bis die Kamera angeht. Und dann fängst du an zu zittern und zu stottern. Wenn du nicht in diesem gemeinschaftlichen Kontext funktionierst, muss die ganze Szene noch einmal gedreht werden. Ich war vorher noch nie Schauspieler und das sieht man auch. Trotzdem fand ich das sehr spannend.

motor.de: War diese Nervosität schlimmer, als wenn du auf die Bühne gehst?

Aydo Abay: Viel schlimmer. Ich habe zum Beispiel einen Satz bekommen, der genau in der Mitte einer anderthalb-minütigen Szene ist. Wenn dann die Sekunde kam, in der ich etwas sagen musste, habe ich innerlich immer mehr gezittert. Alle machen ihre Jobs gut und dann komme ich und versau das. Das waren total kurze Sätze mit drei Wörtern und trotzdem habe ich das immer und immer wieder verpatzt.


motor.de: Inwiefern tritt Crash Conspiracy in der Alpha-Serie auf?

Aydo Abay: Wenn man die Crash-Musik in der Serie hört, weiß man, dass man sich in einer Gruppe bewegt. Letztendlich sind wir aber nicht so plakativ präsent, dass ein vierminütiger Bandauftritt gezeigt werden muss, damit auch jeder weiß, dass es diese scheiß Band gibt und man den scheiß Song auch kaufen kann. Die Sache ist hier viel subtiler angelegt: Ich tauche als Ino Control ab und zu auf, das Bandsymbol taucht auf, aber wir geben keine Konzerte in der Serie. Das heben wir uns für „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ auf. (lacht)

motor.de: Bist Du selbst schon mit dem Überwachungsstaat und Netzwerkexhibitionismus in Kontakt gekommen?

Aydo Abay: Auch in der Serie ist das ein sehr zweischneidiges Schwert. Das, was die „Bösen“ entwickeln, soll ja eigentlich nur der Menschheit dienen. Das ist ein guter Gedanke, wenn sie sagen: „Wir müssen euch beobachten, damit wir die Fehler im System aussortieren können und die anderen friedlich weiter leben können.“ Die grundsätzliche Frage ist: Will ich Freiheit oder will ich lieber, dass meine Angst aufhört? Die Freiheit wird uns Stück für Stück weggenommen, aber die Angst wird gleichzeitig weitzer verstärkt. Die Briefbombe im Kanzleramt zu Beispiel ist tierisch aktuell. Ich will nicht, dass Frau Merkel verletzt wird durch so eine Bombe. Ich habe einfach keine Lust darauf, dass irgendwer eine Bombe zündet und Menschen tötet. Ich will, dass Sicherheit gewährleistet wird. Aber die gesamte Gesellschaft zu überwachen, ist der falsche Ansatz. In meinem Kopf gibt es eine andere Möglichkeit, das zu schaffen, aber die ist viel zu hippieesk, als dass man sie umsetzen könnte: Achte deinen nächsten. Das da draußen ist doch alles nicht ehrlich, das fühle ich – die Zeitungen sind’s nicht, die Politiker sind’s auch nicht. Da kann mir nicht mal ein Obama ankommen!

Text und Interview: Julia Kindel

Recent Posts

There is a crack in everything, that’s how the light gets in

“There is a crack in everything, that's how the light gets in”, sang einst der…

2 Jahren ago

Zwischen Pop und Experiment

Seit September veröffentlichen Yule Post und Tom Gatza gemeinsame Singles. Mit BYE erscheint nun die…

2 Jahren ago

Never Mind Modus Mio, Here’s the »NEW SILK«

Spätherbst 2022. Deutschrap TikTok-tänzelt zur zweihundertsten lieblosen Drill-Attrappe. Es wird höchste Zeit für neuen Druck…

2 Jahren ago

No time for losers with toxic desires

Sofia Portanet veröffentlicht am 2. November 2022 ihre neue Single Unstoppable, die dritte Single aus…

2 Jahren ago

Eine Geschichte von der Spannung zwischen Freundschaft und der Sehnsucht nach Intimität, untermauert von euphorischem Techno

Mit ihrer neuen Single “Mess Me Up” erzählt die junge Berlinerin benzii eine Geschichte von…

2 Jahren ago

MS DOCKVILLE 2022 – FESTIVAL FÜR MUSIK & KUNST

Ein Festival ist mehr als nur viele Konzerte – ein Festival ist eine Einladung, sich…

2 Jahren ago