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Protestschläfer und echte Kopien aus San Diego: Crocodiles

Hör nicht auf das, was die Anderen sagen! Die Crocodiles leben diesen Vorsatz und trotzen ihren Feinden mit Protest, Durchhaltevermögen und ihrem neuen Album „Sleep Forever“

Sänger Brandon Welchez und Gitarrist Charles Rowell

Seine braunen Locken ragen trotzig in alle Himmelsrichtungen, die Augen versteckt er hinter einer blickdichten Wayfarer-Brille und trotz kalifornischer Hitze trägt der junge Brandon Welches lieber Jeansjacke statt Badehose. Auch wenn diese Beschreibung auf so ziemlich jeden britischen Indie-Musiker zuträfe: Brandon Welches, Sänger der kalifornischen Noise-Rock-Band Crocodiles, hat etwas „Abgefuckteres“ als die knuddeligen Indie-Bärchen aus der UK. Dafür hätte er zumindest den Titel als bestes Bob Dylan-Double nach Cate Blanchet verdient. Doch die Crocodiles haben genug vom Double-Sein. Sie sind müde von den Beschuldigungen, ihr Kleidungsstil mache sie zu Velvet Underground-Imitatoren und ihr Sound zu The Jesus and Mary Chain-Kopien. Denn die wichtigste Frage bleibt mit solchen Vorwürfen unbeantwortet: Was macht sie eigentlich zu Crocodiles?


Da wäre zunächst einmal ihre Geschichte, in der sie für ihren Stil und ihre Musik schon des Öfteren die Ellenbogen spitzen mussten:
Während sie mit kleinem Budget durch die Südstaaten tourten, erfuhren sie am eigenen Leib, dass sie nicht überall von kreischenden Mädchenherden in Empfang genommen werden. Stattdessen beschimpfte sie das Publikum als „Faggots“ (engl. für Schwuchtel). An schlechten Tagen spielten sie gerade mal vor fünf Leuten. Besonders schlimm kam es schließlich, als die Crocodiles mit einer Gruppe „Rednecks“ aneinander rasselten, die die beiden Musiker nach ihrem Auftritt angriff.

Die Suche nach der Identität: “Sleep Forever”

Ironischerweise ist es aber genau dieses Anecken, diese Protestkultur, die den Crocodiles den nötigen Anstoß zum Musizieren gab: Sänger Brandon Welches und Gitarrist Charles Rowell lernten sich auf einem Antifa-Treffen in San Diego kennen, eine Stadt, die neben schöner Surf-Strände auch eine der größten Skin-Szenen der U.S.A. beheimatet.
Ihre gemeinsame Liebe für kalifornische Riot-Girl-Bands machte sie bald zu besten Freunden und zum kreativen Nukleus diverser Bands. Ein musikalisches Dream-Team, das von ihrer gemeinsamen Kreativität so überzeugt war, dass sie nicht mal mehr einen Schlagzeuger in ihren Proberaum ließen und lieber die Drum-Machine programmierten.

Das Ergebnis erschien 2009: In Eigenproduktion und über Fat Possum veröffentlichten sie ihr Debüt „Summer Of Hate“. Statt jedoch ihre Kreativität zu huldigen, beschuldigte die Musikpresse sie daraufhin des Plagiatsversuches: Zu offensichtlich kopiere die Band den Stil der Noise-Rock Legenden The Jesus And Mary Chain. Die Kritiker stürzten sich dabei besonders auf die Single „I Wanna Kill“, die, zugegebenermaßen, wirklich penetrant viele Ähnlichkeiten zu JAMCs „Head On“ aufweist.

Alles nur geklaut? Crocodiles’ “I Wanna Kill”

Während die Musikpresse selbstzufrieden mit dem Finger auf eine aufgedeckte Parallele zeigte, verdeckte sie die anderen Vorzüge der Crocodiles: Atmosphärischer Synth-Rock, der neben der Jesus And Mary Chain-, auch die OMD– und Tears for Fears-Schublade öffnete.

Mit ihrem neuen Album „Sleep Forever“ starten sie am 25.09.10 einen weiteren Anlauf und setzen den eintönigen Kritiken eine bunte Diversität entgegen:
Acht Songs voller Feedback, hin und her rasender Delays, der Hall-beladenen Stimme Brandon Welches und psychedelischer Hammond-Orgeln. Durch Songs wie „Stoned To Death“ und „Sleep Forever“ zieht sich eine traumähnliche Spur des Flaming Lips‘schen Hippie-tum durch das Album. Songs wie „Billy Speed“ und „Hollow Eyes“ unterbrechen diese jedoch durch verzerrt gespielten Rockabilly.

Mit ruhigen Songs wie „Girl In Black“ und „Hearts Of Love“ schicken sie die nach JAMC-Parallelen-Ausschau-Haltenden immerhin auf eine ertragreiche Fährte. Am Ende ihrer Reise sollten diese jedoch erkennen, dass „Sleep Forever“ wärmer, vielschichtiger und instrumentierter ist. Spätestens dann sollten die Nostalgiker diese Schublade ein Stückchen schließen und eine andere öffnen. Und auf dieser steht dann endlich „Crocodiles“.

Laura Gertken

VÖ: 24.09.2010

Label: Fat Possum

Tracklist:

01. Mirrors
02. Stoned to Death
03. Hollow Hollow Eyes
04. Girl in Black
05. Sleep Forever
06. Billy Speed
07. Hearts of Love
08. All My Hate and My Hexes Are for You

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