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Ist Vinyl kaufen und hören heute etwa Underground? Kann ein Festival, das üppig mit finanziellen Mitteln gesponsert wird, Avantgarde sein? Liegt die Zukunft der innovativen Popkultur in der Vergangenheit?
Die 25. transmediale in Berlin hat sicherlich mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet. Und das ist auch gut so. Denn mit einer nicht zu unterschätzenden Chuzpe haben die Veranstalter in diesem Jahr das Spannungsfeld zwischen kompatibel und inkompatibel zum Thema erkoren (in/compatible). Was sich im Alltag bei der Verbindung zwischen Apple und Windows offenbart, ist immer wieder auch ein Streitthema in der Kultur. Nach dem Motto: Ist das Kunst oder kann das weg? Dabei geht es Kristoffer Gansing, dem künstlerischen Leiter des Kunstfestivals, nicht nur um die (Un)vereinbarkeit von Altem und Neuem, die transmediale legte auch den Finger in die Wunde, wo andere – Jünger der digitalen Revolution – Heilsbringer erkennen: ob dies soziale Netzwerke, der technologische Fortschritt im Allgemeinen oder das Arbeiten und Leben über Clouds sind.
Beinahe eine Woche lang haben sich die Veranstalter den Störgeräuschen und Zwischenräumen der digitalen Welt und des digitalen Alltags zum Thema gemacht. Dabei spielte es weniger eine Rolle, das eine Ein-Terrabyte-Festplatte mit Daten im Wert von fünf Millionen Dollar ausgestellt, oder aber das Video “Come To Daddy” von Aphex Twin, der mit seinem surrealen Vorstadt-Grusel bereits 1997 das Dämonenpotential neuer Medien auf die Schippe nahm, gezeigt wurde. Mit ihrem 25-jährigen Bestehen feierte die transmediale Silberhochzeit und macht sich damit zum latenten Politikum. Auf der einen Seite tummelten sich Veranstalter, Künstler und Publikum, die dem kapitalorientierten U-Bereich von Kulturevents den Rücken zuwenden, auf der anderen Seite ist das Festival mit seiner Finanzunterstützung der Kulturstiftung des Bundes (uvm.) selbst zur “Hochglanzplattform” (Carsten Probst) avanciert.
The Joshua Light Show – Transmediale 2012
Während sich die transmediale, durch ihre Schnittstelle zwischen Kunst, Technologie und Kultur der Transdisziplinarität verschreibt, findet parallel und in Kooperation das CTM statt – das “Festival for Adventurous Music and Related Arts”. Seit 1999 gehört das CTM zu einer der wichtigsten Veranstaltungen, wenn es um innovative (Pop-)Musik im elektronischen und experimentellen Sektor geht. Unter dem Thema “Spectral” stand 2012 das Geisterhafte und Gespenstige im Vordergrund. Die These: Durch einen dauerhaften Krisenzustand und das tägliche Anwachsen von Archiven liegt die Zukunft der Popkultur in der Vergangenheit – alles hat bereits existiert, nichts ist neu. Während die einen Nostalgien assoziieren, so erfolgt von der Gegenseite der Hinweis zu einem regelrechten Turning Point in der deutschen Kultur.
So gedachte das CTM mit einer einzigartigen Reihe dem so genannten Zodiak. Das Free Arts Lab am Hallschen Ufer in West-Berlin war eine kurzweilige, doch legendäre Plattform für deutsche Künstler Ende der 60er Jahre. Mitbegründer und Koryphäe Hans-Joachim Roedelius sprach dabei über den Nährboden, der von der Bildenden Kunst gestreut wurde und auf dem Bands wie Kluster, Agitation Free, Tangerine Dream, Human Being oder Klaus Schulze gedeihen konnten. Ohne die “hinderlichen” Filter Bildung, Talent oder gar Virtuosität experimentierte die “Berliner Schule” mit Elektronik und entwarf die Prototypen von kosmischer Musik und dem späteren Krautrock.
Zodiak Revisited. Qluster: Hans-Joachim Roedelius & Onnen Bock. (Foto: Eelco Borremans)
Was sich bei dem fehlenden Medienecho zum Ableben des Pioniers Conrad Schnitzler im vergangenen Jahr bereits andeutete, führte das CTM traurigerweise fort. Das hiesige Desinteresse für die avantgardistische Zeit deutscher Musikgeschichte machte sich vor allen Dingen durch die überwiegend internationalen Gäste bemerkbar. Noch immer ist die Scheu (oder besser: das Unwissen) zu groß, um sich den eigenen Wurzeln zu widmen. In den Siebziger Jahren entstand aus dem Erbe von Karlheinz Stockhausen eine Gruppe an Künstlern, die nicht nacheiferten, sondern erschufen. Eine Nachkriegsgeneration mit Entdecker- und Experimentiergeist. Einer von ihnen: Manuel Göttsching. Anfang der 70er Jahre als Gründer von Ash Ra Tempel in Erscheinung getreten, gehört der 60-Jährige zur Speerspitze hypnotischer Atmosphärik zwischen Gitarre und Synthesizer. Sein 1984er Werk “E2-E4” zählt zu einem Meilenstein im Bereich der elektronischen Musik. “Der Königsbauer des Krautrock” spielte beim CTM im Haus der Kulturen der Welt mit visueller Unterstützung der Joshua Light Show. Die erstmals in Europa präsentierte Vorstellung der New Yorker, die bereits Visuals für Jimi Hendrix, The Doors oder Janis Joplin entwarfen, ergab mit der metronomischen und psychedelischen Musik eine ergötzende Symbiose. In den besonderen Genuss aus Dia- und Overhead-Projektionen sowie berauschenden Farb- und Lichtspielen kamen zudem noch das norwegische Improvisations-Kollektiv Supersilent und der Drone-Künstler Oneohtrix Point Never.
Manuel Göttsching & The Joshua Light Show. (Foto: Genz, Lindner / transmediale)
Großes Interesse wurde auch dem rheinischen Duo Mouse On Mars gezollt. Im Berghain, wo gleich eine Vielzahl an illustren Gästen zu sehen war, feierte das deutsche Doppel die Premiere ihres neuen Albums “Parastrophics”. Mit einem ungeheuer groovenden Live-Schlagzeuger und der Mischung aus analogem Geist und digitalem Must-Have ist ihnen nicht nur ein eklektisches Highlight geglückt, Jan Werner und Andi Thoma führen das deutsch-elektronische Erbe mit eigenen Mitteln weiter.
Mouse On Mars im Berliner Berghain. (Foto: Eelco Borremans)
Der einladenden und umfangreichen Spannbreite sowohl der transmediale als auch des CTM Festivals kann man rückblickend kaum gerecht werden. Die Veranstalter haben den transdisziplinären Ansatz unserer vernetzten Gesellschaft als Anlass genommen, die gegenwärtigen Tendenzen kritisch zu hinterfragen. Die Entwicklungseffekte des Entertainments wurden auf die Spitze getrieben, das Unbehagen des Mysteriösen verbildlicht, das Frequenzspektrum heutiger kultureller Reflektion exemplifiziert. Solche bewundernswerte Arbeit interessiert Fans von Kalkbrenner, Boys Noize oder Dr. Motte natürlich wenig. Wie, die haben die elektronische Musik gar nicht erfunden? Nun ja, manchmal ist eine Frage mitunter die bessere Antwort.
Sebastian Weiß
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