Ein Lyriker unter den Indie Rockern, der will, dass man ihm zuhört. Na, wo gibt’s denn sowas? Der Junge aus Brooklyn mit den lustigen Haaren über sein neues Album, Existentialismus und das Dilemma mit der Freiheit.

Der Funky-Boy aus Hipster-Town, ehemaliger Rapper und zeitweise auch Drum’n’Bass-Produzent Darwin Deez war in den letzten Jahren der Vorzeige-Indie-Weirdo neben Ariel Pink. Die Texte wirkten gewitzt und frisch, die Musik wie eine Motown-Version der Strokes. Die Mischung aus Anti Folk und Indie Rock kam – obwohl schon tot geglaubt – überaus an und brachte ihn auf Platz 5 in den UK-Charts und auf das Cover des NME.

Nach knapp drei Jahren melden er und seine Band sich nun zurück. Mit „Songs For Imaginative People“ öffnet sich Darwin Deez und gibt den Blick frei auf seinen (weiten) musikalischen Horizont. Von ihm genannte Vorlieben für Thin Lizzy oder John Mayer kann der gewiefte Musikliebhaber aus dem neuen Repertoire heraushören. Zugleich scheinen sich Deez’ Texte noch weiter zu verschachteln und immer kryptischer zu werden. Es soll bewusst Spielraum für die Interpretation gelassen werden. Der Hörer soll also mal mitdenken. Grund genug sich endlich einmal wieder bei dem höchst seltsamen jungen Mann mit lichtem Oberlippenbart zu melden und nachzuhaken. motor.de via Skype mit einem leicht vom Jetlag angeschlagenen Darwin Deez:

motor.de: Nach dem letzten Interview waren wir etwas besorgt, als du uns von deiner Internet-Sucht erzähltest. Hast du schon ein Heilmittel gefunden?

Darvin Deez: Ich habs geschafft teilweise enthaltsam zu bleiben im letzten Jahr. Ich lebe allein und ich hab mir einfach keinen Internetvertrag besorgt. Damit hatte ich nur auf meinem Smartphone Internet, was es einfacher machte, da viele Sachen da einfach nicht gehen. Ich konnte mich also vor dem Internet so gut es ging schützen.

motor.de: Wir haben dein neues Video zu „Free (The Editorial Me)“ gesehen und waren überrascht von dem neuen verzerrten und krachenden Gitarren-Sound. Was hat dich dazu gebracht?

Darvin Deez: Ich will mich klanglich immer weiter verästeln und mag diesen Sound und wollte ihn haben. Es gibt noch viel mehr neue Sounds auf dem Album. Bei dem ersten Album war ich gezwungen meine Identität als Musiker aufzubauen. Und ein großer Teil dieser ist mein Songwriting. Mit dem sehr gleichbleibenden Sound des Debüts konnte ich die Aufmerksamkeit auf genau dieses lenken. Ich wollte alles simpel halten um mich dem Publikum besser vorstellen zu können. Nachdem ich das erreicht hatte und man wusste, wer ich bin, hatte ich mehr Spielraum. Jetzt konnte ich einfach viel leichter mit den verschiedenen Möglichkeiten in der Produktion spielen um das Album auch klanglich interessanter zu machen. Ich erweitere mich.

motor.de: Aber die Gitarren bleiben dennoch immer schön funky.

Darvin Deez: Ja, ich bin halt ein funkiger typ, nicht wahr? Ich kann nichts dagegen tun.

motor.de: Gerade mit den neuen Entwicklungen, verlangst du deinen Fans somit auch viel Einfühlungsvermögen ab.

Darvin Deez: Ich musste viel über Fans nachdenken als ich an dem Album gearbeitet habe. Und bei einigen Songs hatte ich auch meine Probleme. Ich wollte keine Fans verlieren. Aber es kommt immer auf die Hörer an und womit sie glücklich sind – alle Entscheidungen können die richtigen oder die falschen sein. Am Ende sagte ich mir: Ich mag das neue Album, wie es ist und dann wird es genug Andere geben, die es auch mögen werden. Es klingt immer noch nach mir und es ist spannend, weil es etwas anders ist als das letzte.

motor.de: Daher auch der Titel: „Songs For Imaginative People“?

Darvin Deez: Natürlich werden fantasievollere Menschen das Album eher mögen, als andere. Je mehr Fantasie du bereit bist aufzubringen, desto mehr wird dir das Album gefallen. Der Text steht immer noch im Mittelpunkt bei mir. Wenn du darauf hörst, worum es in den Songs geht, kannst du viel aus dem Album herausholen. Gerade bei meinen Songs ist das immer so. Bei vielen anderen Bands geht es eher um die Stimmung oder die Athmosphäre als um den Text. Bei Beach House zum Beispiel. Ich hab nie etwas für mich aus ihren Texten herausholen können, dafür hatten sie aber immer eine sehr starke Athmosphäre in die ich hineingezogen wurde. Bei mir geht es jedoch um Geschichten mit kleinen Hinweisen und Löchern, die du selbst füllen musst, um die Geschichte selbst zu vervollständigen. Und je mehr du das tust und dafür Fantasie aufbringst, desto mehr geben dir die Songs.

motor.de: Also bist du mit den Texten noch mehr in die Tiefe gegangen?

Darwin Deez: Ich war ehrlich gesagt überrascht, wie sehr bei dem Debüt auf die Texte gehört wurde. Nachdem ich dieses Feedback bekam, hat mich das inspiriert, an genau dem Punkt weiterzumachen und tiefer zu gehen. Daher habe ich die Texte auch zuerst geschrieben und die Musik dann drumherum gebaut.

motor.de: Ist der vorab veröffentlichte Song „Free (The Editorial Me)“ schon ein Vorgeschmack auf diesen Tiefgang?

Darvin Deez: Der Text von „Free“ ist eigentlich eine Erinnerung an eine Zeit vor zehn Jahren, als ich viel existentialistische Philosophie gelesen hab, die mich dann ziemlich depressiv gemacht hat. Auf der anderen Seite ist es ein Manifest über den Fakt, dass du sein kannst wer du willst. Das Konzept ist einfach: Wenn du ein Ablehnungsschreiben an dich selbst schreibst, was würde darin stehen? Es geht um Selbstwahrnehmung. Ich persönlich musste feststellen, dass mein Interesse an Philosophie mich deprimierte und ich nicht so lebte wie ich wollte, sondern mich in Selbstablehnung verlor.

motor.de: In der ersten Zeile heißt es „Life is a greenhouse gas“ (Das Leben ist ein Treibhausgas). Das klingt zuerst ziemlich düster und politisch.

Darvin Deez: Ich denke eigentlich nicht viel über Politik nach. Mir geht es eher um einen individuellen Aspekt. Das was ich aus dem Existentialismus ziehen konnte: Hier bin ich, das ist die Welt. Aus dieser Ego-Perpektive seh ich den Song. Keine Politik, nichts Kollektives, nichts Gegenwärtiges. Eher: Hier sind wir also und so fühlt es sich an. Ich benutze diese Metaphern wie Treibhausgas um diese Gefühle zu beschreiben – Gefühle wie sozialer Duck – und aus ihnen eine Wahrheit herauszufiltern.

motor.de: Die da wäre?

Darvin Deez: Es geht beim Glücklichsein nicht um das Ändern von Äußerlichkeiten, sondern um das Ändern deiner Einstellung. Und darum geht es einerseits in „Free“: Überdenk mal deine Einstellung. Aber auf der anderen Seite gibt es noch diese vorgelagerte Botschaft oder Wahrheit: Interpretiere den Song wie du willst und ziehe das individuell bestmögliche für dich heraus. Du hast die Macht der Interpretation. Denn diese bewirkt eine Veränderung und nicht der Text an sich. Darin liegt letzten Endes die Freiheit: Wähle eine Perspektive, wähle eine Interpretation, wähle eine Veränderung, denn verändern tun wir uns eh alle ständig.

motor.de: Hast du diese Freiheit gefunden?

Darvin Deez: Nunja, es ist ein täglich Kampf. Manchmal fühlt man sich auch verlassen – was vielleicht eine andere Form von Freiheit ist. An einigen Stellen meines Lebens habe ich eine gewisse Freiheit erlangt, an anderen fühle ich mich von meinen eigenen Gewohnheiten oder Sehnsüchten gefangen. Es gibt Arten der Veränderung, die ein Vor- und Zurück statt ein Weiterentwickeln sind. Für jeden potentiellen Schritt nach vorn gibt es immer auch einen Schritt zurück. Das Leben ist das Treibhausgas, das dir die Luft nehmen und dich lahmlegen kann, aber es ist auch der Treibstoff, der dich antreibt, etwas zu unternehmen.

Interview: Matthias Ziegenhain
Text: Tim Hoppe