Nach unzähligen Werbespots und einigen preisgekrönten Kurzfilmen legt der belgische Regisseur Koen Mortier mit “Ex-Drummer” seinen ersten langen Spielfilm vor. Doch weil ihm ein Roman des Skandalautors Herman Brusselmans als Vorlage diente, stieß der Debütant von Beginn an auf Widerstände. Ein Gespräch über Provokationen, Gewalt und Zynismus.
In Ihrem Heimatland galt “Ex-Drummer” als ein Skandal. Wollten Sie Ihr Publikum schockieren?
Natürlich wusste ich, worauf ich mich einlasse, immerhin basiert mein Film auf einem Roman von Herman Brusselmans, der immer schon als skandalös galt. Er hält der belgischen Gesellschaft immer wieder einen Spiegel vor und greift dafür durchaus zu drastischen Mitteln.
Mir war schon klar, dass meine Themen und vor allem die Herangehensweise durchaus kontrovers sind. Aber ist habe es nicht darauf angelegt, solch heftige Reaktionen zu provozieren. Deswegen ist auch die Gewalt, die ich zeige, ist immer sehr nah an der Realität und wirklich brutal, nicht irgendwie hübsch choreographiert und voyeuristisch auf den Effekt hin inszeniert. Lassen Sie es mich also so formulieren: Ich bin gerne politisch unkorrekt, um die Gesellschaft ein bisschen abzuwatschen.
Wurde Ihnen deswegen auch die staatliche Förderung für den Film verweigert?
Schon als ich das Projekt erstmals bei der flämischen Filmkommission einreichte, wurde mir gesagt, dass man dort niemals Geld in einen Film stecken würde, der auf einem Roman von Brusselmans basiert. Sein Bild der gesellschaftlichen Strukturen hat ihn zu einem echten Hassobjekt gemacht, und jeder in einer gewissen Machposition fühlt sich von ihm persönlich angegriffen. Vor mir haben schon drei andere Regisseure vergeblich versucht, seine Romane zu verfilmen, und auch mir wurde bei jeder neuen Drehbuchfassung das Gleiche gesagt: niemals! Zum Glück hatte ich durch meine lange Karriere als Werbefilmer genügend Kontakte ins Ausland, um ein paar internationale Finanziers gewinnen zu können, die mich unterstützen wollten.
Auch als der Film dann fertig war, wollte die Aufregung nicht abklingen. Was wurde Ihnen denn vorgeworfen, abgesehen von der expliziten Gewalt?
Es wurde beispielsweise gesagt, ich würde die soziale Unterschicht für meinen eigenen Spaß missbrauchen. Da schienen wohl manche vergessen zu haben, dass ich keinen Dokumentar-, sondern einen Spielfilm gedreht habe. Außerdem ist mein Protagonist einfach ein selbstsüchtiger Nihilist und macht keinerlei Katharsis durch, das können viele wohl nicht ertragen. Es stört sie enorm, dass er am Ende nicht für seine Taten bestraft wird. Aber ich glaube nicht an Bestrafungen. Wenn ich mich in der Welt umgucke, sehe ich so viele furchtbare Leute, die völlig ungestraft davon kommen. George W. Bush wird sicher nie für seine Taten büßen müssen – und er ist weit schlimmer als mein Protagonist.
Außerdem war von Frauen- und Schwulenfeindlichkeit die Rede…
Ja, aber eigentlich kann man auf diesen Gedanken nur kommen, wenn man mich als Filmemacher mit den Figuren im Film verwechselt. Wenn man genau hinguckt, ist nämlich nicht zu übersehen, dass die einzigen, die in “Ex-Drummer” wirklich in ein schlechtes Licht gerückt werden, heterosexuelle Männer sind. Mein Film ist nun mal eine Reflexion der Realität, und die mächtigen Männer dieser Welt behandeln leider Frauen und Schwule oft entwürdigend.
Zu Beginn des Films denkt man noch, es sei vielleicht eine Komödie. Sehen Sie ihn als solche?
Der Anfang soll auf jeden Fall lustig sein. Komödie ist vielleicht das falsche Wort, aber ein sehr schwarzer, trauriger und durchgeknallter Humor bestimmt zunächst die Geschichte. Doch dann kippt der Film vollkommen um, und ich wollte, dass man sich als Zuschauer richtig schuldig fühlt, weil man anfangs gelacht hat. Was am Ende übrig bleibt, ist bestenfalls noch ein bitterer, absurder Rest von Humor.
Sie empfinden sich also nicht als Zyniker?
Nein, mein Film ist nicht zynisch und ich bin es auch nicht. Al Gores Film “Eine unbequeme Wahrheit”, der ist zynisch. Denn all die Sachen, die er uns da erzählt, wusste er schon als er Vizepräsident und später Präsidentschaftskandidat war. Aber natürlich konnte er das damals nicht sagen, denn er hing ja von genau den Wirtschaftsbossen ab, die er jetzt kritisiert. Von solchem Zynismus, von manipulativen und letztlich gefährlichen Machtmenschen erzähle ich in “Ex-Drummer”. Und deswegen spielt er auch im völligen sozialen Elend. Denn für diese Menschen gibt es keinerlei Möglichkeit, solchen Mechanismen zu entkommen.
Noch eine Frage zur Musik: wie haben Sie die zusammengestellt? Sie setzen ja auch jenseits der Bandszenen viele Songs ein.
Ich hatte sehr viel Glück, was die Songs angeht. Anfangs habe ich über Radiosender und Musikzeitschriften wahllos alle Bands dazu aufgerufen, mir Songs für mein Filmprojekt zu schicken. Da ging es zunächst eigentlich vor allem um die Konzertszenen, aber ich sehr schnell viel zu viel Musik, um sie nur dort unterzubringen. Im Schnitt habe ich mit vielen dieser eingesandten Songs herumprobiert. Vor allem wollte ich aber unbedingt Stücke von Mogwai im Film haben. Ich bin ein riesiger Fan von ihnen und finde, dass es momentan keine tollere und emotionalere Musik gibt als ihre. Über einen Freund bei einer Plattenfirma konnte ich Kontakt zu ihnen herstellen. Geld für Musikrechte hatte ich natürlich keines, aber ich habe ihnen dann Ausschnitte aus dem Film geschickt, in denen ich ihre Songs verwenden wollte, und sie haben mir dann auf Anhieb ihre Zustimmung gegeben.
Interview: Patrick Heidmann
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