Sprachverwirrung und asymmetrische Konflikte: So geht’s zu in der “Urheberrechtsdebatte”.
Es ist ein bisschen wie bei David und Goliath. David Lowery – der ist hier natürlich der Goliath –, höchst respektabler Kopf der Bands Camper van Beethoven und Cracker und somit eine Art Mythos der weltumspannenden Indierockgemeinde, hat sich sehr viel Zeit und Platz genommen für eine Replik auf das sehr überschaubare Statement einer Praktikantin. Emily White ist jung, liebt – so sagt sie – Musik und hat im Blog des ebenfalls hochcrediblen amerikanischen National Public Radio frei von der Leber weg erzählt, dass sie in ihrem Leben höchstens 15 CDs gekauft, aber trotzdem 11.000 Songs auf der Festplatte hätte. Höchst ausführlich legt Lowery dar, warum der das – wir verkürzen hier arg – nicht so gut findet und dass so verstandene Liebe zur Musik eher den Tod derselben bedeute. Er verstünde auch nicht, so eine zentrale These, warum die heutige Generation Geld für alles mögliche und insbesondere für Gadgets ausgeben würde, die zum Beispiel zum Musikhören dienen, nicht aber für die Musik selbst.
Losgebrochen wurde damit eine Debatte, die in ihren Erschütterungen mit denen der hierzulande noch lange nicht vergessenen Zornrede Sven Regeners vergleichbar ist. Vergleichbar sind vor allem die Vorwürfe einer Generation von Musikern an eine Generation von Musikhörern, sie würden zerstören, was sie zu lieben behaupten. Darüber hinaus geht’s um die neuen Kommunikationskonzerne, die dringend auf Inhalte angewiesen sind und sie gern zum Nulltarif hätten, um Musikverwerter, um Labels und Downloadplattformen, um Urheberrecht und Entlohnung von Künstlern. Darum, wie Musik heutzutage hergestellt, verbreitet und genutzt wird. Also um alles. Es mag vielleicht der durch die Entfernung gefilterten Wahrnehmung geschuldet sein, immerhin kommt die amerikanische Debatte ohne die allergrößten Auswüchse verbissener Hassattacken aus, die in Deutschland die eigentliche Diskussion weitgehend überlagert haben. Das hat sicher mit der fast schon rührend naiven Wespenneststecherei Whites zu tun und der bei aller spürbaren Leidenschaft durchweg sachlichen und penibel argumentativen Herangehensweise Lowerys, sicher auch damit, dass es in den Staaten nicht gerade eine parallele Piratenpartei-Hysterie gibt. Vergleichbar allerdings ist die Unvereinbarkeit der Standpunkte, für die es eine Option des gegenseitigen Ausgleichs nicht zu geben scheint.
Asymmetrische Konflikte nennt man heute gern, wenn sich zwei Gegner gegenüberstehen, deren Stärke, Ausrüstung und Vorgehensweise sich nicht vergleichen lassen. Es sind Konflikte, in denen ein vermeintlich Stärkerer mit all seiner Macht schlicht nichts ausrichten kann gegen jemanden, der sich der herkömmlichen Auseinandersetzung einfach verweigert. Der Kampf von David gegen Goliath ist – wenn man so will – das biblische Urbild eines asymetrischen Konfliktes, er endet bekanntermaßen damit, dass der hoffnungslos unterlegen scheinende David dem mit der Schleuder niedergestreckten Goliath mit dessen eigenem Schwert den Kopf abschlägt. All die Argumente, die Appelle, die Hilferufe, die Wutreden, die repressiven Maßnahmen gar – sie scheinen ebenso nutzlos wie Goliaths Riesenstatur und seine sechs Finger. Das Hören von Musik wird perspektivisch immer weniger kosten. Künstler bekommen weniger direktes Geld von Hörern. Musik zu kaufen und zu besitzen, wird in sehr absehbarer Zukunft nur noch ein Hobby von wenigen Liebhabern sein. Nicht, ob es so sein wird, sondern wie man damit umgehen soll, wäre also die Diskussion der Stunde. Das ist schon schwierig genug. Denn selbst bei konkretesten Themen sind die Begrifflichkeiten nicht sicher, fehlt die Definitionshoheit, ohne die exakter Austausch von Wissen und Argumenten praktisch nicht möglich sind. Womit wir wieder bei der Bibel wären: “Auf, steigen wir hinab und verwirren wir dort ihre Sprache, sodass keiner mehr die Sprache des anderen versteht.”
Wer die aktuelle Debatte um die Tarifreform der GEMA verfolgt, glaubt schnell, hier redet jeder in einer eigenen, dem anderen völlig unverständlichen Sprache, obwohl sie alle die gleichen Wörter benutzen. Die Clubs würden sterben, heißt es unisono von der Anti-Tarifreform-Front. Nur, was ist das, ein “Club”? Ist das zum Beispiel der Skyclub Frankfurt, den das ZDF in der wahrscheinlich sehr viel gesehenen Pause des EM-Finales als Beispiel für die Clubszene auffuhr, augenscheinlich eine – man kann das bei aller gebotenen Vorsicht auch mit weniger popästhetisch geschultem Blick ganz sicher erkennen – Schickimicki-Butze, in der sich ausgerechnet ein Moët-Banner unterm DJ-Pult spannt, während auftoupierte Boys und Girls darauf warten, dass endlich was von David Guetta kommt?
Oder ist es die Großraumdisco an einer beliebigen Bundesstraße, die Familienministerin Kristina Schröder wohl meint, wenn sie sagt: “Vor allem im ländlichen Raum können so starke Kostensteigerungen das Aus für manche Discos und Clubs bedeuten”, was sicher auch das Aus für von der Familienministerin sicher nicht geschätzten aber immer noch äußerst beliebten Flatrate-Partys wäre? Oder ist es das weltberühmte Berghain, dessen öffentlichkeitsscheue Besitzer sich allerdings wohl schon lange eine goldene Nase verdient haben? Oder ist es vielleicht doch der kleine, unbekannte Kellerclub mit einem Resident ohne großen Namen, der sich gerade so durchwurschteln kann? Wer sind denn – um mal die andere Seite zu fragen – jener von der GEMA gern angeführte “kleine Veranstalter”, die angeblich laut GEMA jetzt besser gestellt sein sollen? Und selbst die Mathematik scheint plötzlich flexibel geworden: Die Tarifrechner der Konfliktparteien GEMA und DEHOGA spucken voneinander abweichende Zahlen aus, obwohl doch der Tarif für jeden einseh- und nachrechenbar ist. Wie heißt es nochmal? “Darum nannte man die Stadt Babel, denn dort hat der Herr die Sprache aller Welt verwirrt, und von dort aus hat er die Menschen über die ganze Erde zerstreut.” Der Turm jedenfalls, der Beweis für die Überlegenheit der menschlichen Vernunft, wurde nie fertig gebaut.
Jörg Augsburg
(Bilder: Pieter Bruegel der Ältere “Turmbau zu Babel” 1563; Osmar Schindler “David und Goliath”, 1888; Gustave Doré “Sprachverwirrung”, 1865)
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