Strassendreck und Club-Chic, DJ auf JD und Coke, der Dancefloor der Web 2.0-Generation in einer Siff-Bude in Soho Ende der Siebziger – irgendwo dazwischen befinden sich Dead Sexy Inc. mit ihrem evolutionär schmutzigen wie antörnenden Electroclash.

Dabei muss es hier vielmehr und eher Electro-New York Dolls heißen, wenn wir schon von post-postmodernem Punk reden, schließlich schulden Sänger Stéphane  H(ervé) und Gitarrist Emmanuel H(ubaut) dem auch sexuell doppelbödigen Daseins-Entwurf der US-Proto-Punks um David Johansen und Johnny Thunders mehr, als dem des politisch ambitionierten Punk-Protests der Joe Strummer-Fraktion. Wie dem auch sei, “Kamikaze”, so das Album des konzeptstiftenden Duos Infernale, welches noch um Schlagzeuger Alexis Gaffuri ergänzt wird, ist ein extrem gelungener und abwechslungsreicher Streifzug durch das Nachtleben der New Bohème in (die) Gegenwart des rebellischen Rock’n’Roll Vermächtnisses.

Mit minimalistischen Tendenzen sowohl auf der Elektro- wie auch auf der Rock-Seite kreieren Dead Sexy Inc. süffisant und mit dreckigem Grinsen einen höchst hormongeladenen Cocktail aus kühlen Beats und hedonistischer Heißblütigkeit, der gleichsam zur Designer-Droge wie zum schnöden Toiletten-Sex gereicht werden kann. Und das ist mindestens genauso kosmopolitisch wie die bisherigen Karriere-Stationen seiner kühnen Kompositeure.

DEAD SEXY INC. – Kamikaze live at White Trash, Berlin

Gelangweilt von der damaligen Attitüde und fehlender künstlerischer Vorstellungskraft der Szene an der Seine, verlassen Stéphane und Emmanuel Anfang des neuen Millenniums Europa, um in Los Angeles ihre Zelte aufzuschlagen. Das glamourös stilisierte Sunset Strip-Bild findet man zwar nicht – wie erträumt – vor, dafür aber schnell Anschluss in der von Electronica und Punk beseelten Untergrund-Szene. Remix-Jobs für renommierte Acts wie unter anderem Marylin Manson folgen, während Dead Sexy Inc. weiter an ihrer eigenen Version der Verschmelzungsvision aus analoger und digitaler Rebellion feilen. Bevor man nach einer Zeit wieder in die Arme des alten Europas zurückkehrt, schießt man noch schnell wegbegeleitend von LA nach New York ein Road-Movie unter dem Titel “We Had A Dream”, bevor es die nächsten Jahre auf ausufernde Live-Tour rund um den Globus geht.

Doch zurück zu “Kamikaze”, einem Album, das den perfekten Soundtrack zu jenem lasziven Lebenslauf zwischen lotterhaften Tramp-Traditionen und Tanzflächen-Trends bildet. Mit Songs wie dem höhnischen “Hellywood”, dem kratzbürstigen Schnodder-Stampfer “Kamikaze Rock’n’Roll” oder “The Simple Things” zelebrieren Dead Sexy Inc. mal Dandy Warhols-Heroin-Chic mit puckernden Achtziger-Synthie-Remeniszensen und der effektiven und heiligen Gitarren-Drei-Akkord-(Ein)-Faltigkeit des aufbegehrenden Rotz-Punk-Rock-Löffeltums oder geben sich gelegentlich auch als der von Zigaretten-Dunst und anderen schmutzigen Sekreten geschwängerte Gegen-Duft-Entwurf zu den sauberen Air.

“Spam Me” ist lyrisch die gelungene Porno-Provokation mit sexy Agenten-Gitarren-Motiv, die es erhoffen lässt und “Fall In Love” erlesen-elegischer Electro-Pop und Kniefall vor The Cure. Während “God Save The Queer” genau die Assoziationen erfüllt, die das Wort-Spiel dann – wenn auch dezenter – musikalisch evoziert, findet sich mit “Safetynet” gar zum Grande Finale noch ein semi-bombaströser Schwelger-Song, welcher auch auf einem Prä-“His ‘n’ Hers” Pulp-Album nicht sonderlich verwundert hätte. Dazu noch das PK-Remix des Openers “Afterhours” als Bonustrack – der zeitgenössische Zeitreisen-Zyklus schließt sich und lässt einen zappelnd zurück. Dead Sexy Inc. verführen auf “Kamikaze” zum gepflegten Total-Absturz in die völlige Hemmungslosigkeit. Und das können nur noch wenige heutzutage von sich behaupten. Très cool.

Text: Frank Thießies