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Deichkind proben – und alle sehen zu. Ein Nachbericht der neuen Deichkind Show 3.0.
Langsam wird es dunkel in Berlin-Wilhelmsruh an diesem ersten Advent 2009. Es ist eigentlich viel zu warm für Ende November und das scheidende Licht wirkt so, als müsse es sich noch einmal genau überlegen, ob es denn morgen wiederkommt. Typisch ostdeutsche Mehrfamilienhäuser säumen die verlassen wirkende Straße und ein älterer Mann im Unterhemd schaut ungläubig aus der Tür, mustert meine Gruppe von Begleitern und mich und zieht sich hastig wieder zurück. Einige Schritte weiter sind wir am Ziel: – Das Industriegebiet an der Hertzstraße; heute ist Generalprobe der Electric Super Dance Band.
In einer großen Lagerhalle, die von Kabeln wie Adern durchzogen ist, die mit den neonfarbenen Mofas und meterhohen bunten Vogelscheuchen eher wie ein Panoptikum wirkt, soll heute ein Vorgeschmack auf das vorerst letzte Kapitel von Deichkind serviert werden. Noch versperrt ein großer weißer Vorhang die Sicht auf die Bühne, die geneigten Journalisten und Fotografen erfreuen sich an Bier, Cola oder Kaffee, während Tontechniker den letzten Feinschliff am Soundsystem vornehmen.
Von links hat sich ein Müllbeutelbekleideter vor die Bühne geschlichen. “Hallo, ich bin einer von Deichkind.”, sagt er ein bisschen schüchtern in sein Funkmikrofon, die mit einer Art Zorromaske aus Plastik verdeckten Augen schauen irgendwo in die Halle. Bis zur letzten Sekunde haben Deichkind an einer Neuauflage ihres anarchistischen Tanztheaters gefeilt, alles umgeworfen, neu aufgebaut und wieder klein gehauen. “Deichkind Show 3.0” heißt ihr neues Programm, heute ist digital anscheinend wirklich besser. “Jetzt geht’s los.”, sagt der Eingetütete und verschwindet hinter dem großen Vorhang.
Eingeleitet wird die neue Show durch eine auf den Vorhang projizierte Videoinstallation. Obskure Figuren, darunter Schweine, Vögel, übergewichtige Barockdamen und andere Gestalten wie aus einem Kunstmärchen, erkunden ein entlegenes Waldstück. Die Musik ist düster, fast wie ein Trauermarsch. Wird hier Deichkind zu Grabe getragen? Die Geschichte dieser geschlossenen Gesellschaft endet am Meer. Eine in leuchtenden Farben erhellte Pyramide schwimmt den Protagonisten entgegen, die wie besessen in den Ozean auf das unwirkliche Gebilde zurennen.
Der Vorhang fällt, das Varieté beginnt. Hier ist also dieses magische Theater, in das nur Verrückte kommen, hier darf man die Welt vergessen und für knapp zwei Stunden bedingungsloser Hedonist sein. “Willst du fresh sein, ich mein so richtig im Trend? / Dann engagiere die Electric Super Dance Band”, schallt es aus den Boxen. Fresh sind sie wie kein Anderer und spätestens seit “Remmidemmi” auch im Trend. Deichkind schaffen es mühelos Avantgarde und Mainstream zu vereinen, so leicht wie man Brausepulver in Wodka auflöst. Später vor Publikum mit reichlich Alkohol ergibt sich diese explosive Mischung die Deichkind ausmacht; sie bringen nicht nur die Bühne zum brennen, sie fackeln den ganzen Laden einfach ab. Sie fliegen als Vögel verkleidet von links nach rechts, fahren Mofa, rappen dabei und beschwören Voodoogeister.
Jetzt vor den Journalisten und anderen geladenen Gästen, wirkt es eher wie Michael Jacksons letzte Generalprobe, ein bisschen holprig. Genauso wie der King of Pop haben Deichkind alles bis ins kleinste Detail durchchoreographiert und das merkt man in diesem Moment genau. Deichkind gehören in keine Halle zur Generalprobe, sie gehören vor einen kochenden, feierwütigen Mob, der Ihnen als Fidibus das Feuerwerk entfachen hilft.
Nach der Tour heißt es erstmal Urlaub vom Urlaub. Vielleicht kommen sie ja wieder.
Frédéric Schwilden
Deichkind auf Tour:
10.12. München – Zenith
12.12. Dresden – Eventwerk
13.12. Hamburg – Sporthalle
14.12. Flensburg – Deutsches Haus
15.12. Hannover – AWD Hall
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