Beruhigende Worte für die Fans und gewohnt freakige Outfits der Hamburger Ausnahmekünstler beim motor.de-Interview mit Deichkind.

Deichkind haben mit ihrer Show 3.0 eine fulminante Abschlusstour abgeliefert – und sagen damit für unbestimmte Zeit “Auf Wiedersehen”. Seit ihrer Gründung im Jahr 1997 beschallt die Electro Super Dance Band den tanzenden Mob mit Beats und prolligen bis ironischen Texten. Im Gespräch mit motor.de zeigten sich Philipp und Henning in gefiedertem Gewand und gaben Auskunft über die Zukunft von Deichkind, das Angenehme an der Anonymität und den derzeitigen Kontostand.

motor.de: Zuerst natürlich das allerwichtigste: Was bedeutet dieser Abschied, werdet ihr wirklich nie wieder live auftreten?

Philipp: Wir haben uns lange Gedanken gemacht. Es war ein sehr turbulentes Jahr, vor allem dadurch, dass unser Bandkollege gestorben ist, und wir waren sehr viel auf Tour. Deshalb wollen wir nächstes Jahr erstmal einen Gang runterschalten und wir wissen noch nicht, wie wir uns live aufstellen werden. Wir werden eine neue Platte machen und DJ Phono macht ein Theaterstück, deshalb kann es sein, dass es die letzte Tour war, aber wir legen uns da auch nicht gerne fest. 
Henning: Wir wollen nächstes Jahr einfach den Freiraum haben, zu machen was wir wollen. Wann es wie weitergeht steht noch in den Sternen.
Philipp: Und der zweite Grund ist natürlich, dass man damit mehr Leute auf die Konzerte ziehen kann. Das war ein intelligenter Schachzug.

motor.de: Wie könnte es mit Deichkind nach der Pause weitergehen?

Henning: Deichkind verändert sich natürlich ständig, und es lässt sich nicht leugnen, dass der Tod eines Bandmitglieds vieles verändert. Wir haben das Jahr ganz gut genutzt um den Tod von Sebi zu verarbeiten, aber es wird auch im nächsten Jahr noch genug Gesprächsbedarf da sein. Wir müssen herausfinden, was wir musikalisch überhaupt wollen. Mit Sicherheit schließen wir auch ein Kapitel ab. Solch eine Show ist immer ein Teil des Zeitgeists einer Band, und der verändert sich ebenfalls. Es wird also anders, wenn wir wieder auf der Bühne stehen.
Philipp: Wenn wir andere Dinge erlebt haben und unser Bewusstsein erweitert haben, werden auch andere Sachen passieren.
Henning: Wir haben nicht vor, uns bis ans Ende aller Tage zu wiederholen, deshalb muss man darauf gefasst sein, dass sich alles, was in der Zukunft liegt, von dem was wir jetzt machen unterscheiden kann.

motor.de: Gibt es einen Unterschied zu früheren Konzerten, weil es die vielleicht letzte Tour ist?

Philipp: Ich finde, es sind wesentlich mehr Leute gekommen, aber es ist keine Endzeitstimmung oder so.
Henning: Ja, finde ich auch. Es waren bisher tolle Konzerte und die Stimmung ist sehr ausgelassen. Man merkt schon, dass bei den Leuten das Bewusstsein einsetzt, dass das jetzt wirklich vorbei ist, wenn das letzte Lied gespielt wurde.
Philipp: Dann sind sie natürlich traurig.
Henning: Und fordern nochmal lautstark nach mehr! Aber das war bei früheren Konzerten genauso. Es ist keine Endzeitstimmung, wir wollen die Leute einfach unterhalten und eine gute Show bieten, und das können wir mit unserem Programm sehr gut. Die Menschen gehen fröhlich nach Hause und freuen sich einfach darüber, so ein tolles Konzert erlebt zu haben.

motor.de: Habt ihr eure Masken selbst gebastelt?

Philipp: Nein, die hat ein Freund von uns gemacht.
Henning: Wir entwickeln die Kostümideen in einer gemeinsamen Runde, es entstehen Zeichnungen und man hat schon eine Vorstellung davon, wie das letztendlich aussehen wird.
Philipp: Ich finde diese Masken auch sehr praktisch. Wenn ich in Berlin mit der Straßenbahn zum Studio fahre, werde ich nicht erkannt und ich werde nicht dauernd angesprochen.
Henning: Mich spricht auch keiner an.
Philipp: Wenn ich erkannt wollen werden würde, müsste ich die Maske auflassen. Das finde ich gut.

motor.de: Wie reagiert eurer privates Umfeld auf die Maskierungen oder das Auftreten in Müllsäcken?

Philipp: Ich trag die Masken ja weil ich Komplexe habe.
Henning: Deichkind funktioniert ja auf verschiedenen Ebenen. Es gibt die sehr unterhaltsame Ebene, die vielleicht den Eindruck von Halli Galli und Kinderzimmer auf der Bühne vermittelt, aber es gibt eben auch noch Zwischenebenen. Das wird von meinen Freunden erkannt. Da ist Deichkind ja nicht nur Teeniewahnsinn oder irgendein Quatschkram für junge Leute. Wir machen eine anspruchsvolle Show, die unabhängig vom Alter gefällt. Und darüber hinaus gibt es auch den weitverbreiteten Wunsch, bestimmte Konventionen fallen zu lassen.
Philipp: Viele können das gar nicht mehr. Viele meiner Freunde sind schon so gesettled in ihrem Beruf und allem, die können gar nicht mehr jugendlich sein.


motor.de: Wie schätzt ihr euer Publikum oder eure Zielgruppe ein?

Henning: Es gibt mit Sicherheit in unserem Publikum viele Leute, die gerne Alkohol konsumieren. Die Verbindung zwischen ausgehen, tanzen und Alkohol gibt es einfach seit je her. Aber ich stelle auch immer wieder fest, dass es sehr variiert. Es sind ganz junge Leute da, aber auch 40-Jährige. Die schauen sich das eben aus einer gewissen Distanz an und sind nicht unbedingt in der ersten Reihe oder im Pogo-Mob dabei. Ob das irgendwelche Skater-Typen oder Normalos sind, Männer, Frauen, Mädchen – das ist relativ freigelöst von Szenezugehörigkeiten. Bei Festivals merkt man das sehr deutlich; Deichkind ist eine Band, auf die sich so gut wie jeder für diese zwei Stunden einigen kann. Es funktioniert auf verschiedenen Ebenen. Die Sprache, die wir sprechen, ist allgemein verständlich. Es ist in erster Linie Spektakel, und das grenzt niemanden aus. Darüber hinaus bieten wir verschiedene andere Sprachen und Codes, die von unterschiedlichen Leuten dechiffriert werden können. Somit ist Deichkind einfach eine bunte Kiste, in der für jeden was dabei ist.

motor.de: Ihr habt schon vieles ausprobiert – gibt es etwas, von dem ihr uns versichern könnt, dass ihr es niemals machen werdet?

Henning: Deichkind ist sehr frei in dem was es macht. Bestimmte Dinge kann man natürlich ausschließen, das muss man aber erst gar nicht erwähnen, weil es so offensichtlich ist.
Philipp: Aber man muss jetzt keine Angst haben, dass wir eine Country Platte machen. Das würde uns nicht interessieren. Wir haben auch eine Heavy Metal Nummer gemacht, „Die Toco Die“, aber wir sind wirklich keine Heavy Metaler. Die sind einfach zu freundlich. Diese Attitude, die die haben, besitzen wir nicht.

motor.de: Könnt ihr euch vorstellen, dass es Deichkind in 30 Jahren auch ohne euch noch gibt?

Philipp: Ja, wir haben uns mal überlegt, was unsere Ziele sind. Und eines davon war, älter zu werden als die Rolling Stones. Wir wollen 120 Jahre werden, und wenn wir schon gar nicht mehr sind, soll es die Band auch noch geben.
Henning: Ein gutes Beispiel sind auch die Harlem Globe Trotters, diese Basketball Band. Die gibt es seit den Zwanziger Jahren und hatten komplette Teamwechsel. Es gibt viele berühmte Ehrenmitglieder wie Bill Crosby oder irgendwelche Basketballprofis. Da war über Jahrzehnte hinweg die Idee und nicht die Akteure im Zentrum. Sie stehen für Völkerverständigung und spielen seit langer Zeit in der ganzen Welt. Das finde ich sehr reizvoll, wenn man überlegt, dass auch Deichkind nicht an einzelne Personen, sondern an eine Idee gekoppelt ist. Das ist auf jeden Fall eine Idee, die wir im Hinterkopf verfolgen.

motor.de: Ihr habt mal eine Fehlerkasse eingeführt – wie viel ist inzwischen drin?

Henning: 1000 Euro und fünf Cent.
Philipp: Das meiste kommt von mir. Und Ferris hat noch gar nichts einbezahlt!

Interview: Juliane Sondermeyer