Sad Man: Verschwinden ist eine Frage des Stils: Colin Firth in “A Single Man” – der neue Film von Tom Ford
Bertolt Brecht hat in seinem Stück Das Leben des Galilei auf treffende Weise illustriert, dass Kleider Leute machen: Im Verlaufe eines Gesprächs wird durch Ankleiden aus Kardinal Berberini Papst Urban VIII. – und das ist kein rein äußerlicher Vorgang.
Colin Firth spielt die Hauptrolle in dieser melancholischen Ballade, einen schwulen Literaturprofessor (Foto: The Weinstein Company, 2009) Colin Firth spielt die Hauptrolle in dieser melancholischen Ballade, einen schwulen Literaturprofessor (Foto: The Weinstein Company, 2009)
In A Single Man, der ersten Regiearbeit des amerikanischen Modedesigners Tom Ford, erzählt der Protagonist George Falconer (Colin Firth), ein schwuler Literaturprofessor, dass er erst angezogen wisse, welche Rolle er zu spielen habe. Das mag man, nicht sonderlich überraschend, als Werbung für Fords eigentliches Gewerbe nehmen – und für eine Entpolitisierung von Brechts Modebegriff. Denn was George die tägliche Routine erschwert, ehe sie im Anzug zu halbwegs stabiler Form findet an diesem 30. November 1962, an dem A Single Man spielt, ist der Unfalltod des jüngeren Freundes Jim (Matthew Goode). Auf subtile Weise ist der Film dennoch politisch.
Zuerst ist A Single Man freilich ein Liebesfilm. Die Ballade eines Tages, in der die Flashbacks der Erinnerung jede Vorstellung von Zukunft dementieren. George ist mit den letzten Dingen befasst, weil er seinen liebsten, ersten Menschen verloren hat. Auf dem Schreibtisch werden die Papiere geordnet, der Kontakt mit Menschen ist von versöhnlicher Freundlichkeit bestimmt. Auf das Seminar an der Universität folgt der Gang in den Waffenladen, folgt der Gang zur Bank, um das Depot zu räumen, folgt das Treffen mit einem Callboy, der besser als James Dean aussieht, dessen Dienste George aber nicht in Anspruch nehmen will. Nach einem letzten Dinner bei der verwitweten Dauerfreundin Charley (Julianne Moore), kehrt George heim, um sich das Leben zu nehmen.
A Single Man ist ein schöner Film. Nicht sonderlich überraschend legt Ford streng Wert auf eine Dekoration, die den formvollendeten Chic der frühen sechziger Jahre strahlen lässt wie in einem Kostümfilm (Ausstattung: Amy Wells, die für die Serie Mad Men gearbeitet hat). Die Präzision, mit der A Single Man seine Zeit entwirft, reicht bis zu dem erblindenden Spiegel im Haus von Charley. In einer Welt, die vom Sehen und Gesehenwerden handelt – das Motiv des Auges bis hin zum Breitwandplakat für Hitchcocks Psycho zieht sich durch den Film –, braucht es kein Gegenüber mehr für eine Frau, die in Alkohol ihre Hoffnung ertränkt, von einem neuen Mann fürs Leben erkannt zu werden.
Einer der schönsten Momente des Films ist der des Kennenlernens von George und Jim nach dem Krieg vor einer Bar in sommerlicher Gelassenheit: ein Blick, dessen Intensität trotz Fords subjektiver Coolness größer nicht sein könnte. Georges Weg ans Ende einer Gegenwart, die seit Jims Tod nur noch als Vergangenheit existiert, wird gekreuzt von einem jungen Studenten, der sich für den Professor interessiert. Basierend auf Christopher Isherwoods Roman Der Einzelgänger wird daraus keine Errettungsgeschichte, wie Hollywood sie als Konfektionsware verkauft. Vielmehr: der Epilog einer Zeit, die zu Ende geht.
1962 ist das Jahr der Kubakrise, die Zuspitzung der lähmenden Ost-West-Konfrontation, die den Schlussstrich unter die Freiheit zieht, in der Georges und Jims Liebe begonnen hat. Insofern sind die gut sitzenden frühen sechziger Jahre in A Single Man nicht nur Projektionsfläche modischer Melancholie, sondern gesellschaftliches Formbewusstsein, das überholt sein wird. „Der Tod ist meine Zukunft“, sagt George. Andere bauen Atombunker.
Matthias Dell
Der Text ist im Original bei derFreitag erschienen.
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