Die Ärzte kehren nach fast zweijähriger Abstinenz unter anderem Namen zurück auf die Bühne.

Lange Zeit war es ruhig um die selbsternannte beste Band der Welt. Ende März diesen Jahres verlinkte die offizielle Homepage der Berliner schließlich auf eine ominöse Webseite einer Band namens Laternen-Joe. Kühnes kombinieren ließ nur einen Schluss zu: Die Ärzte sind zurück und geben eine (mehr oder weniger geheime) Geheimtour, wie sie es schon 2000 als Die Zu Späten und 2003 als Nudo Tra I Cannibali machten.

Ein Bericht vom Tourauftakt in Zwickau.


Zwickau, 18.April, 17:56 Uhr

Während die Sonne langsam hinter den Häusern verschwindet, wird die Einlass-Schlange am Ballhaus Neue Welt immer länger. Überraschend angenehm fällt zunächst die Mentalität der Fans auf: Brav und völlig stressfrei stehen sie in Zweierreihen an und warten auf den Einlass.
Das Durchschnittsalter beträgt schätzungsweise Mitte zwanzig – ein seltener Anblick für ein Ärzte-Konzert, das normalerweise von Myriaden kreischender Teenies heimgesucht wird. Vielleicht hat die erstmalig angewandte Ticketpersonalisierung und die damit einhergehende Ausweispflicht ja doch ihre kleinen Vorteile.

Ich bin gespannt.


18:48 Uhr

Innen angekommen – das Abgleichen der Tickets mit den Ausweisen ging wider Erwartens sehr zügig – fällt gleich auf, wie geschmackssicher die Location gewählt wurde. Ein riesiger Kronleuchter baumelt anmutig von der hohen Decke des mit Stuck verzierten Ballhauses.
“Wir woll’n die Ärzte sehn” – Sprechchöre hört man ausnahmsweise keine, die Spannung in der Luft ist dafür zu dicht. Was kann man bei solch einem halboffiziellen Konzert in diesem halbintimen Rahmen erwarten? Ich war wohl nicht der einzige, der sich diese Frage gestellt hat.

Ich bin in froher Erwartung.


20:00 Uhr

Pünktlich auf die Minute fällt der Vorhang und gibt die Sicht frei – auf drei Crewmitglieder, die sichtlich amüsiert Schlagzeug, Gitarre und Bass malträtieren und dabei deftig losrocken. Lange hält die Farce natürlich nicht stand und BelaFarinRod übernehmen die Instrumente. Sie schicken zunächst zwei Songs ihrer Alter Ego-Band Laternen-Joe ins Rennen, um danach den ersten Ärzte-Song “Junge” anzustimmen. Das Publikum ist bereits bei den ersten Songs textsicher. Ehrensache. “Der Abend wird groß”, denke ich so bei mir.

Ich bin entzückt.


20:46 Uhr

Die Herren haben auf der Bühne immensen Spaß, genau wie das Publikum davor. An diesem Abend wird nicht all zu viel Wert auf jene Standard-Songs gelegt, die man jeden Tag im Radio um die Ohren gehauen bekommt. Vielmehr wühlen die Berliner tief in ihrem Repertoire um Songs wie “Hey Huh (In Scheiben)”, “Am Ende Meines Körpers” oder “Dein Vampyr” zu präsentieren. Okay, Hits wie “Deine Schuld” oder “Unrockbar” dürfen zwischendurch dann doch nicht fehlen. Irgendwie kommt es mir vor, als ob die drei heute nicht so recht in der Laune sind, zwischen den Songs amüsanten Blödsinn zu erzählen, wie sie es immer tun. Egal, so gibt’s mehr Musik.

Ich bin elektrisiert.


21:00 Uhr

Seltsam. Nach einer Stunde geht die Band, die bekannt für ihre ausufernden Shows von zwei bis drei Stunden ist, von der Bühne. Man denkt sich jedoch nichts dabei, kehren sie schließlich nach wenigen Minuten wieder zurück, um den Laternen-Joe-Hit “Laternen Charge” zum Besten zu geben. Es folgt der 90er-Klassiker “Friedenspanzer” und die Rarität “Uns geht’s Prima”.


21:34 Uhr

Nach einer erneuten Pause wurden noch vier weitere Stücke gespielt, darunter der halbminütige Punk-Brecher “A-Moll” als reichlich unkonventioneller Abschluss-Song. Ein drittes Mal verabschiedet sich die Band. Nun aber wirklich.
Das Set wirkt unfertig, das Publikum scheint jetzt erst so richtig eingesungen und warmgetanzt. Nicht wenige sind verwirrt und fühlen sich wie aus einem schönen Traum herausgerissen.

Ich bin perplex.


21:45 Uhr

Noch kann keiner so recht glauben, dass dieser Abend bereits sein Ende findet. Licht und Musik vom Band sind wieder an, die Instrumente werden behände abgebaut – über die Hälfte des Publikums wartet jedoch noch in der Halle und startet eine Sitzblockade, gefolgt von frenetischen “Zugabe” und “Ist das alles?”-Rufen. Hey, das sind die Ärzte…die stehen auf solche Scherze, stimmts?

Ich klammere mich an Strohhalme.


21:50 Uhr

Plötzlich kommen Bela, Farin und Rod noch einmal auf die Bühne, jedoch lediglich um den Fans Bescheid zu geben: “Ja, das IST alles!” So stehen die drei noch einige Zeit recht hilflos auf der Bühne. Die Rufe der Fans verwandeln sich in Pfiffe, vereinzelt fliegen Becher und Plasteflaschen in Richtung der drei. Die bleiben jedoch gelassen, winken noch ein letztes Mal und gehen wieder.
Ein seltsamer und höchst surrealer Anblick: Die Ärzte, die von ihren eigenen Fans ausgebuht und ausgepfiffen werden.

Ich schäme mich fremd.

Irgendwann nach Mitternacht

Wie haben die anderen das Konzert wohl empfunden?, frage ich mich. Die bandbezogenen Gästebücher und Foren quillen über mit Frust-Einträgen, Beleidigungen und der Frage nach dem ‘Warum?’. Ein halb so langes Set ohne die traditionell zelebrierten “Zu Spät” oder “Westerland” kann man sich nun mal schwer vorstellen. Tatsächlich hat die Band an diesem Abend eines ihrer Trademarks aufgegeben. Was dies für die kommenden Konzerte der Ärzte heißen wird, bleibt noch offen.

Ach so, ich vergaß – es handelte sich ja noch immer um ein Konzert von Laternen Joe.

Ich bin mal wieder gespannt.

Text und Fotos: Danilo Rößger