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Die Dämonen, die ich rief

Warum für gute Musik immer über den großen Teich schielen müssen, wenn das Gute doch im eigenen Vorgarten wächst und gedeiht?! Bestes Beispiel sind die extra für den anstehenden Erfolg von Darmstadt nach Berlin umgesiedelten Emo-Punk-Popper Everest. Die beiden Gitarristen Erik und Christian (Gesang)standen Rede und Antwort.

Versucht doch mal bitte, das Album in nur einem Wort zu beschreiben…
Christian: Ein einziges Wort? Das ist definitiv zu wenig! Ich schlage drei vor: “Demons For Company”. So auch der Album-Titel. Das passt, weil für mich jeder Song für einen oder mehrere Menschen steht. Wenn ich an einen bestimmten Song denke, steht die passende Person wie ein Dämon vor mir. Manche weit weg, manche ganz nah, verschwommen oder klar. Sie halten den Songtitel in überdimensional großen schwarzen Buchstaben auf weißem Grund in der Hand und schauen mich an. Manche weinen, manche lachen, manche reden mit mir, machen schlagen mich, manche schauen schnell wieder weg… Zu unserem Leben passen sie, weil wir alle oft Dämonen begegnen oder von ihren Stimmen verfolgt werden. Sie lachen uns aus und sagen Sachen wie: “Ihr Spinner, das wird doch nie was mit euch! Macht doch mal was Vernünftiges!” An manchen Tagen fängt man an, diesen Stimmen zu glauben, und den Glauben an sich und die Band zu verlieren. An anderen Tagen denkt man wieder, dass es genau das Richtige ist, was man tut.

Ihr seid mit dem fertigen Album kürzlich von Darmstadt nach Berlin gezogen… Des Erfolges willen, und weil Berlin die neue Musik-Hochburg sein soll? Wie habt Ihr Euch eingelebt?
Erik: Der Umzug nach Berlin betont nochmal den Stellenwert der Band. Sie ist der Lebensmittelpunkt von uns und wir richten alles andere danach aus. Hier ist das musikalische Umfeld eben besser und interessanter. Labels, Verlage, Booker usw. sitzen hier und die Wege sind kurz. Bei jedem Treffen ergeben sich neue Konstellationen und man kommt schneller voran. Außerdem ist das Leben in Berlin sensationell billig. Wir konnten unsere Mietkosten im Vergleich zum Rhein-Main Gebiet halbieren und einen Falafel bekommst du in Frankfurt oder Darmstadt nicht für unter 3,50…

Die Songs sind sehr vielseitig geworden, vom getragenen Emo-Rock der Marke Jimmy Eat World und Pop, wie ihn Weezer zelebrieren, bis zu melodiösen Power-Pop-Krachern kommt der Fan auf seine Kosten. Nicht schlecht für eine deutsche Produktion! Man merkt auch, dass Ihr euch ein wenig vom Fleck entwickeln und die ewigen Get Up Kids-Vergleiche ablegen wolltet.
Christian: Danke – vielseitig – das klingt gut! Natürlich haben wir versucht, verschiedene Arten an Songs zu schreiben, aber ich persönlich vermisse auf der Platte noch mehr Experimente. Wir waren in der Entstehungsphase der Platte zu sehr darauf fixiert, ein Lied zu schreiben, das bestimmte Formate erfüllt.

Sind denn das eigene Label und die Eigenproduktion bei Euch waschechter Indie-Geist? Hättet Ihr Probleme, wenn plötzlich ein großer Deal vor der Tür stünde?

Erik: Hmm… Also für mich hat sich das alles ziemlich entzerrt in den vergangenen Jahren. Wir sind auf jeden Fall schon eine “Punk-Band”, die weiß, wo sie herkommt. Jeder von uns hat zehn Jahre in der “Szene” hinter sich und das schwingt eben in jeder Situation mit. Insofern ist die Verbundenheit mit Indie-, Punk- und Hardcore-Idealen schon stark. Doch wenn wir die Möglichkeit bekämen, von unserer Musik zu leben, würden wir diese sofort in Anspruch nehmen. Der Labellandschaft in Deutschland fehlt auf Grund des erheblich kleineren Marktes die Art von “oberer Mittelschicht”, wie wir sie aus den USA kennen. Labels wie ‘Jade Tree’, ‘Vagrant’ usw., die wirklich viel für Bands tun können und zugleich ein interessantes Roster haben, gibt es hier nicht. ‘Defiance’ in Köln war mal auf dem besten Wege, hat das aber leider nicht geschafft. Eigentlich sehe ich keine Möglichkeit außer einem Major-Label, um tatsächlich eine richtig breite Masse von Leuten zu erreichen. Und wenn man weiterhin die volle künstlerische Kontrolle über sein Produkt hat, sehe ich auch keinen Grund, warum man dann weniger verbunden mit der “Szene” sein sollte als wenn man auf einem kleinen Label ist.

Wo liegen denn Eure Stärken als Band, warum sollte man “Demons For Company” kaufen?
Christian: Ein Konzert zu spielen ist einfach das Größte. Da ist es egal, ob jeder Akkord 100% sauber gespielt wird, ob immer gerade gesungen wird oder das Timing stimmt – Hauptsache die Energie, die Freude und das Chaos sind mit dabei. Wenn dann auch noch das Publikum mit macht und/oder ein paar Zeilen Lauthals mitsingt, sind wir glücklich und denken, dass wir wenigstens eine Stärke haben. Außerdem kann man sich total zum Affen machen ohne sich vor jemandem rechtfertigen zu müssen. Ich meine, wenn man auf der Straße das selbe machen würde wie auf der Bühne, würde einen jeder für verrückt erklären, auf dem Konzert ist das okay. Mit “Demons For Company” haben wir endlich etwas in der Hand, das die Leute nach dem Konzert mit nach Hause nehmen und sich an uns erinnern können.

Text: Steven Gläser

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