Der Sänger der goldenen Zitronen Schorsch Kamerun im motor.de-Interview über Erfolg, den Umgang mit Kritik und das Dagegensein.

Vor 23 Jahren wurde eines der renommiertesten Labels des Landes in Hamburg gegründet – Buback Tonträger. Die Plattenschmiede zeichnet sich vor allem durch textverbundene Interpreten aus, die einen gewissen philosophisch-politischen Ansatz mitbringen. Gründungsväter waren damals Ale Dumbsky und Ted Gaier, Mitglieder der Goldenen Zitronen. Gemeinsam mit 1000 Robota, Kristof Schreuf und F.S.K. ist die Band aus der Hansestadt gerade quer durch die Republik unterwegs, um das Label ehrenvoll jeweils an einem Abend auf einer Bühne zu präsentieren. Anlässlich des ersten Buback-Labelabends der Tour trafen wir uns mit Goldenen Zitronen-Sänger Schorsch Kamerun und sprachen über große Dirigenten, Rebellion und Erfolg.

motor.de: Buback Labelabend, das bedeutet vier musikalisch unterschiedliche Bands auf einer Bühne. Darunter drei “alte Hasen” und eine junge Band. Inwieweit gibt es da Gemeinsamkeiten oder Unterschiede und wie machen sich diese auf der Bühne bemerkbar?

Schorsch Kamerun: Es gibt da unterschiedliche Ansätze und ich denke nicht, dass es um den Fakt Erfahrung geht. So kommt Kristof Schreuf aus verschiedenen Bandgefügen und tritt jetzt eher wie ein Liedermacher auf, hingegen uns 1000 Robota auf der Bühne wohl noch am ähnlichsten sind und uns mit F.S.K eine lange Freundschaft verbindet. Die Verbindung zwischen allem stellt sich über die deutschen Texte, die oftmals auch von ihrer Art politisch daher kommen. Der Sound und auch die Mentalitäten sind jedoch weitgehend sehr unterschiedlich.

motor.de: Habt ihr euch diesbezüglich auch Gedanken bei der Strukturierung des Abends gemacht?

Schorsch Kamerun: Gar nicht. Also es gibt eine Reihenfolge. (lacht)

motor.de: Und diese Reihenfolge läuft dann an allen Spielorten gleich ab?

Schorsch Kamerun:
Das wissen wir noch nicht. Das ist gewiss auch stimmungsabhängig, wie heute zum Beispiel.

motor.de: Die Abende finden größtenteils in Theatern und nicht, wie man eher denken würde, in alternativen Szene-Clubs statt. Spielte bei der Wahl dein eigenes Wirken an Schauspielstätten eine Rolle?

Schorsch Kamerun: Nein, das kommt eher daher, wo man sich ansiedelt. Es passiert ja in letzter Zeit des Öfteren, dass man popkulturelle Dinge im Theater antrifft. Hier ist das mit Sicherheit noch so eine relativ spezielle Sache, wo wir dagegen mit der Volksbühne in Berlin schon seit den frühen 90ern ein gutes Verhältnis pflegen und es dort schon zur Normalität zählt. Wir nutzen halt gerne die Räume die der Steuerzahler zahlt. Es gibt andere Orte, die uns vielmehr stören würden, wie die großkommerziell angelegten Spielplätze. Da gehören uns die Öffentlich-Rechtlichen doch schon mehr als diese Großraumdiskotheken. Ich persönlich mache schon lange Theater und kann das einfach besser vertreten, als zum Beispiel Privatfernsehen.

motor.de: Ihr spielt heute vor sitzendem Publikum – ist das eine unwohle Situation für euch?

Schorsch Kamerun: Das sieht natürlich für musikalische Künstler unserer Art erst einmal unglücklich aus. Ich spiele seit über 30 Jahren in Bands und da kann man sich vorstellen, in wie vielen Clubs auf der ganzen Welt ich schon auf der Bühne stand und da freut man sich, wenn mal etwas anders abläuft. Es ist spezieller als das übliche Abliefern in Indie-Clubs, die Reibung ist da größer und dennoch fühlen wir uns als Band doch Orten wie beispielsweise dem Conne Island hier in Leipzig mehr hingezogen.

motor.de: Gibt es für euch oder auch dich persönlich kulturell noch Aufgaben die dich reizen würden?

Schorsch Kamerun: Ach, da gibt es verschiedenste Themen. Ich mache viele Texte und diese können überall landen – bei der Band und eben beim Theater oder es wird auch mal ein Hörspiel daraus.

motor.de: Du schreibst also nicht spezifisch für eines der Felder?

Schorsch Kamerun: Naja, ‘schreiben’ hört sich immer so toll an. Ich sitze mit Leuten zusammen und wir reden über ein Thema und daraus kann man dann vielleicht etwas machen. Das kann zum Beispiel eine Kollage mit einer Gruppe von Schauspielern werden. Bei der Band bin ich ja nicht der einzige Autor. Man trifft sich im Kollektiv und verarbeitet so gesehen Szenen, die uns alle beschäftigen und die wir dann auf Platte festhalten. Das gibt es beim Theater nicht. Das ist live und da gibt es dann höchstens ein grausames Video, aber nichts wirklich Bleibendes. Das hat alles seine Vor- und Nachteile.

Die Goldenen Zitronen – “Positionen”


motor.de: Wenn ihr dann etwas auf Platte festgehalten habt und die Kritiken erscheinen, wie geht ihr damit um und wie definiert sich musikalischer Erfolg für euch?

Schorsch Kamerun: Da muss man auch wieder zwischen Musik und Theater differenzieren. Mit der Band bringt man ein Album raus, spielt dann und entwickelt schon am Abend des Konzerts ein Gefühl dafür, wo es hingeht. Da liegt ein viel direkteres Empfinden vor. Beim Theater ist der ganze Prozess viel drastischer. Dort bringt man ein Stück auf die Bühne und es folgen Rezensionen, die die Leute dazu bewegen zu kommen, um es auch einmal gesehen zu haben. Der Überraschungseffekt ist für einen selbst viel größer.

motor.de: Also beschäftigst du dich selbst auch mit den Rezensionen und Kritiken?

Schorsch Kamerun: Ja, das macht man einfach. Genau deswegen, weil man so aufgeladen ist, speziell beim Theater. Man bringt etwas heraus und das hat natürlich eine große Bedeutung aufgrund der eigenen Erwartungen und dann möchte man auch wissen, wie es ankommt. Es interessiert auf jeden Fall, aber ich denke, ich kann damit gut umgehen. Klar, wenn die Süddeutsche einen heftigen Verriss schreibt, weiß ich natürlich, dass mein ganzes Umfeld es mitbekommen wird und das berührt einen dann schon. Dennoch gibt es da auch verschiedene Parameter, die man beachtet. Manche schreiben einfach, was sie gesehen haben, andere finden es scheiße, dass Typen wie ich überhaupt etwas am Theater machen und wiederum andere wollen einen loben. Das muss man dann einordnen können und mit Abstand relativiert sich das auch. Deswegen hab ich auch keine Angst, etwas heraus zu bringen, was gut so ist, denn davon gibt es beim Theater einige.

motor.de: Du sprachst davon, dass ihr euch im Kollektiv trefft, um an eurer Musik zu arbeiten. Ihr seid umtriebige Menschen. Wie oft finden diese Zusammenkünfte überhaupt noch statt?

Schorsch Kamerun: In Phasen. Ich sag mal so, wir bringen ja eine Platte ungefähr alle drei Jahre raus und dann treffen wir uns ganz viel. Das letzte Album haben wir innerhalb von einem Jahr in mehreren Abständen produziert. Mittlerweile erarbeiten wir die Musik gemeinsam und dann kommen die Texte und daraufhin muss ich zusehen, wie ich sie singe, was auch nochmal Zeit in Anspruch nimmt. 

motor.de: Beschäftigst du dich eigentlich auch mit der aktuellen Musikszene?

Schorsch Kamerun: Ja, aber ich hab eher so das Gefühl – alle wissen alles. Ich hab einfach hunderte von Konzerten jahrzehntelang gesehen und geh da mittlerweile weniger hin, aber dennoch bekommt man schon mit, was so alles passiert. Aber die Begeisterung verschiebt sich bei mir eher auf andere Felder. Ich höre gern E-Musik – Klassik oder Avantgarde. Das ist, glaube ich, ein logischer Prozess. Ab und zu packt mich dann schon nochmal eine Rockband, aber halt nicht mehr so oft.

motor.de: Was hat dich denn in der Vergangenheit packen können?

Schorsch Kamerun: Also ich habe mal eine Oper gemacht und das war verdammt aufregend, weil da so tolle Leute waren. Zum Beispiel war Kent Nagano Dirigent und ihn dirigieren zu sehen, war sehr ergreifend. Es war einfach ein ganz anderes Empfinden für Musik, in das man erst nach und nach herein kommt. Ich bin froh, dass ich diese wie eigentlich alle Erfahrung machen durfte. Außerdem fällt mir ein Stadtspaziergang in Halle ein oder auch meine Zeit in Japan. Das ist unterschiedlich. Da gibt es einiges. Ich meine, wir haben ja auch jahrelang das alberne Klischee des Rock ‘n’ Roll gelebt und wir haben das auch gut überstanden, was auch gar nicht so schlecht ist.

motor.de: Das klingt danach, als würdest du den ‘berüchtigten’ Satz: “Ich würde alles wieder genau so machen” bejahen.

Schorsch Kamerun: Nee, das kann man gar nicht so sagen. Ehrlicherweise, ich schau gar nicht auf meine Geschichte und lebe eher im Moment. Ich bin da einer, der immer wieder gerne etwas neu anfässt und dabei versucht, immernoch naiv an die Dinge ranzugehen. Ich mag keine Stagnation oder Wiederholung, was vielleicht auch Grund dafür ist, dass die Band über die Jahrzehnte interessant geblieben ist.

motor.de: Eine Dokumentation über euch endet mit Worten: “Dagegen sein ist auch ein Weg nach vorne.” Das Motto der Zitronen in ihrer langen Laufbahn?

Schorsch Kamerun: Ach, dagegen sein – das klingt immer so heroisch. Ich denke, man kann nicht dagegen sein, um gegen etwas sein zu wollen. Man kann nicht ständig Gegner sein, das ist ja auch albern. Ich meine, es ist ja jedes Mal neu – also bin ich jetzt gegen Barack, oder? Vielleicht waren wir mal die jugendlichen Nervensägen oder auch alles andere aber immer für den Moment. Wir kommen aus einer autonomen Szene und auch dort läuft alles manchmal ganz dogmatisch ab und da kann ich auch schonmal dagegen sein.

Interview: Max Wege
Fotos: Sebastian Brauer