Die zwei Berliner Singer/Songwriter erzählen, warum sie ihr Bargeld im Kleiderschrank verstecken und weshalb es bei der Urheberrechts-Debatte am Ende sowieso keinen Gewinner geben kann.
(Fotos: Gastspielreisen)

Deutschland ist ja eigentlich das Land der Autobahnen, unser Schienenverkehr erfreut sich hingegen eher geringer Beliebtheit. Zwei Berliner haben sich nun aufgemacht das Image der Dampflocks aufzuwerten, jedenfalls in musikalischer Hinsicht. Die Höchste Eisenbahn, das sind Moritz Krämer und Francesco Wilking, vertonen mit allerlei Instrumentarium hinreißende Geschichten von Tschernobyl und Aliens. Beide veröffentlichten bereits eigene Langspieler – Krämer zuletzt die Platte “Wir Können Nix Dafür” und Wilking debütierte mit “Die Zukunft Liegt Im Schlaf” im vergangenen Jahr als Solo-Künstler.

Der Herzschlag für Pop, der mit Intellekt und Humor seinen ganz eigenen Charme versprüht, ist auch im aktuellen Musikprojekt spürbar. Obskure Textzeilen hängen den Hörern nach einem Konzertbesucht tagelang in den Ohren — auf angenehme Art und Weise, versteht sich. Auch die amüsanten Erkenntnisse der Zwei über den persönlichen Familienbestand sowie die eigenen Schrulligkeiten hallten uns noch ein paar Tage nach. Mit der Zigarette in der Hand und einem Lächeln auf den Lippen verschnaufte Die Höchste Eisenbahn auf ihrer kulturellen Reise ein Weilchen für das folgende Interview.

motor.de: Seid ihr Freunde?

Moritz Krämer: Joa, irgendwie schon.

motor.de: Ist Die Höchste Eisenbahn aus dieser Freundschaft entstanden?

Francesco Wilking: Nee, wir haben uns sozusagen beruflich kennengelernt, weil Moritz seine Platte im Tele-Studio aufgenommen hat. Dann haben wir uns irgendwann mal getroffen und sein Booker hat vorgeschlagen, dass wir für ein Festival zusammen auftreten. Und dann hat sich das so ergeben.

motor.de: Wie lässt sich Die Höchste Eisenbahn beschreiben, denn es ist ja schon etwas anders als üblich. Francesco liest auch mal ein Gedicht vor und ihr wechselt zwischendurch die Instrumente.

Krämer: Die Band?

motor.de: Ja, vielleicht von dem Standpunkt her, dass ihr ja auch vorher schon als Solomusiker unterwegs ward. Warum ist da jetzt noch zusätzlich dieses Projekt notwendig?

Wilking: …und außerdem gibt’s schon so viel Musik auf der Welt! (beide lachen) Ja, ich verstehe deinen Punkt, also ich würde sagen, wir können gerade noch nicht so richtig sagen, was das genau ist, weil wir noch ein wenig am Suchen sind. Die Band ist ja auch noch nicht sehr alt.

motor.de: Habt ihr denn eine festgelegte Besetzung?

Wilking: Wir haben in der aktuellen Besetzung einmal geprobt, da würde ich jetzt irgendwie nicht von ‘definitiv’ sprechen.

Krämer: Für das, was es jetzt ist, ist es ‘definitiv’.

Wilking: Ja, für die anstehende Tour bleibt das auch so, das stimmt.

motor.de: Und wie unterscheidet sich das musikalisch von euren Solo-Sachen? Gibt’s da überhaupt einen Unterschied?

Krämer: Ja, vielleicht von der Haltung, oder?

Wilking: Ich finde schon, es haben sich schon kleine Dinge herauskristallisiert. Zum Beispiel diese Männerchöre, die wir in ein paar Liedern verwenden. Und ich kann mir vorstellen, dass da mit der Zeit noch mehr entsteht.

Die Höchste Eisenbahn mit Judith Holofernes – “Hätte Ich Ein Boot” (Live)


motor.de: Francesco, du bist sowohl Musiker als auch Familienvater. Wie lässt sich das vereinbaren?

Wilking: Ja, das ist schwierig. Aber es geht, also es muss gehen. (lacht)

motor.de: Weil die Familie Rücksicht nimmt?

Wilking: Ja, die Familie nimmt sicher Rücksicht auf mich und ich muss eben auch gucken, dass ich irgendwas gebacken kriege. Manchmal nehme ich mir nicht die Zeit, die ich mir eigentlich nehmen müsste, um an Sachen zu schreiben oder zu üben. Man muss sich seine Räume schaffen und irgendwo hingehen, wo das geht. Das ist aber nicht so leicht.

motor.de: Wie viele Kinder hast du?

Wilking: Drei.

motor.de: Das sind ja schon recht viele.

Wilking: Ja, stimmt. Ich habe letztens in der U-Bahn eine Familie mit vier Kindern gesehen und dachte nur ‘Krass, das sind ja total viele Kinder’. Dann zählte ich vier und stellte feste ‘Och joa, das ist ja nur eins mehr’(beide lachen)

motor.de: Wie ist eure Meinung zum momentanen ‘Boom’ der Singer/Songwriter-Sparte, zu der ihr ja auch gehört?

Krämer: Hm, die Art der Musik ist ja an und für sich nicht neu, die ist ja andauernd dagewesen. Jetzt ist die vielleicht präsenter bei irgendwelchen Medien, dann gibt’s kurzzeitig eine größere Hörerschaft. Aber die Stilrichtung ist nicht neu.

motor.de: Glaubt ihr vielleicht, dass es heute ein besonderes Bedürfnis nach dieser emotionalen Musik gibt?

Wilking: Man kann zumindest sagen, dass es ein internationaler Trend ist, den es schon länger gibt. In Amerika und den skandinavischen Ländern hat das angefangen. Männer mit Bärten, Island-Pullis und Chören. Das ist eigentlich so ein Hippie-Ding, weshalb das wahrscheinlich schon mit einer gewissen Sehnsucht nach etwas Einfachem, klar Definierbarem zu tun hat. Dass du sozusagen einen Song auf ein Instrument und die Stimme herunterreißt und der Text meistens sehr persönlich ist. Er handelt von Verlust, Weltschmerz und vor allem auch Weltflucht. Mir ist es auch aufgefallen, im Deutschen gibt es so einen Zusammenhang, der mir nicht so gut gefällt. Das geht dann in Richtung Natur-Lyrik, also wird sehr viel von Wäldern und Schiffen gesungen. Da wird versucht etwas Ursprüngliches zu finden, was es so nicht mehr gibt, das hat eine gewisse Formelhaftigkeit. Was mich auf jeden Fall stört an dieser Bewegung, ist, dass viele denken sie seien die ersten. Mich berührt eben kein Stil, sondern einzelne Lieder. Deswegen würde ich sagen, dass es gar keine so große Rolle spielt, ob das jetzt gerade eine Strömung ist, sondern, dass es wichtig ist, was diese Strömung denn hervorbringt. Wenn die gute Leute hervorbringt, dann ist das ja egal.

Die Höchste Eisenbahn mit Gisbert zu Knyphausen – “Raus aufs Land” (Live)


motor.de: Was für Musik hört ihr denn?

Wilking: Ich weiß nicht, ich hör im Moment erschreckend wenig Musik. Aber was ich ganz positiv finde, ich höre zurzeit gerne aktuelle Bands. Ich mag den Ansatz der heutigen Bands sehr, deshalb bin ich gerade sehr hellhörig für alle möglichen Arten von Musik.

Krämer: Ganz oft einfach nur Sachen, die ich auf Youtube finde. Entweder, weil mir jemand einen Link geschickt hat oder auch, wenn jemand etwas auf Facebook postet. Ziemlich unsortiert.

Wilking: Ja, das geht mir auch so. Von daher ist die momentane Musikwelt sehr ergiebig, weil man andauernd von einer Sache auf die andere trifft. 

motor.de: Das schließt an meine nächste Frage an. Was sagt ihr denn dazu, dass alles einfach so verfügbar ist? Der Gewinn über die Streaming-Dienste ist ja extrem gering für euch.

Wilking: Ja, das ist wahr, das ist noch viel krasser als bei iTunes oder amazon. Das ist pro Lied so ein komischer Centbetrag, der eigentlich gar nicht real existiert. Ich glaube reich werden kann damit niemand außer der sogenannten Content-Mafia. Da haben die Piraten dann schon Recht, die schalten sich dazwischen und sahnen als einzige ab.

Krämer: Was aber in den 80ern/90ern auch vorhanden war, da war es halt nur die Kulturindustrie.

Wilking: Ja, aber es gab auch mehr Verdienstmöglichkeiten für Musiker. Da konnte man durch eine Single sehr viel Geld verdienen und das wird jetzt sehr schwierig werden. Aber es ist mir zu einfach dagegen zu wettern, ich glaube einfach, dass das gerade eine Umbruchsituation ist, aus der wir als Musiker nicht wirklich profitieren können. Ich würde mir einfach wünschen, dass da eine Regelung gefunden wird. Also nicht unbedingt eine ‘Kulturflatrate’, aber irgendeine Art von Vergütung, die den Musikern zukommt. Dass es eben nicht so ist, dass wir alle Nebenjobs machen und unsere ‘geilen Platten’ am Wochenende aufnehmen müssen. Das will ja auch niemand, weil die Qualität darunter tatsächlich wahnsinnig leiden würde.

Die Höchste Eisenbahn – “Wer bin ich?”

motor.de: Da gab es ja im Zuge dieser Urheber-Debatte auch die Aussagen, dass Musik heutzutage zu wenig wertgeschätzt wird. Würdet ihr das unterstreichen?

Wilking: Die Frage ist doch, was wertschätzen bedeutet. Ist das sowas wie eine Einstellung oder eine Handlung? Sagen wir mal ein Film kostet zwei Millionen Euro. Dann hast du natürlich einen Haufen Geld und Zeit, die in diesen Film reingesteckt wurden. Nehmen wir mal an, die Leute schätzen den Film theoretisch sehr, laden sich das aber alle herunter, dann ist dieser Wertschätzung eben nicht so viel wert. Aber wenn es die Möglichkeit gibt… Würden alle Leute sich immer Fahrscheine kaufen, wenn sie wüssten, dass es nie kontrolliert wird?

Krämer: Aber die, die Filme im Internet angucken, das sind ja auch nicht die, die sonst ins Kino gehen würden. Also man kann das schon auch positiv sehen, denn so kommen die Menschen mit mehr Musik in Kontakt – diese CDs hätten sie sich auch vor zehn Jahren nicht gekauft.

Wilking: Ich glaube das Problem bei dieser Sache ist, dass man mit jeder Argumentation an Grenzen stößt. Deswegen sind diese Diskussionen gerade auch wahnsinnig hitzig, es gibt so viele Argumente dafür und dagegen. Was mich zum Beispiel an den Piraten stört, dass sie sagen, sie sind wahnsinnig jung und, dass sie sozusagen die Welt von morgen repräsentieren indem sie sich mit Computern auskennen. Sie ruhen sich darauf aus und viele Sachen werden kaum reflektiert, weil sie sagen, ‘ja, aber ich hab Ahnung von Internet’. Dass Leute wie Sven Regener dann als ‘alte Säcke, die keine Ahnung haben’ bezeichnet werden, das ist keine Diskussionsbasis. Es ist einfach diese allgemeine Haltung, du kannst etwas machen, also machst du es.

motor.de: Ok, anderes Thema. Habt ihr komische Verhaltensweisen, die rational gesehen völlig bescheuert sind?

Krämer: Ja, eine Zeit lang hatte ich so einen Hände-Wasch-Tic. Damit hab ich aber auch wieder aufgehört. Das hatte ich glaube ich von meinem Vater, der hat das auch. Und zur Zeit hab ich noch den Tic, dass ich mein Bargeld zuhause in den Schrank neben die Pullis stecke. (beide lachen)

Wilking: …in den Strumpf!

Krämer: Wie so eine alte Oma, die das Geld unter der Matratze versteckt… Aber das kommt glaube ich daher, weil bei uns mal in die Wohnung unter mir eingebrochen wurde, da denke ich immer so ein bisschen dran.

Interview + Text: Sophie Lagies