Obwohl sich das Jahr noch nicht vollkommen verabschiedet hat, arbeitet der geneigte Musikfan spätestens Mitte Dezember an einer reflexiven Betrachtung. Was wird in zehn Jahren vom Musikjahr 2011 zurückbleiben? Ist es der Folk, der in diesem Jahr sicherlich eine neue Blütezeit erfuhr? Oder etwa doch die häufig rezitierte Neuerfindung des Hip Hop? Dass Elektro das neue Indie ist, gehört nicht mehr zum interessanten Thesenfundus heutiger Journalisten — mehr denn je gehört diese Erkenntnis zur Realität des aktuellen Status Quo. Und nein, dafür steht nicht einmal James Blake, der sich den alljährlichen, neologistischen Reizdiskussionen ausgesetzt sah.
2011 war ohne Wenn und Aber ein Jahr der Überschreitungen. Keine Idee schien derart suspekt, keine Grenze blieb unangetastet und keine Gepflogenheit wurde gänzlich respektiert. Doch keineswegs wird die Aushöhlung von Konventionen betrieben, eher werden die kleinen Biotope mehr denn je gehypt, gepusht und letztlich auch geliebt. Die Interpenetration, die Verbindung und Kreuzung divergierender Stile und Klangkonstruktionen zeichnete dieses Jahr ohne Zweifel aus.
Natürlich wurde auch redaktionsintern diskutiert, die unterschiedlichen Künstler mit ihren Facetten herausgearbeitet und – nein, es wurde nicht gestritten. Das Musikjahr 2011 hatte eine Mege zu bieten und selbstverständlich kann die folgende Liste nur bedingt alle Perlen des Jahres aufzählen. Dennoch stehen die 20 Platten für die Breite, Qualität und Wonne, die uns die vergangenen zwölf Monate bescherten. Viel Spaß!
Build A Rocket Boys!
VÖ: 15.04.2011
Label: Fiction
“Was sich jedoch fast beängstigend an Perfektion anschleicht, sind das Songwriting wie auch das Geschichtenerzählen der Band aus Manchester. Die große Kunst der kleinen Gesten.”
NOEL GALLAGHER’S HIGH FLYING BIRDS
Noel Gallagher’s High
Flying Birds
VÖ: 14.10.2011
Label: Sour Mash
“Noel Gallagher hat seine Qualitäten als Songwriter zwar schon bei Oasis bewiesen. Doch “Noel Gallagher’s High Flying Birds” zeigt, dass er keinen Liam, Gem und Andy braucht, die zu dritt ein nicht annähernd gutes Album vorgelegt haben. Liams Bruder kommt ziemlich gut allein klar.”
Mutual Friends
VÖ: 02.09.2011
Label: Grönland
“Bei BOY geht es um das Leben in all seiner Fülle. Diese Damen bewegen mit einfachen Songs, die nicht mit progressiven Ecken und Kannten aufwarten, sondern eher mit schlichter Schönheit. Das deutschsprachige Pop-Duo präsentiert ein englischsprachiges Debüt, dass es mit internationaler Konkurrenz jederzeit aufnehmen kann.”
Mosaik
VÖ: 25.02.2011
Label: Monkeytown
“Dass es im Bereich der elektronischen Musik weitaus mehr als stumpfe Beats mit endlosen Loops gibt, beweisen derzeit nur wenige Acts so souverän wie Siriusmo. Er hat ein vor Ideen beinahe schon zerberstendes Album auf die Beine gestellt.”
Bad As Me
VÖ: 21.10.2011
Label: Anti
“Tom Waits ist ein Meister darin, eine selbstverständliche Erwartungshaltung seines Publikums zu bedienen. Er gibt souverän den trunkenen Dichter, den Gossenpoeten, den musikalischen Outlaw, für den ganz eigene melodische Regeln gelten, er spielt eine Vielzahl Rollen.”
The Hunter
VÖ: 23.09.2011
Label: Roadrunner
Records
“Mastodon beweisen erneut, dass sie zurecht zur Speerspitze des Genres zählen. Mit beeindruckender Leichtigkeit verbindet das Quintett die musikalischen Essenzen der letzten Jahrzehnte und liefert gleichzeitig ein Album ab, das Innovation und Stilvielfalt verkörpert.”
Salon des Amateurs
VÖ: 29.04.2011
Label: FatCat
Volker Bertelmanns Projekt Hauschka gelingt der Spagat von Neo-Klassik zur tanzbaren Avantgarde. Beeinflusst durch die Werke der Komponisten Steve Reich und Michael Nyman entwirft Bertelmann einen Zwitter aus technoidem Purismus und mit der Tanzfläche flirtendem Klavier-House. “Salon Des Amateurs” kann Sorgen nehmen, das Meditieren zum Allheilmittel machen und besticht letztlich durch die ungeheuer fantasievolle Gradlinigkeit, wenn Klaviermelodien auf 4/4-Kickdrums, Bläser auf Techno-Verve treffen.
Simple Math
VÖ: 13.05.2011
Label: Favorite Gentlemen
“Dieses Album erfordert vom Hörer definitiv mehr Aufmerksamkeit als seine Vorgänger, stellt damit einen konsequenten Schritt nach vorne dar und lässt sicher noch mit einigen Überraschungen in der Zukunft rechnen.”
Das Ende der
Beschwerde
VÖ: 21.10.2011
Label: Motor Music
“Glatter Pop als Vehikel für wunderbar kantige Texte. Mehr noch, er zeigt mit “Das Ende der Beschwerde” erneut auf, dass eine ganz famose Symbiose der beiden möglich ist. Großartig: Eine Gruppe von debattierenden Kulturkritikern auf beschaulicher Landpartie.”
Star Of Love
VÖ: 21.01.2011
Label: PIAS
“Auf ‘Star Of Love’ zelebrieren die fünf Musiker ihre baskischen Wurzeln genauso wie, man lese und staune, den Eurodance. Akustische und elektrische Gitarren, Stimmen verzerrt und unverzerrt, Synthesizer, Drum Machines, ein Tamburin und spanische Instrumente mit exotischen Namen wie Txalapartas finden sich auf der Platte.”
Neverendless
VÖ: 23.09.2011
Label: Drag City
“Ein Album für alle Krautrock-Nerds mit Affinität zur trance-artigen Repetition: Cave beweisen auf ihrem dritten Wurf ein ansehnliches Gespür für prägnante Melodien – nach vierzig transzendierenden Minuten ist die angenehme Reise auch schon wieder vorbei – sie führte von der wegbereitenden Vergangenheit über die beeindruckende Gegenwart und gleitet hoffentlich in eine erfolgreiche Zukunft.”
Hardcore Will Never
Die, But You Will
VÖ: 11.02.2011
Label: PIAS
“‘Harcore Will Never Die, But You Will’ vereint letztendlich alle Stärken der schottischen Ausnahmekönner und könnte zu einem weiteren Meilenstein des Genres werden. Mogwai verstehen es nach wie vor großartig, ein stimmungsvolles Wechselspiel aus ruhigeren und härteren Elementen zu entwickeln. Gleichzeitig konnte die Band ihren Sound durch den dezenten Einsatz elektronischer Klänge um weitere Facetten erweitern.”
Thora Vukk
VÖ: 29.04.2011
Label: Pampa
“Obwohl jeder einzelne Track dabei seinen ganz eigenen Charakter ausprägt, vom verspielt-launigen, luftig-leichten Frühlingsgefühl bis zur tiefführenden Reise durch atmosphärisch glitzernde Soundscapes, ergibt sich ein enorm geschlossenes Gefüge. Es ist ein schwebender und trotzdem schwergewichtiger Moment von kontemplativer Konzentration, vollgepackt mit großartigen, musikbewusstseinserweiternden Augenblicken purer Hellsichtigkeit. Zum Niederknien.”
Civilian
VÖ: 04.03.2011
Label: City Slang
“Es ist ein mehr als bemerkenswertes, enorm eigenes Album, das Wye Oak da eingespielt haben, irrlichternd zwischen Sonic Youth und Fleetwood Mac, wie City Slang-Labelchef Christof Ellinghaus überaus treffend anmerkt in seiner eigenen Huldigung. Ein Album, von dem man sich abseits der üblichen Hypemaschinen begeistern lassen muss und vor dessen Attitude man sich verneigen darf.”
James Blake
VÖ: 04.02.2011
Label: Polydor
“Songs werden geschreddert, aufgeladen mit Disharmonien, abrupten Brüchen, ziellos dahertaumelnden Melodielinien, unvermittelt auslaufenden Soundschleifen, unberechenbaren Distortions, immer wieder eingestreuten Störsignalen. All dies ist bis ins Detail perfektionistisch produziert, inszeniert aber seine Bruchstückhaftigkeit im Dienst einer größeren Idee von Musik, deren Strahlkraft nicht so bald übertroffen werden wird. Das ist handwerklich grandios, sicher auch musikalisch revolutionär, vor allem aber ganz große Popmusik.”
Past Life Martyred
Saints
VÖ: 03.06.2011
Label: Souterrain
Transmissions
“Ein Album wie eine Kanonenkugel: Rund, schwer und – wenn von der richtigen Kanonierin abgefeuert – mit schier unglaublicher emotionaler Durchschlagskraft. Kompositorisch bewegt sich EMA bereits in höchsten Zirkeln; die zumeist recht rudimentär instrumentierten Tracks, schlagen oftmals derartige Haken, dass ein einmaliger Durchlauf bei weitem nicht ausreicht, um all den Twists und Turns zu folgen, geschweige denn den multifacettalen, emotionalen Mikrokosmos in seiner Gänze empathisch zu erfassen.”
Passions Of A Different
Kind
VÖ: 14.10.2011
Label: Humming Records
“Kalte Nachtluft einatmen und mit dem Kopf voller Gedankenströme auf wackeligen Beinen den Heimweg antreten – Flashguns haben den Soundtrack zu diesem Gefühl gemacht. Frustration galore meets Glockenspiel und Liebes-Lyrics – genau diese Mischung aus ausgereift erwachsenen Melodien und der Quintessenz jugendlichen Charmes, vermisst der geneigte Bripop-Fan viel zu oft im hauseigenen Genre der Insulaner.”
Let England Shake
VÖ: 11.02.2011
Label: Island
“Tod und Verzweiflung, gebrochener Patriotismus, Leid und Leidenschaft – PJ Harveys Meisterwerk zeichnet ein ganz eigenes Panorama von England im immerwährenden Krieg. ‘Let England Shake’ ist ein blutrot getränktes Meisterwerk, vielleicht sogar das beste dieser wahrlich großen Künstlerin, um die man England beneiden muss.”
Go Tell Fire To The
Mountain
VÖ: 10.06.2011
Label: Lyf Recordings
“Der heiser fauchende Rufgesang des Sängers Ellery Roberts ist neben dem Sound das charakteristischste Element. Letzter kennt vor allem eine Zutat: Hall. Rauschige Stimmen und Chöre stehen in riesigen Klangräumen neben wunderbar warmen Gitarren, deren Arbeit teils an Post-Rock und teils sogar an die Patternstrukturen im Math-Rock erinnert. Popmusik mit Charakter, Eigenwilligkeit und Inhalt, Popmusik die Gewicht hat. Und das, obwohl sie unbedingt ‘Lucifer’ im Namen haben mussten.”
Bon Iver, Bon Iver
VÖ: 17.06.2011
Label: 4AD
“Zerbrechlichkeit trifft auf Opulenz, amerikanische Folklore auf seichte Digitalität. Für sein zweites Werk “Bon Iver, Bon Iver” verlässt Justin Vernon seine Hütte und macht den Sonnengruß. Die Symbiose aus rückhaltloser Natürlichkeit und synthetisiertem Pomp katapultiert Justin Vernon in den Folk-Tempel mit illustren Gästen wie Iron & Wine, Fleet Foxes oder Sufjan Stevens. Die Treppe zum Olymp ist bereits gebaut.”
Jetzt seid ihr gefragt: welche der 20 Alben ist euer Favorit auf Platz 1? Oder habt ihr gar eine andere Platte auf dem Schirm, dann hinterlasst einen Kommentar und teilt allen mit, welches Album für euch dieses Jahr die beste Platte war.
Unter allen Kommentatoren verlosen wir zwei Überraschungs-CD sowie -Vinylpakete.
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