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Es ist kindisch, es nervt, es gibt Wichtigeres – und jetzt will Anonymous auch noch mitmischen beim Streit um YouTube-Videos.
Wer auf die GEMA einschlägt, hat es seit Jahr und Tag einfach, Zustimmung zu heischen. Nun schon zum zweiten Mal in zwei Monaten hat sich die sogenannte Hacker-Aktivisten-Gruppe Anonymous die Homepage der GEMA vorgenommen. Diesmal scheinbar mit deutlich größerem Effekt als den paar Stunden Seitenabschaltung beim ersten Mal. Grund soll – so ließ sich das naturgemäß nicht ganz zuverlässig den anonymen Verlautbarungen entnehmen – die Unzufriedenheit der Aktivisten darüber sein, dass für deutsche Nutzer immer noch (und mindestens gefühlt immer mehr) Videoclips nicht mehr bei YouTube verfügbar sind. Hintergrund ist der seit Jahren anhaltende Streit (manchen nennen es Verhandlungen) zwischen YouTube und der GEMA über Art und Höhe der Lizenzgebühren. Die Sachlage ist verworren, durch viele Interessen belastet und überdies kaum wirklich bekannt, da bei aller Uneinigkeit die Vertraulichkeit noch erstaunlich gut funktioniert. Dass sich die Hackergemeinde in dieser Frage auf die GEMA einschießt, wundert allerdings kaum. Ob sie damit richtig liegt, steht auf einem anderen Blatt. Zumindest, wenn man sich etwas genauer anschaut, wer in erster Linie betroffen ist.
Wie weit unter Umständen die Forderungen der Internet-Aktivisten von den Vorstellungen der eigentlichen Urheber – nämlich der Musiker – entfernt liegen, wurde deutlich, als es im Zug des Hypes um die Piratenpartei zu etlichen Diskussionen zum Thema kam. In denen wurde nicht nur offensichtlich, dass nicht wirklich viele Aktivisten auch nur eine grobe Vorstellung davon haben, wie das Prinzip Musikbusiness funktioniert. Und dass es eine ganze Reihe extrem naiver Vorschläge gibt, wie denn Musiker von ihrer Musik leben sollten, wenn die Erlöse durch direkte Verkäufe wegbrechen. Es ließ sich dabei schön beobachten, wie der lapidare Ansatz, dann könnte man ja einfach mehr live spielen und mehr Merchandise verkaufen, nachdem man sich durch kostenlose Musik bekannt gemacht hätte, dem einen oder anderen Betroffenen die Hutschnur hoch gehen ließ.
Denn der von der so genannten „Contentindustrie“ gern genutzte Kampfbegriff „Kostenloskultur“ ist nicht gänzlich aus der Luft gegriffen. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass die neuen, technisch immer weiter forcierten Nutzungsgewohnheiten auch abseits des üblichen Lobby-Gejammers der Dieter Gornys dieser Welt unerbittlich nach ganz unten durchschlagen. Zu denen, die ohnehin ein prekäres Leben als wenigstens halbprofessioneller Musiker führen – also der übermächtigen Mehrheit aller Musiker im Popbereich. Ihre Songs und sich selbst bekannt zu machen, wird nicht trotz sondern wegen der inzwischen generellen Verfügbarkeit von Musik und Informationen über Musiker drastisch schwieriger. Falls es doch gelingt, bleibt viel weniger Zeit als früher, bevor der Erfolg auch schon wieder Abschied nimmt. In junge Musiker und deren Entwicklung zu investieren – die angestammte Aufgabe von Labels – kann sich heute gerade im Independent-Bereich kaum noch jemand leisten.
Selbst renommierte mittelständische Labels mit absolut crediblem Ruf und breitem, mindestens halbwegs erfolgreichen Künstler-Portfolio erzielen einen nach normalen wirtschaftlichen Maßstäben lächerlichen Ertrag. Extrem libertäre Vorschläge von „Computerfreaks“, die ihre Musiksammlung vermeintlich nach Gigabyte bemessen, finden da oftmals wenig freundliche Aufnahme. Ob sich der Widerspruch zwischen sinkenden Ertragsmöglichkeiten und größerer Konkurrenz und der daraufhin folgenden Abwärtsspirale in reines Hobbymusikertum irgendwie auflösen lässt, daran zweifeln inzwischen immer mehr. Das Problem, Videos nicht bei YouTube sehen – oder auch selbst anbieten – zu können, gehört dabei sicher zu den kleineren, die Musikschaffende umtreiben. Auch wenn es natürlich ein permanent nervender Zustand ist.
Vertreten sind nahezu alle dieser Musiker, Songschreiber und Verlage in der GEMA. Die ist zweifelsfrei ein selbst innerhalb des eigenen Systems ungerecht, intransparent und extrem bürokratisch agierendes Wasserkopfmonster. Und sicher trägt die GEMA einen Gutteil der Verantwortung dafür, dass die Verhandlungen mit Google – dem Eigentümer von YouTube – nicht vorankommen. So wie jene mit dem weltweit am meisten geschätzten Streamingdienst Spotify. Nur muss man auch sehen, dass es tatsächlich in weiten Musikerkreisen eine echte, tiefsitzende Abneigung gegen die Microerlöse gibt, die derlei Firmen am Ende auszuzahlen bereit sind. Es ist also keineswegs so, dass die GEMA in einem subjektiven Sinn Unrecht hat mit ihren – angesichts der technischen und gesellschaftlichen Sachlage – allerdings kaum durchsetzbaren Forderungen. Und „objektiv“ lässt sich hier nichts betrachten. Dazumal es auch um Google geht, dessen monopolistischer Anspruch auch nicht gerade zum Edlen und Guten zu zählen ist. Mit Hacking-Attacken freiwillig dessen Drecksarbeit zu machen, und derlei mit „der Nichteinräumung von Freiheitsrechten“ zu begründen, wirkt dabei geradezu höhnisch.
Das Recht auf kostenlose Musikvideos gehört nicht zu den Grundrechten, die man auch mit drastischen Mitteln einfordern darf. Es geht hier immer noch um privatwirtschaftlich finanzierte, privatwirtschaftlich vertriebene Ware, über deren Vertriebsbedingungen sich Firmen und Vertreter von Herstellern halt nicht einigen können. Nicht mehr, nicht weniger. Die wirklichen Probleme von Musikern und Musikfans liegen ganz woanders. Nur sieht man die eben nicht jeden Tag beim Websurfen. Und mit Hacker-Angriffen sind sie schon gar nicht zu lösen.
Augsburg
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