Seit dem 23. August sendet auf den Frequenzen von Motor FM plötzlich Flux FM. „Geändert hat sich nux“ schreibt die Geschäftsführung des Senders launig auf ihrer Webpage. Ist dem wirklich so? Wohin geht die Reise des früher von mir mitgeführten und mitgegründeten Senders und wo fing sie an? Wie konnte es zur Umbenennung und dem Streit zwischen den Gesellschaftern um die legendäre Frequenz 100,6 kommen? Ein lange Geschichte, die sich nur in zwei Teilen erzählen lässt.
(Foto: Haiko Hebig)
Die Frequenz 100,6 ist die stärkste, die Berlin für Privatradio zu bieten hat. Sie deckt nicht nur die Hauptstadt sondern fast noch ganz Brandenburg ab. Bei günstigem Wetter reicht sie bis in die Nachbarländer hinein. Bespielt wurde sie ab 1987 von dem Regisseur Ulrich Schamoni, dem der öffentlich-rechtliche SFB (Sender Freies Berlin) einfach zu links war. Mit seichter Musik und stramm konservativer Propaganda bestrahlte er weite Teile der DDR von West-Berlin aus. Der Mauerfall machte die Mission obsolet und mit dem technisch so starken Sender war plötzlich viel Geld zu verdienen. Der Idealist Schamoni verschwand wenig später unter Zutun seines Zöglings dem Journalisten Georg Gafron aus dem Gesellschafterkreis. Im Hintergrund finanzierte die Mediengruppe von Leo Kirch (SAT1, Pro Sieben etc.) den damaligen Take-Over.
Jahrelang wurde mit dem marktbeherrschenden Sender fette Ernte eingefahren. Das ging so lange gut, bis 2002 einerseits das ganze Kirch-Imperium ins Wanken geriet und andererseits Berlin sich peu a peu zur modernen, kreativen Stadt wandelte. Thomas Thimme gelang es, den Sender von Gafron zu übernehmen. Als neuer Macher und Gesellschafter ignorierte er den Trend und geriet sowohl mit dem konservativen Programm als auch durch absurd hohe Mietzahlungen, die er aus Verträgen der Vorbesitzer übernehmen musste, schon bald in eine wirtschaftliche Schieflage. Der Insolvenz des Senders versuchte Thimme zu entgehen, indem er ihn entführte. Die Mitarbeiter fanden im Mai 2005 einen leeren Sender am Standort nahe Bahnhof Zoo vor. Ihr Chef hatte die Lizenz einfach auf eine Drittgesellschaft übertragen und sendete ohne ihr Wissen vom Stadtrand. Die Insolvenzverwalter und Landesmedienanstalt ließen diese eigenartige Rochade nicht zu, die Frequenz wurde neu ausgeschrieben. Zusammen mit der Netzeitung erhielten wir im Januar 2006 den Zuschlag.
Wir, das waren Mona Rübsamen, Markus Kühn und ich. Die beiden kannte ich schon länger. Sie war beim Start des deutschen MTV Programms dabei gewesen, er als Praktikant zu mir bei Universal gekommen. Markus war nicht gerade im Praktikantenalter (damals war er circa 30 Jahre alt) und wurde auch ob seiner Herkunft (der Vater hatte einen gewichtigen Posten im Finanzvorstand der Firma Seagram, die wiederum Universal gekauft hatte) kritisch beäugt, aber er bewährte sich in der Internetabteilung. Beide gründeten mit zwei ehemaligen Motor Mitarbeitern eine Firma, die sich in der Nähe von Universal ansiedelte. Bis man sich mit den damaligen Partnern zerstritt, machte man anscheinend gute Geschäfte, auch mit uns. Der Kontakt riss aber danach nicht ab. Mona und Markus begannen sich auf Radiofrequenzen zu bewerben und ich bestätigte ihnen auf Universal Papier gerne für die Anträge bei den Landesmedienanstalten, dass wir neue, mutige Sender brauchen. Sie bekamen für ihr gutes Anliegen leider keinen Zuschlag.
Nach dem Abschied von Universal nahm ich Kontakt zu ihnen auf. Mitarbeiter eines Hamburger Senders waren auf mich zugekommen, um sich mit mir um eine Berliner Frequenz für alternatives Radio zu bewerben. Ich wusste, dass Mona und Markus dasselbe wollten. Als Trio bekamen wir die Situation perfekt in den Griff: Die erfahrenen Hamburger erledigten die Formalien der Anträge, aber wir setzten uns mit unserer Philosophie und unserem Anspruch durch. Wir wollten neues, spannendes Radio, mit vor allem deutschen Acts aus der lokalen Szene. Deshalb nannten wir die gemeinsame Firma „Plattform für regionale Musikwirtschaft“. Werbung wie das verpönte Formatradio wollten wir gar nicht erst. Der Sender hatte deshalb in der Lizenzbewerbung den Namen „Motor FM – das Downloadradio“. Anfang 2005 erhielten wir die erste echte Lizenz. Auf der Stadtfrequenz 106,8 durften wir täglich senden. Allerdings nachts, nach dem Kindersender Radio Teddy.
BMW und Sony Ericsson gingen Kooperationen, so genannte Sonderwerbeformen mit dem neuen Sender ein. Sie deckten zumindest die Fremdkosten. Der Rest war Selbstausbeutung. Thomas, der frühere Motor-Promotionleiter, rannte zum Beispiel zwischen seinem Schreibtisch bei Universal und dem ersten Studio von Motor FM in Kreuzberg hin und her. Bei der Plattenfirma verdiente er sein Geld, bei dem Sender machte er dafür den Programmchef fast für Umme. Das Geschäft mit den Downloads griff damals nicht wie gewünscht. Zu spät kamen die Freigaben von den Labels, als dass man hätte die neuen Tracks, die wir spielten, verkaufen können. Zu teuer waren die Gebühren, welche die Plattenfirmen verlangten, als dass man im Wettbewerb mit Apple iTunes hätte mithalten können. Ohne den ganzen Tag senden zu können, war es schwer zu überleben.
Thimmes Insolvenz auf der 100,6 war deshalb unsere große Chance. Trotz 28 Mitbewerbern bekamen wir zusammen mit der Netzeitung den Zuschlag für die Berliner Flagship-Frequenz. Die Landesmedienanstalt wünschte sich den Informationssender, den der Antrag des ehemaligen Stern Chefredakteurs Meier für die Hauptstadt versprach, gepaart mit dem alternativen, kulturellen Ansatz von Motor FM. Ein teures Unterfangen, denn Wortbeiträge kosten im Radio ein Vielfaches von Musik. Diesen zu erfüllen waren wir nur in der Lage, weil Meiers Netzeitung im ersten Jahr für alle Kosten aufkam. Das hatten wir in zähen Verhandlungen gegen das Versprechen ausgehandelt, dass ihnen alle Werbeeinnahmen zufließen würden. Werbung, das bedeutete aber sich in der halbjährlichen MA (Marktanalyse) erfassen zu lassen. Über Anrufe auf Festnetz werden in halbstündigen Befragungen die Reichweiten der Radiosender auszuweisen versucht. Vorher hatten wir vermieden, uns diesem Diktat zu unterwerfen.
Die Haupteinnahmequelle der Radiostationen ist die bundesweite Werbung. Sie wird über zwei große Vermarkter (die RMS und die ASS) akquiriert und aufgeteilt. Einen Vertrag mit ihnen bekommt nur, wer über die MA einen gewissen Bekanntheitsgrad nachweisen kann. Kaum hatten wir den Zuschlag für die Frequenz 100,6 erhalten, kontaktierte mich Thomas Thimme. Beim Treffen in einem Café wand er sich förmlich in seinem Stuhl. Sein Angebot war, dass wir in seinen Vermarktungsvertrag mit der RMS einsteigen könnten, wenn wir ihn beim Sender mitmachen lassen würden. Wir lehnten freundlich ab.
Markus Kühn, der mich zu dem Meeting begleitet hatte, fühlte sich spontan an den tragischen Auftritt des Gollum in „Der Herr der Ringe“ erinnert. Mir leuchtete das ein: es erschien so, als könne Thimme partout nicht von der 100,6 lassen und wäre zu vielem bereit, um nur noch einmal auf ihr senden zu dürfen. Die Geschichte der Frequenz rekapitulierend, meinten wir auf dem Heimweg halb im Scherz, sie sei wahrscheinlich wirklich der magische Ring aus Tolkiens Romanen. Jeder, der sie besaß, war bislang noch irgendwie gescheitert oder durchgedreht.
(Teil 2 folgt in Kürze.)
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