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Den Vergleichen zum Trotz

Diego veröffentlichen ihre dritte Platte. Mit dem Titel „Gold“ werden selbstbewusst die Ziele der fünf Karlsruher abgesteckt.

Karlsruhe kennt man allgemein als die Stadt, in der das Bundesverfassungsgericht sitzt. Ab und zu lautet es in den Nachrichten, dass Karlsruhe dies und das entschieden habe. Und überhaupt gilt die Baden-Württemberger Stadt schon als etwas spießige Provinz mit wenig kulturellen Angeboten. 2006 schlossen sich fünf junge Herren unter dem Namen Diego zusammen und lieferten ihr wenigstens eine Vorzeigeband. motor.de sprach mit dem Frontmann der Postrocker Andreas Mutter über die Veröffentlichung von “Gold” und natürlich ihre Heimatstadt.

„Klar beeinflusst Karlsruhe auch unsere Musik. Die meisten Lieder sind hier entstanden. Natürlich fanden auch viele der Erlebnisse und Geschichten, die sich in den Songs wiederfinden, in Karlsruhe statt“, erörtert Mutter gleich zu Beginn des Gesprächs die Bedeutung Karlsruhes für seine Musik. Dabei klingen Diego für viele beim ersten Hören eher nach New York. Oder Manchester. Doch genau da liegt auch das Problem, sieht sich doch das Quintett ständig den (nicht nur) von Musikjournalisten herzitierten Parallelen zu Genre-Kollegen ausgesetzt. „Ja, die Vergleiche mit Joy Division und Interpol nerven irgendwann“, seufzt Mutter. „Aber eigentlich nur wenn dir Leute vorwerfen, du spielst da die Songs deiner Lieblingsband nach. Interpol sind ja ungefähr so alt wie wir und wurden sicher auch von der gleichen musikalischen Epoche beeinflusst. Mir zum Beispiel hat sich Joy Division erst so richtig erschlossen, als das mit „Control“ (Film von Anton Corbijn über Joy Division-Frontmann Ian Curtis, Anm. d. Red.) losging. Aber das sind ja nicht die schlechtesten Vergleiche, nur nachvollziehen kann ich sie manchmal einfach nicht.“ Dabei drängen sich die Parallelen bei solch düsterem Wave-Indie-Rock leider immer wieder auf, was aber nicht negativ sein muss, solange man ihnen kein Plagiat vorwerfen kann. Und dafür machen Diego doch zu sehr ihr eigenes Ding.

Eigentlich erinnern auch nur die tiefe Stimme vom Frontmann und der geheimnisvolle, finstere Klang an jene New Yorker. Bei Diego ist nicht der Bass das eklatante, charakteristische Merkmal. Sie stechen eine größere Bandbreite ab, machen vielleicht mehr Indie-Rock als Wave und sind auch nicht ganz so minimalistisch wie Interpol, vor allem auf ihrem kürzlich erschienenen Werk „Interpol“. Damit genug der ewigen Vergleiche.

Diego – “Grizzly Bear”

 

Aufgenommen wurde das neue Werk von Diego in Lahntahl bei Koblenz im Tonstudio 45, dem „Blackmail-Tonstudio“. Bei einem Auftritt zusammen mit der Band in Wien kam die Idee, dass Gitarrist Kurt Ebelhäuser das nächste Diego-Album produzieren könnte. So geschehen dann im Februar diesen Jahres. „Die Aufnahmen mit Kurt waren richtig gut und sehr fokussiert“, schwärmt Mutter von der Zeit im Studio. Vorangegangen war noch ein Mitgliederwechsel an der Gitarre. „Uwe hat die Freude an der Musik leider keinen Ausgleich mehr zur Mühe und Zeit, die er in die Band gesteckt hat, gebracht.“ Ein neuer Gitarrist war aber schnell zur Stelle, nachdem sich der alte kurz vor der letzten Tour verabschiedet hatte. Dem Diego-typischen Klangwänden aus E-Gitarren und der melancholischen Stimmung der Songs tut dies aber kein Abbruch.

Kritikpunkt zu “Gold” ist hingegen der sehr glatte Klang, der etwas Kantigkeit vermissen lässt. Solides Songwriting nennt man das wohl. Songwriting aber das sich von hinten ranschleicht und auf einmal hat man diesen einen Song doch den ganzen Tag im Kopf. „Forget about the warriors, forget about all paragraphs, they cannot disturb us, not tonight“, singt Andreas Mutter in dem wenig melodiösen und doch so eingänglichen Stück „Lucy“.

Wie Diego mit ihrem neuen Album punkten werden, wird sich noch herausstellen. Auf dem richtigen Weg sind die Karlsruher allerdings. Allen Interpol-Vergleichen zum Trotz. Diese können sie nur für sich nutzen, denn schließlich reduzieren die New Yorker ihre Musik gerade extrem, während Diego genau in die andere Richtung gehen. Komplexe Melancholie auf der Zielgeraden. Gold zu holen wäre also durchaus möglich.

Laureen Kornemann


: 24.09.2010

Label: Unter Schafen Records

Trackliste:

01. Grizzly Bear
02. Connected
03. Galama
04. Lucy
05. King Of Castle
06. Vienna
07. A Lot Like You
08. Smokie Eyes
09. The Distance In Between Us
10. Metz
11. She Is

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