Dominique Dillon de Byington verzauberte mit ihrem Debüt Musikpresse und Feuilleton gleichermaßen. Mit motor.de sprach die 23-Jährige über ihr Label BPitch Control, ihren Weg von Brasilien nach Berlin und japanische Noise-Videos.
Die gebürtige brasilianische Sängerin Dillon ist zum Jahresabschluss nicht nur in der klassischen Musikpresse präsent. Auch das hiesige Feuilleton hat die junge Dame bereits entdeckt. Mit Björk und Lykke Li wurde sie verglichen, hier und dort bereits als Star vorgestellt. Dabei ist Dominique Dillon de Byington gerade einmal 23 Jahre jung und “This Silence Kills” ihr Debütalbum. Und auch wenn sie vor vier Jahren bereits für ihre ersten Konzerte gelobt wurde, so ließ sich Dillon Zeit. Zunächst stellte sie selbstgedrehte Video mit ihren Skizeen und Ideen auf Youtube und Co. Kaum ein Jahr später unterschreibt sie ihren ersten Vertrag beim Berliner Independent-Label Kitty-Yo. Nicht nur Ellen Allien oder DJ Koze wurden auf die junge Dame aufmerksam, auch Dirk von Lotzow erkannte das Talent und nahm Dillon 2009 als Support für sein Nebenprojekt Phantom/Ghost mit auf Tour. Im letzten Jahr produzierte sie dann ihr Erstlingswerk mit Langzeitfreund Tamer Fahri Özgönenc (MIT) und Thies Mynther (Phantom/Ghost). Kurz vor Abschluss ihrer aktuellen Tour traf motor.de die Sängerin zu einem interessanten Gespräch über ihren Weg von Brasilien nach Berlin, dem Label BPitch Control und japanische Noise-Videos.
motor.de: Du bist gerade auf Tour, wie läuft’s?
Dillon: Die Tour läuft sehr gut, glaub ich. Außer Heidelberg waren und sind alle Städte ausverkauft.
motor.de: Und schon irgendwelche Highlights dabei gewesen?
Dillon: Wir haben in Zürich auf einem Festival gespielt. In der Schweiz haben wir zwischen Bergen und Wasser in einem Goth-Keller gespielt, das war wirklich super, auch wenn es nicht ausverkauft war.
motor.de: Wie ist die allgemeine Response bei den Konzerten, kennen die Leute bereits deine Songs und singen sie mit?
Dillon: Das kann ich gar nicht sagen, ich bin meistens sehr abwesend auf der Bühne. Ich fange auch langsam an, alle Städte miteinander zu verwechseln, aber grundsätzlich ist es bisher wirklich toll. Gerade weil die Leute kommen, um tatsächlich mich zu sehen, das ist wirklich etwas Neues.
motor.de: Merkst du, dass um dich schon ein kleiner Hype entstanden ist? Denn nicht nur die Musikpresse spricht von dir in den höchsten Tönen, auch das Feuilleton hat dich ja bereits vor Jahren für deine ersten Live-Auftritte gelobt.
Dillon: Ich lese das eigentlich nicht, aber ich bekomme das natürlich bei den Konzerten mit, alleine weil so viele Menschen da sind. Das ist überwältigend und spannend, aber auch Angst einflössend, weil es mir absolut fremd ist. Jetzt, als wir die vergangenen Tage unterwegs waren, haben wir aber dafür keine Zeit. Touren ist vor allen Dingen viel Arbeit, da habe ich nur wenig mit der Außenwelt zu tun.
Dillon – “Tip Tapping”
motor.de: Sprechen wir ein wenig über deine Vergangenheit. Du bist in Brasilien geboren…
Dillon: …ja, ich bin in Sao Paolo geboren und bis ich fünf Jahre alt war, wuchs ich dort auf. Dann bin ich mit meinem älteren Bruder und meiner Mutter nach Köln gezogen, sie wollte unbedingt nach Köln. Und danach ging es nach Berlin.
motor.de: Warum Berlin?
Dillon: Als ich elf Jahre alt war, bin ich zum ersten Mal in Berlin gewesen und habe mich sofort in diese Stadt verliebt.
motor.de: Wie war der Schritt mit 18 von Köln nach Berlin?
Dillon: Viele meiner engsten Freunde sind damals mitgekommen. Wir sind von Köln nach Neukölln gezogen. Das war alles sehr organisch. Und seither habe ich meinen Freundeskreis auch nur wenig erweitert, natürlich kennt man ein paar Leute mehr, aber im Großen und Ganzen sind es noch immer die gleichen Menschen.
motor.de: Für deine musikalische Sozialisation ist unter anderem auch dein Vater verantwortlich. Er ist Pianist, aber dennoch kannst du keine Note lesen, richtig?
Dillon: Das stimmt. Ich kann mich leider nicht ans Klavier setzen und einfach ein paar schöne Lieder nachspielen. Ich habe mich mit 18 Jahren das erste Mal überhaupt ans Piano gesetzt.
motor.de: Würdest du sagen, dass die Theorie der Praxis unterlegen ist, weil diese eben nicht von Schemen, sondern von Emotionen angetrieben wird?
Dillon: Auf gar keinen Fall – nein, nein, nein. Ich habe den Bezug zu der Musik nicht über die Theorie, aber ich schätze jeden, der ihn hat. Das ist auch ein Grund, warum ich die Platte mit Tamer und Thies produziert habe, weil ich einen unglaublich irrationalen und emotionalen Zugang zur Musik habe. Ich war auf der Suche nach Ausgleich, den ich aber nicht herstellen konnte. Mit Tamer und Thies habe ich zwei Menschen gefunden, die eine sehr theoretische und mathematische Herangehensweise hatten. Das schätze ich sehr, aber ich habe das nicht.
Dillon – “Thirteen Thirtyfive” (live)
motor.de: Dann lass uns ein wenig über dein Debütalbum “This Silence Kills” sprechen. Ich würde mal behaupten, dass das Album weder typisch nach Köln oder nach Berlin klingt. Würdest du dem zustimmen?
Dillon: Alle Ort, in denen in war, haben mich als Mensch beeinflusst. Aber Berlin steckt schon in dem Album. Aber du hast schon Recht, das Album ist keiner bestimmten Szene zugehörig.
motor.de: Was gefällt dir denn an Berlin am meisten?
Dillon: Die Größe der Stadt. Sie ermöglicht es, vollkommen unterzugehen, anonym zu bleiben. Jeder Bezirk in Berlin ist wie eine eigenständige Stadt. Ich glaube in keiner anderen Stadt ist dies derart gegeben, wie in Berlin.
Motor.de: Wenn wir schon über Berlin sprechen, dann würde mich interessieren, wie das mit BPitch Control zustande gekommen ist?
Dillon: Ich bin großer Techno-Fan, unter anderem. Ja (überlegt lange), wer kennt BPitch nicht (lacht)? Ich habe Ellen bereits vor ein paar Jahren kennengelernt, doch zu dieser Zeit hatte ich noch gar keinen Impuls, ein Album zu machen. Über den Song “Aiming For Destruction“, den ich mit Coma aufgenommen habe, sind wir dann auf die Compilation des Labels gekommen.
motor.de: Hat dir das Label bei den Aufnahmen auch ein wenig über die Schultern geguckt oder wie ist das Leben und Arbeiten mit BPitch?
Dillon: Nein, im Gegenteil. Wir haben unglaublich viel Freiheiten gehabt, sehr viel Energie und Unterstützung kam vom Label. Alle haben sich während der ganzen Zeit sehr sicher und wohl gefühlt.
motor.de: War der Produktionsprozess auch derart harmonisch?
Dillon: Natürlich nicht immer, aber dafür waren die Aufnahmen wirklich sehr intim. Alle Beteiligten hatten das gleiche Ziel, aber jede eine andere Herangehensweise. Hier die Balance oder den Ausgleich zu schaffen, war sehr interessant. Wenn es Konfrontationen gab, dann haben wir dennoch immer irgendwie den richtigen Punkt gefunden.
motor.de: Thies war sicher das kritische Auge bei den Aufnahmen, nicht wahr? Sind die Songs dabei durch eine Entscheidung entsprungen oder sind alle Songs auf der Platte Konsens-Songs der drei Beteiligten?
Dillon: Naja, viele Songs waren ja bereits schon fertig. Ich hatte bei einer Vielzahl Text und Melodie beisammen. Im Studio war es nun wichtig, die Atmosphäre um die Songs herum zu bauen. Ich war ja noch nie im Studio und hatte Angst, ich wollte schließlich nicht mit einem überproduzierten Album rauskommen. Dieser ganze Prozess, die Entwicklung im Studio war sehr verwirrend, aber auch aufregend.
motor.de: Du hast da Neuland betreten…
Dillon: Ganz genau. Aber im Studio herrschte wirklich ein gutes Klima, denn wir haben relativ schnell, gemeinsam eine Sprache entwickelt.
motor.de: Und diese Sprache war Auslöser für wiederum neue Sprach-Schöpfungen, so war von “Indie-Operette” und Grübel-Chansonette zu lesen. Wie würdest du dann eigenes Album beschreiben.
Dillon: Es ist elektronische Musik mit Gesang. Was soll es auch sonst sein? Wir haben 90% der Platte produziert. Ob Luftpumpen, E-Piano, digitale Handclaps – es ist alles elektronisch. Für uns drei ist es ziemlich offensichtlich, dass es elektronische Musik ist. Die Platte ist der Schmelzpunkt zwischen dem Irrationalen und dem Rationalen, zwischen Emotionen und Mathematik. Es ist 2011.
Jens Lekman – “Pocketful Of Money”
motor.de: Für den Song “Thirteen Thirtyfive” greifst du auf den Song “Pocketful of Money” von Jens Lekman zurück. Hattest du für den Song seinen Segen, hattet ihr Kontakt?
Dillon: Ja, ich habe die Lyrics geschrieben und habe ihm danach eine Mail geschickt und ihm gesagt, dass ich diese Wörter geschrieben habe und nicht weiß, was ich nun damit machen soll. Denn ich habe den Text geschrieben, während sein Song im Hintergrund lief. Es war alles sehr unbewusst. Dann habe ich ein Video hochgeladen mit meinem Text und seiner Musik und er fand es klasse.
motor.de: Schon mal an ein Duett gedacht?
Dillon: Ein Duett wäre wieder etwas anderes. Es ist eben kein Duett, sondern die Weiterentwicklung eines Songs. Sein Song basiert auf dem Track “Gravedigging Blues” von Beat Happening. Mein Song “Thirteen Thirtyfive” basiert auf deren und auf Lekmans Song. Aber das fragen mich auch sehr wenig, andere sprechen sogar von einem Cover oder gar davon, dass ich etwas geklaut hätte. Das ist nicht wahr.
motor.de: Das Jahr neigt sich dem Ende zu. Es wird Zeit zurückzublicken. Was hast du in diesem Jahr gehört?
Dillon: Ich höre nicht besonders viel Musik. Und die Musik, die ich höre, sind immer die gleichen Platten und die gleichen Künstler. Ich bin sicherlich up-to-date, was den Current Pop angeht, aber ich kenne nur wenige Alben von anderen Künstlern. Ich habe dieses Jahr viel Einstürzende Neubauten gehört, DAF und Death From A Above 1979. Und ich habe während der Studio-Aufnahmen viele japanische Noise-Videos auf Youtube angeguckt (lacht).
motor.de: Kannst du uns etwas empfehlen?
Dillon: Nur Suchbegriffe.
motor.de Noise, Japan, Destruction…
Dillon: …fucked up.
motor.de: Das lassen wir dann einfach mal so stehen. Danke für deine Zeit.
Interview: Sebastian Weiß
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